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China: „Die Schuldigen müssen bestraft werden“

Peking unterdrückt Zahlen über Kinder, die bei dem Beben getötet wurden – wegen Pfusch an Schulbauten. In einigen Städten Chinas, die vom schweren Erdbeben betroffen waren, sind sogar nur die Schulen eingestürzt.

Ein weißes Banner hängt über der Hauptstraße von Mianzhu, etwa 60 Kilometer vom Epizentrum des Erdbebens entfernt. „Die Kinder sind nicht durch eine Naturkatastrophe gestorben, sondern durch gefährliche Gebäude“, steht in schwarzen Schriftzeichen darauf geschrieben. Vor ein paar Tagen versammelten sich unter dem Banner mehrere Dutzend Eltern, deren Kinder durch das Beben gestorben sind, wie chinesische Blogger berichten. In einem Protestmarsch zogen sie in die Kreisstadt Deyang, um von den Regierungskadern Antworten auf ihre Fragen zu verlangen.

Wie überall im Unglücksgebiet waren in Mianzhu vor allem Kinder von dem Erdbeben am 12. Mai betroffen. Mindestens sieben Schulen der Stadt stürzten in sich zusammen. Mehr als 900 Kinder, die gerade im Unterricht saßen, wurden durch die einstürzenden Mauern getötet. Ingesamt seien in Sichuan bei dem Beben 7000 Klassenzimmer zerstört wurden, heißt es in einer Schätzung der Regierung. Eine Zahl der getöteten Schüler wurde bislang nicht veröffentlicht. Beobachter schätzen jedoch, dass mehr als 10 000 Kinder unter den Opfern sein könnten. Es ist unmöglich festzustellen, wie viele dieser Kinder durch bessere Bauvorschriften möglicherweise hätten gerettet werden könnten. An manchen Orten nahe des Epizentrums war die Zerstörungskraft des Erdbebens so groß, dass ganze Dörfer und Stadtteile wie Kartenhäuser einstürzten oder von Erdrutschen begraben wurde. An auffällig vielen Orten aber waren die Schulgebäude die einzigen Bauten, die einstürzten. Nachbargebäude von ähnlicher Größe blieben unversehrt. „Wir verlangen, dass die Regierung die Bauqualität der Schule untersucht. Die Schuldigen müssen bestraft werden“, sagte eine Mutter. Mindestens 300 Schüler kamen hier ums Leben, eines davon ist die 15jährige Tochter der Frau. Die Wohngebäude in der Nachbarschaft und sogar ein alter Wasserturm blieben bei dem Beben nahezu unbeschädigt. Die Eltern werfen deshalb den Behörden vor, die Bauvorschriften nicht eingehalten zu haben.

Manche vermuten, dass es bei den Schulbauten zu Korruption kam. An mindestens zwei Orten versammelten sich Eltern von getöteten Kindern zu Demonstrationen. Im März 2006 hatte die Provinzregierung in einem Rundschreiben auf die mangelnde Bauqualität der Schulen hingewiesen. Fotos und Berichte von Korrespondenten deuten darauf hin, dass vor allem die einfachen Landschulen oft mit Betonträgern ohne ausreichende Stahlverstärkung gebaut wurden.

Ein Experte der Universität von Kalifornien, Xiao Yan, bezeichnete die Konstruktionsbilder einer chinesischen Schule gegenüber der „New York Times“ als „Zeitbombe“. Die Regierung in Peking hat eine Untersuchung der Bauqualität der Schulen in Sichuan angekündigt, bislang jedoch keine Ergebnisse veröffentlicht. Aus Angst vor einem Aufschrei im Volk wurden bislang keine Statistiken über getöteten Schüler oder zerstörte Schulen veröffentlicht. Auch die chinesischen Staatsmedien, die in den ersten Tagen des Unglücks ohne Zensur über die Rettungsmaßnahmen berichteten, dürfen die Korruptionsvorwürfe offenbar nicht mehr weiterverfolgen. „Das Thema ist der Regierung zu heikel geworden“, sagt eine verantwortliche Redakteurin in Peking.

In chinesischen Internetforen und auch in den Medien wird Sorge über mögliche Korruption bei der Katastrophenhilfe laut. Unbestätigten Berichten zufolge soll das chinesische Rote Kreuz, möglicherweise durch korrupte Mitarbeiter, Zelte und Medizin für das Katastrophengebiet zu überteuerten Preisen gekauft haben. Die Organisation wies die Vorwürfe zurück. Der Oberste Rechnungshof des Staatsrates richtete eine Telefon-Hotline ein, bei der Bürger Korruptionsfälle im Erdbebengebiet melden können.

Harald Maass[Peking]

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