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Panorama: Das angekündigte Unglück

Seit Jahren rutschen in Sao Paulo Flugzeuge über die Landebahn hinaus. Jetzt kam es zur Katastrophe

Der Händler Junios Matos glaubte einen Moment lang, er träume. Doch der Albtraum war Wirklichkeit: „Das Flugzeug beschleunigte am Ende der Landebahn und versuchte, wieder abzuheben, um der Straße auszuweichen, aber es ist in das Gebäude gekracht und explodiert“, berichtete Matos, der Augenzeuge der schlimmsten Luftfahrtkatastrophe in der brasilianischen Geschichte wurde. Vermutlich starben mehr als 200 Menschen, als ein Airbus A320 der brasilianischen Fluggesellschaft TAM bei der Landung auf der nassen Bahn des Flughafens Congonhas in Sao Paulo nicht rechtzeitig zum Stehen kam. Er raste in eine Tankstelle und einen Gebäudekomplex und explodierte. Mehrere Häuser des Wohngebiets am Flughafen brannten lichterloh.

Über Funk hatten sich Piloten zuvor gegenseitig gewarnt: „Die Piste ist so rutschig, als wäre Seife draufgeschmiert.“ Seit zwei Tagen hatte es geregnet, und auf der als Rutschbahn berüchtigten Hauptlandebahn stand das Wasser.

Der Albtraum wurde zu einem Zeitpunkt wahr, als die Gefahr eigentlich als gebannt galt. Nach langen Debatten um die Sicherheit hatte der nationale Flughafenbetreiber Infraero endlich die Hauptlandebahn sanieren lassen. Doch offenbar hatte man die Piste zu frühzeitig wieder freigegeben. Wesentliche Arbeitsschritte waren noch nicht ausgeführt worden.

Die Sicherheit des in den 30er Jahren gebauten, im dicht besiedelten Stadtgebiet gelegenen Flughafens ist seit Jahren umstritten. Die Länge der 1940 Meter langen Hauptbahn gilt für klassische Mittelstreckenjets wie dem Airbus A320 und die Boeing 737 als kritisch. Die Reservebahn ist mit 1435 Metern viel zu kurz. (Die Landebahn in Tempelhof misst 2116 Meter.) Auch eine funktionierende Regenentwässerung und der zum internationalen Standard gehörende, raue Antirutschbelag fehlten. Seit Jahren rutschten Flugzeuge bei Nässe über das Landebahnende hinaus. Erst am Montag war ein solcher Fall passiert, wie in der Vergangenheit lief der Zwischenfall glimpflich ab. Doch Experten warnten schon lange, dass eine Katastrophe nur eine Frage der Zeit sei.

Im Februar hatte deshalb sogar ein Gericht den Flugbetrieb mit größeren Jets untersagt. Die Bahn müsste um 388 Meter verlängert werden, um auch bei Starkregen die Sicherheit zu gewährleisten, hieß es damals. Doch bereits wenige Tage später hob ein Berufungsgericht das Verbot für die gängigsten Typen wieder auf. Sonst hätten die brasilianischen Airlines zu weit auswärts liegenden Plätzen ausweichen müssen. Der nur für Inlandsflüge genutzte Congonhas-Airport ist der am stärksten frequentierte Flughafen Brasiliens und somit ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Er bewältigt jährlich 18 Millionen Passagiere, so viel wie die drei Berliner Flughäfen Schönefeld, Tegel und Tempelhof zusammen. Im Mai wurde endlich mit der überfälligen Pistensanierung begonnen. Planmäßig wurde die Landebahn 45 Tage später nach Abschluss der ersten Bauphase wiedereröffnet. Man wollte die Zeit der Flugumleitungen so kurz wie möglich halten. Doch als die ersten Jets auf der erneuerten Bahn landeten, fehlten noch wichtige Komponenten. Dazu gehörten die in den Asphalt gefrästen Rillen, durch die das Wasser abfließen kann. Sie gehörten erst zur zweiten Bauphase, die bei laufendem Flugbetrieb erst Mitte August enden soll. So kam es zu der Katastrophe, die mit den Bauarbeiten eigentlich verhindert werden sollte.

Die Crew des Unglücks-Airbusses dürfte nach Einleitung des Bremsvorganges keine Chance mehr gehabt haben. Zwar sind Flugzeuge mit einem Anti-Skid-System ausgestattet, das dem ABS beim Auto entspricht. Verstärkt wird die Bremswirkung durch die Schubumkehr der Triebwerke. Doch auf einer durch mangelnde Entwässerung stark überfluteten Piste kann es trotzdem zum Aquaplaning kommen. Bei einer Landegeschwindigkeit von rund 230 Stundenkilometern und einem Landegewicht von 65 Tonnen verlängert sich die Bremsstrecke dann dramatisch. Flughäfen verfügen deshalb oft über einen zusätzlichen Puffer, befestigte Überrollflächen hinter dem Pistenende. Kann ein solches Unglück auch in Berlin passieren? Die Landebahnen der Berliner Flughäfen verfügen über einen Belag, der auch bei starkem Regen eine sichere Landung ermöglicht. (mit AFP)

Rainer W. During

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