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Eine Ahnung vom Ernst des Lebens. Der Sonntagsstrip vom 8. Mai 1966.

© Illustration: Schulz/United Feature Syndicate, Inc.

Comics: Keine Peanuts, diese "Peanuts"

Vor 60 Jahren erschien die erste Folge der Comicserie. Der Zeichner Ralf König gratuliert Charlie Brown, Snoopy & Co.

Das Werk des „Peanuts“-Erfinders Charles M. Schulz ist an Einfallsreichtum und Detailverliebtheit, an Charakterschärfe und subtilem Witz nicht zu toppen. Jeder, der irgendwie mit Comics zu tun hat, weiß das. Vor ihm ziehen alle den Hut. Es ist zum einen der Fleiß, der beeindruckt – fast achtzehntausend Strips soll er bis zu seinem Tod im Februar 2000 gezeichnet haben, und zwar eigenhändig –, aber auch die Tiefe seines Peanuts-Universums, eine Tiefe, die in den unzähligen Merchandising-Produkten, die es um Snoopy und Co. herum gab und gibt, nur ansatzweise zu entdecken ist.

Nichts gegen Handtücher, Kalender und Tassen, aber um wirklich zu verstehen, warum Charlie Brown die Welt eroberte, muss man die kleinen Geschichten lesen, deren erste heute vor 60 Jahren erschien. Das habe ich getan, seit ich denken kann. Ich sammelte die Folgen, schnitt die Tagesstrips aus der Zeitung und die Sonntagsfolgen aus dem „Stern“ aus, klebte sie in Kladden. Mittlerweile bin ich fünfzig und habe die Sammlung immer noch im Regal, und es ist keinesfalls Kinderkram. Die Jahre haben das Papier vergilben lassen, aber das macht die drei Kladden für mich umso wertvoller.

Keineswegs Peanuts also, diese Peanuts. Meine erste Amerikareise führte mich Anfang der Achtzigerjahre nach Kalifornien, ins Palm Springs Desert Museum, wo eine große Peanuts-Ausstellung gezeigt wurde, und ich weiß noch, wie beeindruckt ich war, dass in den Galerieräumen fast ausschließlich Erwachsene vor den gerahmten Zeichnungen standen und sich selbstverständlich amüsierten – für mich aus Deutschland, wo Comics damals generell als Kinderei abgetan wurden, verwunderlich und erfreulich, dass diesem Medium anderswo sehr viel mehr Respekt gezollt wurde.

Ralf König (50), ist einer der wichtigsten deutschen Comiczeichner.
Ralf König (50), ist einer der wichtigsten deutschen Comiczeichner.

© dpa

Natürlich war Schulz’ Werk auch prägend für mich und meinen zeichnerischen Werdegang, ganz ähnlich wie der Einfluss von Wilhelm Busch, nur habe ich den Zusammenhang in seinem Falle erst viel später erkannt. Wenn meine Charaktere sich erschrecken, zucken sie zusammen und winkeln die Arme an wie Charlie Brown, wenn er von seiner Schulklasse ausgelacht wird, und wenn Lucy ihren Bruder Linus anbrüllt, reißt sie das Maul so weit auf wie meine Knollennasen es zuweilen auch tun. Alles, das Setzen der Pointe, das Timing, die leise Verzweiflung der Alltäglichkeit, all das hat Charles Schulz mir und anderen Zeichnern vorgemacht, sein Einfluss ist deshalb gar nicht zu unterschätzen.

