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Betrüger-Karriere: Ein Bayer war der falsche Rockefeller

Er verkehrte in den feinsten Kreisen und heiratete eine Harvard-Absolventin. Alles ging gut für den falschen Rockefeller, bis er durchdrehte und seine eigene Tochter entführte. Ist er der Sohn eines Anstreichers aus Bayern?

Auf seinem sonst so glatt rasierten Kinn wächst ein ungepflegter Stoppelbart. Die Brille erinnert an Woody Allen. Doch im Gegensatz zu dem redseligen Komiker schweigt der angebliche Clark Rockefeller lieber – und überlässt seinem Rechtsanwalt das Reden vor den surrenden Kameras der Journalisten, während er in der Zelle des Suffolk County Jail in Boston auf seine Verhandlung wartet. Der Rechtsanwalt sagt, sein Mandant habe das Gedächtnis verloren für alles, was vor 1993 passiert sei. Sein Mandant wisse aber, dass er Clark Rockefeller heiße. Und dass er niemanden umgebracht habe.

Ein tiefer Fall für den 47-Jährigen, der bis zum Ende des vergangenen Monats in den feinsten Kreisen der amerikanischen Ostküste verkehrte – so wie es sich für den Spross einer der reichsten Öldynastien Amerikas gehört. Erst als seine Ehe zerstört ist und er seine eigene Tochter entführt, zerbricht sein sorgfältig aufgebautes Image.

Er muss wegen angeblichem Kidnapping vor Gericht. Und gilt als Hauptverdächtiger in einem Doppelmord.

Und er ist offenbar der Sohn eines Anstreichers aus einem Ort in Bayern.

Zwar hat sich der 47-Jährige als Clark Rockefeller vorgestellt, als er seine zukünftige Frau Sandra Boss, eine Absolventin der Harvard Business School, kennenlernte. Doch laut „Boston Globe“ erzählen seine Fingerabdrücke eine andere Geschichte: Sie würden mit denen auf den Einreisepapieren eines Christian Karl Gerhartsreiter, geb 1961, aus dem kleinen Städtchen Bergen im Chiemgau übereinstimmen. Der sei als 17-jähriger Austauschschüler nach Connecticut gekommen, um sich in Amerika niederzulassen. Eine Familie habe bereits Bilder des mutmaßlichen Hochstaplers gesehen – und den damaligen Austauschschüler, der bei ihr Unterschlupf fand, sofort erkannt. Hinzukommt: Die Fingerabdrücke des falschen Rockefeller seien auch identisch mit denen eines Mannes namens Christopher Chichester. Und der würde im Zusammenhang mit dem spurlosen Verschwinden eines jungen Ehepaares gesucht. Vor 23 Jahren habe Chichester im Gästehaus von John und Linda Sohus im Villenviertel San Marino in Kalifornien gewohnt. Das frisch verheiratete Paar wurde im Februar 1985 zum letzten Mal lebendig gesehen – und sei von einer angeblichen Frankreichreise nie zurückgekehrt. Als Bauarbeiter neun Jahre später auf menschliche Überreste stießen, war Chichester schon lange nicht mehr in Kalifornien. Ein Christopher Chichester Chrowe soll sich in den späten 80er Jahren als Börsenmakler an der Wall Street versucht haben, allerdings ohne großen Erfolg. Danach habe er sich lieber als Spross der Rockefeller-Familie vorgestellt, heißt es.

1995 heiratet der angebliche Rockefeller Sandra Boss. Mit einem Stadthaus in Boston und einer Villa in New Hampshire scheint das Paar ein schönes Leben zu führen. Als Tochter Reigh 2001 geboren wird, ist die Freude groß. Während sich der Vater um die Tochter kümmert, geht die erfolgreiche Unternehmensberaterin Sandra immer häufiger auf Geschäftsreisen. Als sich das Paar voriges Jahr scheiden lässt, erhält der falsche Rockefeller eine Abfindung von 800 000 Dollar – und Sandra zieht mit Reigh nach London, um dort eine leitende Stelle bei der Consultingfirma McKinsey zu übernehmen. Ende Juli kommen Sandra und Reigh auf Besuch in die USA. Der Vater darf die Kleine zum ersten Mal seit der Scheidung wieder sehen. Während sie eine Straße in Boston hinuntergehen, reißt er seine Tochter plötzlich in einen Geländewagen, lässt sich von einer Bekannten für 500 Dollar nach New York fahren – und verschwindet. Ganz Amerika fiebert um die gesunde Heimkehr des kleinen Mädchens mit den blonden Haaren und den roten Schuhen. Im Fernsehen bittet Mutter Sandra den Vater, das Töchterchen so schnell wie möglich freizulassen. Nach fünf Tagen ist es so weit: Der Vater wird in Baltimore festgenommen.

Ist er wirklich Christian Gerhartsreiter? Oder Christopher Chichester? Laut Fernsehberichten jetteten US-Ermittler gerade nach Deutschland, um die Sache zu klären.

Und Rockefeller? Der hüllt sich weiter in Schweigen.

Heike Wipperfürth[New York]

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