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Panorama: "Blutrache" im Zoo von Kabul

Die meisten Vögel im Zoo von Kabul sind schon verspeist worden, genauso wie die Ziegen aus dem Streichelgehege. Das Goldfischbassin am Eingang ist nur noch ein knochentrockenes Becken, in dem von Wind verstreutes Gerümpel herumliegt.

Die meisten Vögel im Zoo von Kabul sind schon verspeist worden, genauso wie die Ziegen aus dem Streichelgehege. Das Goldfischbassin am Eingang ist nur noch ein knochentrockenes Becken, in dem von Wind verstreutes Gerümpel herumliegt. In der Nähe hat sich ein Schimpanse in der Ecke seines Käfigs zusammengekrochen, während Kinder versuchen, durch die Stäbe auf ihn einzuschlagen. In seiner Hand hält er einen zerbrochenen Spiegel, den jemand in das Gehege geworfen hat. "Es ist verdammt hart, die Tiere zu versorgen, wenn man kein Geld hat", sagt der Stellvertretende Zoo-Direktor Sherago.

Früher war der Zoo von Kabul eine eindrucksvolle Anlage. In den 60er Jahren schenkte die deutsche Regierung dem Tierpark zwei afrikanische Löwenjungen. Aber nachdem die von der Sowjetunion unterstützte Regierung in Kabul von den Mudjahedin gestürzt worden war, verfiel die Anlage unaufhaltsam. Der einzige Elefant des Zoos starb 1993 bei einem Raketen-Angriff des Paschtunen-Warlords Hekmatyar. Damals wurde ein Drittel Kabuls zerstört, ebenso wie große Teile des Tierparks. Dann besetzten Kämpfer mit Maschinengewehren den Zoo. Und Sherago, ebenso wie die Wächter, versuchte nicht länger, auf die Einhaltung der Regeln zu pochen. Irgendwann in dieser Zeit, Sherago weiß nicht mehr genau wann, kroch ein junger Mann in das Löwen-Gehege - und wurde gefressen. Der Bruder des Mannes war darüber so empört, dass er in einem Akt der "Blutrache" eine Handgranate in den Käfig warf. Der Löwe erblindete. Die größte Geißel des Zoos aber waren Soldaten, die wegen "der kulinarischen Freuden" anrücken, beklagt sich Sherago. Zuerst verschwanden die Vögel. Die Soldaten grillten Enten und Strauße. Dann kamen Schafe und Bergziegen an die Reihe: "Sie aßen alles, was gut schmeckte". Zamir, ein ehemaliger Mudjahedin, sagt, er habe gemeinsam mit seinen Kumpanen das Bison verspeist, das die Weiden am anderen Ende des Zoos zierte. "Damals waren hier nur Soldaten", sagt er, "also konnte man alles essen, was man wollte. Die Leute waren eigentlich nicht hungrig. Es war einfach spannend, etwas aus dem Tierpark zu essen."

Heute, sagt Sherago, sei das fehlende Geld das größte Problem. Der Bär ist wegen seiner mageren Reisdiät schon ganz phlegmatisch. Der Tiger, der sich nicht für seine tägliche Ration Kamelfleisch erwärmen kann, magert immer mehr ab; die meiste Zeit liegt er nur noch keuchend auf einem Felsen in seinem Käfig. "Das ist doch keine Art und Weise, wie man Tiere behandelt", sagt Sherago.

Die Taliban, erzählt er, seien gegen einen Zoo gewesen. Einmal sei der Justizminister für eine Tour durch den Park vorbeigekommen. Danach hatte er ihm aufgetragen, alle Tiere freizulassen. Im Koran stehe nicht geschrieben, "dass sie so gehalten werden sollten". Diese Anweisung hat er ignoriert und ist noch nicht einmal bestraft worden.

Alan Cullison

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