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Computerspiele: Wer spielt, sündigt nicht

Unser Gesundheitsexperte fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin. Heute: Virtuelle Welten und reale Gewalt.

Gewalthaltige Videospiele haben vor allem bei Älteren kein gutes Image. Sie gelten als primitiv, barbarisch, abstumpfend. Viele Jüngere dagegen finden nichts dabei, als Zeitreisende über die Dächer des mittelalterlichen Venedig zu hetzen, um virtuelle Schurken zur Strecke zu bringen, wie in „Assassin’s Creed“. Oder aber als US-Geheimagent den kubanischen Diktator Fidel Castro aufs Korn zu nehmen, wie in „Call of Duty“. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Wohl aber über die Gretchenfrage, ob „Killerspiele“ junge Menschen zur Gewalt im wirklichen Leben animieren oder ob alles eben nur ein Spiel ist, ein weitgehend folgenloser Ausflug in virtuelle Welten.

Dieser Frage ist Christopher Ferguson von der Texas A & M International University nachgegangen. Er untersuchte, ob amerikanische Jugendliche im Alter von zehn bis 14 durch „Gewaltspiele“ auf dem Computer oder der Konsole selbst zu Aggressionen verleitet werden. An der auf ein Jahr angelegten Studie nahmen 302 Kinder meist hispanischer Abstammung teil. Ergebnis der im Fachblatt „Journal of Youth and Adolescence“ veröffentlichten Untersuchung: Es gab keinen Hinweis darauf, dass der Konsum gewalthaltiger Videospiele mit einer Tendenz zur aggressiven Verrohung einherging. Ferguson sah sich aber die seelische Verfassung der Jugendlichen genauer an und fand heraus, dass eine depressive Stimmungslage häufig kriminellen Akten zugrunde lag.

Verstärkt wurde die Tendenz zu Handgreiflichkeiten oder Diebstahl, wenn der- oder diejenige auch noch eine „antisoziale“ Neigung hatte, also Schwierigkeiten, mit anderen zurechtzukommen. Das sind wertvolle Hinweise, deuten sie doch auf tiefere Wurzeln von Gewalt hin.

Die Vorstellung, ein Computerspiel könne Menschen aggressiv machen, ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Auch ein Bundesliagspiel (vor allem, wenn der Lieblingsverein verliert), eine verlorene Partie „Mensch ärgere dich nicht“ oder alltäglicher Stress im Straßenverkehr können aufregen und gereizt machen. Aber sie sind allenfalls der Anlass, nicht die echte Ursache von Gewaltausbrüchen.

Fergusons Untersuchung widerspricht dem Mantra, dass Computerspiele mit Gewaltelementen per se „böse“ sind. Diese Diskussion ist nicht beendet, aber sie hat eine neue Facette bekommen.

Aus der prinzipiellen Ablehnung durch die Spielekritiker spricht ein tiefes Misstrauen. Man traut dem Gamer nicht zu, Realität und Fantasie auseinanderzuhalten. Dabei bieten Spiele ja gerade die Möglichkeit, in die Haut eines anderen zu schlüpfen und fremde Welten zu erkunden. Aus der Differenz zwischen Sein und Schein schöpfen sie ihre Faszination.

Den Unterschied von Spiel und Wirklichkeit begreifen schon Kinder von drei oder vier Jahren. Wir sind keine willenlosen Automaten, die von einem Videospiel „programmiert“ werden. Wer ein Computerspiel dagegen tatsächlich mit der Wirklichkeit verwechselt, der dürfte noch ganz andere Probleme haben. Deren Ursache wiederum ist alles andere als ein Kinderspiel.

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht?

Bitte an: sonntag@tagesspiegel.de

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