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Brasilien: Gewalttaten in den Schulen häufen sich

Elf Kinder sterben durch einen Amoklauf in Rio de Janeiro. Schusswaffen und ein Klima der Gewalt sind ein Dauerproblem an Schulen.

Er hatte die Schule im Slum, in einer von extremer Gewalt gezeichneten Gegend, selbst besucht: Am Freitag ging der 23-Jährige mit zwei Revolvern in die „Escola Municipal Tasso da Silveira“ und zielte auf die Kinder. Immer wieder lud er nach. Zehn Mädchen und ein Junge starben, alle waren zwischen 12 und 14 Jahren alt. Dass eine noch größere Tragödie verhindert wurde, ist offenbar einer beherzten Lehrerin zu verdanken, die geistesgegenwärtig einen Klassenraum von innen verschloss und die Schüler anwies, sich auf den Boden zu werfen. Das Tatmotiv des Ex-Schülers ist noch unbekannt. Die Behörden erklärten aber, der Mann habe ein Schreiben hinterlassen, in dem er sich als aidsinfiziert bezeichnete und seinen Selbstmord ankündigte.

Schießereien in Schulen der Slumperipherie Rio de Janeiros sind keineswegs selten – immer wieder werden Kinder sogar mitten im Unterricht durch verirrte Kugeln getötet. Neueren Studien zufolge lernen rund 150.000 Schüler Rios täglich unter Lebensgefahr – und wohnen zudem in Risikozonen mit Slum-Hochburgen des organisierten Verbrechens, wo Feuergefechte rivalisierender, hochgerüsteter Banditenkommandos alltäglich sind.

Selbst am Strand der Copacabana haben Schüler und Eltern gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen immer wieder gegen diese unhaltbaren Zustände protestiert und von den Regierenden entsprechende Maßnahmen gefordert. Schulgewerkschafter wurden häufig von Banditenkommandos verfolgt und sprechen von „Routine der Angst“. Nach dem aktuellen Massaker will die Lehrergewerkschaft gegen Rio de Janeiros Teilstaatsregierung und gegen die Präfektur klagen. Wegen fehlender öffentlicher Sicherheit häuften sich Gewalttaten in den Schulen von Jahr zu Jahr, hieß es. Schulen würden sogar von Gangsterbanden als Depots für harte Drogen genutzt würden. Die Banditenpräsenz setze besonders die Schüler unter Stress und Spannung und verhindere geregelten Unterricht. Manchmal muss er in Rio sogar monatelang ausfallen, dann nämlich, wenn sich Spezialeinheiten der Polizei und Gangsterkommandos Gefechte um die Schulen liefern. Der brasilianische Spielfilm „Tropa de Elite“ über das Gewaltklima der Slums von Rio und den sozialpolitischen Kontext erhielt 2008 auf der Berlinale den „Silbernen Bären“.

Dabei ist Rio auch außerhalb der Schulen eine gewalttätige Stadt. Oft sind jene Todesschwadronen verantwortlich, die aus Militärpolizisten bestehen und auf die auch Amnesty International immer wieder hinweist. Brasilien hält den weltweiten Spitzenplatz der Toten durch Schusswaffen; pro Jahr werden dort etwa 55.000 Menschen umgebracht. Die meisten Morde bleiben unbestraft – allein in Rio de Janeiro offiziellen Statistiken nach 92 Prozent. Die Nichtregierungsorganisation „Viva Rio“ verweist darauf, dass rund 16 Millionen Schusswaffen illegal in den Händen von Privatleuten sind. Und dass das Land selbst zu den größten Schusswaffen- und Munitionsproduzenten der Erde gehört: 80 Prozent der beschlagnahmten Feuerwaffen seien aus brasilianischer Produktion.

Die öffentliche Sicherheit wird demnächst ein Problem auch für den Rest der Welt: In Rio de Janeiro steht 2014 die Fußball-WM bevor. Und 2016 die Olympischen Spiele.

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