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Panorama: Big Bang

In England ist ein gigantisches Treibstofflager explodiert. Der Knall war noch in Frankreich zu hören. Mehr als 30 Menschen verletzt

Bis Frankreich und Holland war der Knall der Explosion zu hören, die gestern Morgen ein Treibstoffdepot nördlich von London zerstört hat. Der Großbrand war auch am Abend noch nicht unter Kontrolle. Mindestens die Hälfte des Depots Buncefield des Total-Konzerns mit einer auf 150 000 Tonnen geschätzten Kapazität stand in Flammen. Das Öldepot bei Hemel Hempstead in der Grafschaft Hertfordshire ist eines der fünf größten Lager Großbritanniens. Von hier aus werden unter anderem alle Flughäfen in und um London mit Flugbenzin versorgt.

Augenzeugen berichteten von apokalyptischen Szenen. Feuersäulen schossen bis hundert Meter in die Luft, Druckwellen zerstörten Fenster im Umkreis von Kilometern, Alarmanlagen in Autos und Wohnungen wurden ausgelöst und dann stiegen dicke Rauchsäulen in den Himmel und breiteten sich mitten am sonnigen Sonntag wie dunkle Nacht über dem Katastrophengebiet aus. Der Polizeichef von Hertfordshire, Frank Whiteley, ging bei einer Pressekonferenz von einem Unglück aus, obwohl Anwohner kurz vor der Explosion ein Flugzeug gehört hatten. Es gebe keine Hinweise auf einen Terroranschlag, sagte Whiteley. Nach Polizeiangaben erlitten 39 Menschen Verletzungen. „Es ist ein Wunder, dass die Personenschäden so gering sind“, sagte Whiteley.

Die erste Explosion wurde um 6 Uhr 3 registriert. Ein BBC-Reporter im Londoner Westend setzte gerade einen Live-Bericht ab und wurde, sichtlich irritiert, von dem Explosionsknall aus dem Konzept gebracht. Londoner wurden aus dem Schlaf gerüttelt. „Das ganze Haus wackelte, die Scheiben klirrten. Es war, als sei ein Auto unter meinem Fenster Straße explodiert“, berichtete eine Frau, die 40 Kilometer weiter südlich in Westlondon wohnt. Menschen, die morgens das Fenster öffneten oder Zeitungen und Milchflaschen hereinholten, rochen Öl in der Luft. Dicht an der Unglücksstelle war Tankerfahrer Paul Turner, der gerade seine Frühschicht antrat. „Ich kam gerade zur Arbeit. Hinter dem Gebäude sah ich einen riesigen Feuerball mit mindestens 50 Meter Durchmesser“, berichtete er im BBC Radio. „Es war die lauteste Explosion, die ich je gehört habe. Es hat mich umgehauen – ich weiß nicht, ob es wegen meiner zitternden Knie oder wegen der Wucht der Explosion war. Dann stand ich auf, rannte zum Auto und fuhr davon, so schnell ich konnte.“

Im Umkreis von mehreren Kilometern gingen Fensterscheiben zu Bruch, Türen wurden eingedrückt, Dächer beschädigt. Der 71-jährige Taxifahrer Norrie Vine, der gerade in seiner Wohnung in Hemel Hempstead auf einem Stuhl eingeschlafen war, wurde vom Stuhl geschleudert. „Ich dachte sofort an eine Al-Qaida-Sache.“ Anwohner berichteten von mehreren Druckwellen, die hintereinander zu spüren waren. Die Polizei begann am Vormittag mit der Evakuierung von Wohnhäusern in nächster Nähe zu der Unglücksstelle. In weitem Umkreis wurden die Bewohner aufgefordert, Fenster und Türen zuzuhalten. Personen, denen schlecht werde, sollten sich beim nationalen Gesundheitsdienst melden.

Laut BBC-Wettermann Dan Corbett war die Hochdruck-Wetterlage schuld, dass man den Knall noch auf dem europäischen Festland hören konnte. „Das Hochdrucksystem über Südengland wirkte wie eine Kappe und drückte die Schallwellen nach unten, so dass sie nicht nach oben verpuffen konnten“. In Südengland herrschte strahlender Sonnenschein und blauer Himmel. Doch dann trieben schwache Winde breite, dunkle Rauchschwaden über London und den englischen Süden, und mit den Wolken wurde der Ölgeruch immer stärker. Später musste der Flugverkehr in Heathrow eingeschränkt werden. Regen, warnten Wetterdienste, würde die Rußpartikel als klebrigen Schlamm auf die Erde zurückspülen.

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