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Panorama: Buena Vista Social Star

Compay Segundo ist tot. Er verkörperte das ursprüngliche Kuba – so wie es sich die Europäer immer wünschten

Er bezeichnete sich selber als „ältesten Musiker der Welt“. Bis zuletzt hat Compay Segundo neue Lieder komponiert und arrangiert – nicht selten hoch über den Wolken, wenn er zu seinen meist ausverkauften Konzerten um die Welt flog.

Er verzückte die Welt – vor allem Nordamerikaner und Europäer, die mit Kuba und kubanischer Musik mythische Vorstellungen verbinden. Er riss mit seiner Ausstrahlung von Vitalität und Weisheit, mit seinem Charme das Publikum hin, wo er auch auftrat – in New York, in Amsterdam, in Berlin, Paris und vielen anderen Städten. Er verkörpert die kubanische Seele, so wie sie sich die Europäer insgeheim in ihren Projektionen wünschen – mit ursprünglicher Lebensfreude und einer Männlichkeit, wie sie in Europa zwar längst nicht mehr angesagt ist und doch manchmal vermisst wird. Die Kubaner selbst konnten mit dem alten Mann dagegen schon lange nichts mehr anfangen (siehe unten stehenden Bericht).

Geboren wurde Francisco Repilado, so der richtige Name des Künstlers, am 18. November 1907 in Siboney, im Südosten Kubas. Schon im Alter von zehn Jahren begann er zu singen, in der Pubertät schrieb er erste Lieder. Damit gehört er zu den Pionieren jener Musiker, die dem Son cubano das Laufen beibrachten. Dieser urwüchsige „Klang“, Matrix weltbekannter Stile wie Mambo oder Cha-ChaCha, gilt heute als das nationale Tanzlied Kubas schlechthin. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte der Son eine Revolution der Hörgewohnheiten ausgelöst. Dem gemessenen Danzón, einem bürgerlichen Salontanz mit Holzbläsern und Violinen, setzte der neue Stil das volkstümliche afro-spanische Erbe entgegen, und verbreitete in Havanna seinen würzigen Hauch von Tabak, Melasse und ländlicher Unbekümmertheit.

Zwar sang Compay Segundo bei legendären Musikern wie Nico Saquito oder den Matamoros-Brüdern. Unter seinem Künstlernamen wurde er allerdings erst mit dem Duo „Los Compadres“ bekannt, in dem er neben Lorenzo Hierrezuelo sang: „Compay“ ist die im Osten Kubas gebräuchliche Variante von „Companero“, „Segundo“ bezeichnet die Zweitstimme. Mit der Revolution von 1959 jedoch geriet diese Stimme jäh in Vergessenheit. Die meisten Cabarets und Tanzlokale wurden geschlossen, Compay Segundo musste sich einen Brotberuf suchen: Zigarrendreher in einer staatlichen Tabakfabrik in Havanna.

Erst als Rentner trat er in den 80er Jahren wieder vor Touristen auf. Zu seiner ganz großen Karriere verhalf ihm schließlich Ry Cooder. Für sein Projekt „Buena Vista Social Club“ holte der US-Gitarrist Compay Segundo und andere betagte Musiker aus ihrem Schattendasein und ließ 1996 eine auf Kuba längst verloren geglaubte musikalische Epoche wieder auferstehen. Das gleichnamige Album wurde mit einem Grammy ausgezeichnet und hatte im Handumdrehen einige alte, neue Stars an den internationalen Pop-Himmel katapultiert. Durch den Film „Buena Vista Social Club“ von Wim Wenders erhielt die Popularität Compay Segundos großen Auftrieb. Der quietschfidele Musiker mit der starken Kamerapräsenz präsentierte sich darin mit seiner langen Zigarre als Inbegriff karibischer Vitalität und Männlichkeit – jenseits von Viagra. Compay Segundo wirkte so unsterblich wie der Son selbst, und er verkörperte dessen unverhohlenen Sexappeal.

Was machte es da schon, dass Compays Gesangsstimme etwas brüchig klang - seine Galanterie und Inspiration waren ungebrochen. Übrigens auch sein musikalischer Tatendrang: Neun Alben hat Compay seit 1996 herausgebracht, zuletzt schielte seine Band nach New Orleans und interpretierte sogar Lieder auf Französisch. Als Sänger hielt sich Compay dabei meist vornehm zurück. Im Studio oder auf der Bühne aber konnte er nach wie vor durch seine Fingerfertigkeit überzeugen, mit der er das „Armónico“ spielte, seine selbst erdachte Kreuzung aus Gitarre und Tres, der kubanischen Gitarre mit drei Doppelsaiten.

Als Komponist hat Compay Segundo einige Lieder geschrieben, die mittlerweile zum Standard kubanischer Volksmusik zählen. Gerne wäre er so alt wie seine Mutter geworden, die es angeblich auf 116 Jahre brachte. Doch am Sonntag ist er im Alter von 95 Jahren an Nierenversagen in seinem Haus in Havanna gestorben.

Roman Rohde

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