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Panorama: Chinas Oberschicht entdeckt die Freuden und die Gefahren des Wintersports und findet Gefallen am Après-Ski

Im Fernsehen hatte es so leicht ausgesehen. "Yabuli, das heißt Skifahren richtig erleben", lockte die Stimme auf dem Hotelvideo.

Im Fernsehen hatte es so leicht ausgesehen. "Yabuli, das heißt Skifahren richtig erleben", lockte die Stimme auf dem Hotelvideo. Von dem versprochenen Erlebnis, "schneeverhangene Berge elegant hinabzugleiten", hat Xiao Hong bislang jedoch wenig gespürt. Weil sie ständig aus dem Lift fällt, hat die junge Frau im grünen Armeemantel ihre Skier von Hand auf die kleine Bergspitze getragen. "Soll ich jetzt?", fragt sie unsicher. Doch da ist es schon zu spät: Mit einem spitzen Schrei schießt sie plötzlich kerzengerade den Hang hinunter. Hilflos rudern die Arme in der Luft. Vergeblich der Versuch, die Schussabfahrt noch mit dem Hinterteil zu bremsen. Erst der Plastikzaun vor den Parkplätzen bringt sie gnädig zu Fall.

Es ist nicht unbedingt ein stressfreier Urlaub, den Xiao Hong und ein elitärer Kreis neureicher Chinesen hier in Yabuli im hohen Norden Chinas verbringen. Einer nach dem anderen stürzen sie sich mutig auf ihren aus Europa importierten Skiern den kleinen Hang hinunter, wohl wissend, dass die kurze und schnelle Abfahrt mit einem harten Aufschlag endet. Doch was tut man nicht alles, um Trendsetter zu sein. Lange kannten Chinesen Skifahren nur aus dem Fernsehen. Jetzt gibt es Yabuli - das erste Skiressort des Landes. Und so pilgern in diesen Wintertagen mutige und betuchte Chinesen in die Berge von Yabuli, um herauszufinden, wie es denn nun so ist, auf Brettern einen Schneehang hinterzurutschen.

Dass kaum einer auf Anhieb einen Pflugbogen zu Stande bringt, stört die Begeisterung offensichtlich nicht. "Toller Sport", sagt Herr Wang, ein Mittvierziger mit einer riesigen Sonnenbrille. "Es bildet den Charakter, ist gut für den Körper und bringt Weisheit", doziert er. Wie die meisten ist er nur für einen Tag gekommen. Ein paar wacklige Abfahrten, ein Souvenirfoto. "Ich wollte nur mal sehen, wie es ist", sagt Wang und versucht mühsam sein Gleichgewicht zu halten. Hat er keinen Lehrer? "Ach was", lacht er. "Das bringe ich mir selbst bei." In einer gefährlichen Vorlage rast er schnurstracks den Hang hinunter. Immerhin schafft er es, sich kurz vor dem Plastikzaun in den Schnee zu werfen.

Als die Volksrepublik 1996 in Harbin die asiatischen Winterspiele ausrichtete, machte man Yabuli in den mandschurischen Bergen zum Austragungsort für die Schneewettkämpfe. Eine Gruppe von Investoren baute aus den Athletenwohnheimen schließlich Chinas erstes Skiressort mit mehreren Hotels, einem aus Österreich importierten Sessellift und einem Dutzend Pisten. Noch ist das Skierlebnis etwas rustikal: Die Hänge erinnern mehr an Eisgeröllwüsten als an präparierten Abfahrten. Durch den alterschwachen Sessellift pfeift der sibirische Wind. Doch Chinas junge Alpinisten, die allein für Ausrüstung und Skipass pro Person umgerechnet 70 Mark pro Tag zahlen müssen, sind nicht zimperlich. "Einen Tag hält man das schon aus", sagt Wen Jie tapfer, eine Lektorin aus Peking.

Entspannung gibt es dafür abends beim Apres-Ski. Im "Windmühlen Dorf", dem besten Hotel am Platz, bietet das Restaurant den müden Sportlern die Spezialitäten der Region an: "Hirschpenissuppe", "In Öl gebratenen Schweinsellbogen" oder doch ein paar "Gefrorene Frösche"? Im Hinterzimmer treffen sich die gut situierten Gäste zum illegalen Glücksspiel. Und damit die Herren später nicht alleine vor der Karaoke-Maschine singen müssen, bieten leicht gekleidete Mädchen ihre Begleitdienste an.

Man habe versucht, eine "echte europäische Atmosphäre" zu schaffen, sagt Cao Yue, der Manager des "Windmühlen-Dorfes". Damit meint er wohl vor allem die Gebäude. Windmühlen sind das Thema der Anlage. Warum weiß keiner so genau. Auf der Bergspitze erwartet Gäste in Yabuli jedenfalls eine Windmühlen-Liftstation, man kann Windmühlen-Appartements mieten. In einem Anfall von Größenwahn ließen die Planer sogar einen ganzen Hügel mit Hunderten von Miniwindmühlen zubauen. Bald gebe es in Yabuli, tönt das Hotelvideo, "mehr Windmühlen als in Holland". Selbst Staatspräsident Jiang Zemin, der auf einem Foto das Modell der Anlage begutachtet, lächelt da mitleidig.

So richtig in Schwung will das "Ski-Paradies Yabuli" aber nicht kommen. Außer am chinesischen Neujahr sind die Pisten und Hotels meist leer, aus den Toiletten stinkt es nach Urin, die Hotelangestellten lümmeln sich gelangweilt auf den Empfangsofas. Sind mit 200 Mark für ein Zimmer - rund ein Monatslohn eines Arbeiters - die Preise vielleicht zu hoch? Manager Cao schüttelt den Kopf: "Skifahren ist in China ja ein Statussymbol", sagt er. Manch einer der Skigäste zeigt sich in Yabuli deshalb mit der Krawatte auf der Piste.

Ein Auto, eine Wohnung - das hätten heute viele, sagt Cao. "Unsere Gäste sind die Trendsetter, die sich ein westliches Lebensgefühl leisten." Nur gebe es von denen in China noch nicht viele. Um die Betten voll zu kriegen, will der Manager deshalb in Zukunft auf die Staatsbetriebe setzten. Gerade hätte eine Firma die "Menorca-Windmühle" gebucht, um ausländische Investoren zu unterhalten, erzählt er. "Hier können sie ihren Gästen zeigen, wie modern China ist."

Harald Maass

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