Meine Lieblingsfigur war immer Sally, Charlie Browns kleine blonde Schwester mit der Riesenschleife im Haar, diesem überdimensionalen Kringel. Ich mochte sie, weil sie ständig gegen die Zumutungen des Lebens aufbegehrte. Sie hasste die Schule, und jeden Morgen aufstehen zu müssen, um zum Schulbus zu laufen, die sinnlose Schikane, den Unterrichtsstoff verstehen zu müssen, ohne zu wissen, warum und wieso ihr das abverlangt wird, das waren fast kafkaeske Zustände. Ihre raffinierten Bemühungen, den Weihnachtsmann für sich einzuwickeln, ihn zu bestechen oder unter Druck zu setzen, Weihnachten gefälligst reichlich Geschenke rauszurücken, ihr Widerwille gegen alles, was ihre kindliche Pflicht ist ... da kommen tiefste Erinnerungen hoch. Ich war als Sechsjähriger ebenfalls empört und verzweifelt und konnte lange nicht hinnehmen, von meiner Mutter jeden Morgen viel zu früh geweckt zu werden und ohne Diskussion in die Grundschule zu müssen, und das nicht nur für zwei, drei Wochen, sondern jahrelang, sogar ein Leben lang, wenn man spätere Verpflichtungen mitbedenkt. Man begann zu ahnen, was der viel zitierte „Ernst des Lebens“, den Erwachsene so gern anmahnten (und dass der „jetzt“ beginne), bedeutete. Nämlich früh aus dem Bett geschmissen zu werden, um Dinge zu tun, die man nicht tun wollte, und später hatte man auch noch Steuern zu zahlen und ähnlich Enervierendes. Keine Comicfigur hat das jemals so auf den Punkt gebracht wie die ständig latent am Irrsinn der Erwachsenenwelt verzweifelnde Sally.

Sally war verliebt in Linus, was ich gut verstehen konnte. In solche Jungs verliebt man sich halt. Linus mit seiner Schmusedecke, die, wenn man sie ihm wegnahm, schlimmste Entzugserscheinungen hervorrief; die Haare standen ihm wirr zum Himmel und es plagten ihn Schwindel und Atemnot. Gleichzeitig glaubte er felsenfest an den „Großen Kürbis“, der ganz bestimmt eines Nachts aus dem Kürbisacker auf in den Himmel steigt – und wenn Archäologen irgendwann in zweitausend Jahren im Erdboden graben und ein verwittertes Peanuts-Buch finden, ist das womöglich der Anstoß für eine neue Religion: Der „Große Kürbis“, eines Tages wird er erscheinen, und die Welt wird eine bessere sein! Charles Schulz war angeblich religiös, ich bin Agnostiker und ihm dankbar für dieses kleine Augenzwinkern.

Eine Sonntagsfolge hat mich damals, als ich selbst schüchtern damit anfing, Comics zu zeichnen, stark beeindruckt. Charlie Brown sitzt auf dem Fußboden und malt mit Buntstiften ein Bild. Lucy kommt dazu, sieht, was Charlie da zu Papier bringt: ein Haus, eine Wiese, einen Baum, und sie sagt, dass ihr das Bild enorm gut gefällt. Charlie kann’s nicht glauben, noch nie hat jemandem etwas gefallen, das er gemacht hat, aber Lucy setzt sich neben ihn und hört nicht auf, ihn und das Bild zu loben, bis Charlie Brown ihr das abnimmt und zaghaft Stolz empfindet – um gleich darauf die große Ernüchterung zu erleben: Lucy springt lauthals lachend auf, läuft zu ihren Freundinnen und verkündet ihnen, Charlie Brown habe ernsthaft geglaubt, sie finde sein Bild toll! Diese Möglichkeit verfolgte mich wochenlang – taten meine Freunde und Schulkollegen vielleicht nur so beeindruckt, wenn sie meine Zeichnungen lobten, und verarschten mich in Wirklichkeit? Zum Glück hat sich das nie bewahrheitet, aber ein Albtraum war es allemal.

Ich schreibe in der Vergangenheit, und wahrscheinlich sollte ich das gar nicht, denn nie sind Charaktere so präsent und lebendig geblieben wie im Fall der Peanuts. Was Charles Schulz da geschaffen hat, macht ihm keiner nach, auch wenn Snoopys Hundehütte nun verwaist ist. Natürlich gibt es wunderbare Nachfolger, Calvin und Hobbes beispielsweise. Aber so reich, so brillant, so wahr, so schräg, so liebenswert, so tragisch, komisch, vielfältig, so auf den Punkt, Punkt, Komma, Strich war noch kein Comicstrip zuvor und wird womöglich nie wieder einer sein.

— Andreas C. Knigge (Hg.): Das große Peanuts-Buch, Carlsen, 370 illustrierte Seiten, Hardcover, 29,90 Euro.

Ralf König

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