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Datenskandal: Daten von 25 Millionen Bürgern verloren

Unfassbare Panne in Großbritannien: Auf zwei CDs waren sensible persönliche Informationen gespeichert. Betrügern sind damit Tür und Tor geöffnet.

Mit dem kecken Wurf eines braunen Umschlags in den Hauspostkasten löste ein „jüngerer Beamter“ des Finanzamts im nordenglischen Washington bei Newcastle Panik im ganzen Land und eine Regierungskrise aus. Im Umschlag waren zwei CDs mit den Personendaten von 25 Millionen Briten – unverschlüsselt, lediglich durch ein Passwort geschützt.

Der gegen alle Sicherheitsbestimmung abgeschickte Umschlag war für den britische Rechnungshof NAO im 450 Km entfernten London bestimmt. Sein Ziel erreichte er nie. Das war vor vier Wochen. Die Suchaktionen seither war erfolglos. Weder die Behörde selbst, „Her Majestys’s Revenue and Customs“ (HMRC), noch der zuständige Kurierdienst TNT, nicht einmal die Polizei konnte die Daten wieder finden. Am Dienstag endlich informierte Schatzkanzler Alistair Darling das Unterhaus – und löste landesweit Schock, Entsetzen und Ungläubigkeit aus.

Namen und Adressen von Kindergeldempfängern bis Premier Brown

Die Dateien enthielten Namen und Adressen von allen britischen Kindergeldempfängern bis hinauf zu Premier Brown selbst, dazu die Namen und Geburtsdaten der Kinder und in den meisten Fällen Kontonummern und Bankleitzahlen. Aber am schlimmsten ist, dass auch die Nationalen Versicherungsnummern von 25 Millionen Personen dabei waren. In Großbritannien, wo es keine Personalausweise gibt, ist diese schon Kleinkindern zugewiesene Nummer der entscheidende Identitätsnachweis. „So gut wie ein Pass“, meint Fachmann David Hill von der Sicherheitsagentur red24. Fürs erste empfiehlt die Agentur, wie die Regierung, „alle Kontobewegungen genau zu überwachen und regelmäßig Kontoauszüge zu prüfen“.

„Wir betreten mit dieser Katastrophe Neuland. Man kann den Ernst der Situation nicht überschätzen“, warnte der Datenspezialist Nigel Evans, Vorsitzender einer Unterhauskommission, die sich mit Identitätsdiebstahl befasst, dem weltweit am schnellsten wachsende Verbrechen. Allein in Großbritannien werde durch Missbrauch von Persönlichkeitsdaten jährlich krimineller Schaden von rund 2,5 Milliarden Euro verursacht, so Evans. Betroffen sind 7,5 Millionen Familien. Millionen wollen nun offenbar panisch ihre Konten ändern.

Bertrüger könnten neue Konten öffnen und Kredite aufnehmen

Aber mit den Daten könnte ein Betrüger neue Konten eröffnen und im Namen der Betroffenen Kredite aufnehmen, warnt Hill. Und das nicht nur in den nächsten Wochen. Wenn sich die Regierung nicht etwas einfallen lässt oder die Daten noch findet, besteht die Bedrohung auf Jahre hinaus. Sind die Daten Betrügern in die Hände gefallen, könnten diese sich Zeit lassen.

Die Briten fragen sich, wie sich ein junger Beamter über alle Sicherheitsbestimmungen hinwegsetzen konnte. Ohne Sondergenehmigung hätte er den Datensatz gar nicht kopieren dürfen und wenn, dann nur verschlüsselt. Eigentlich dürfen diese Daten das Büro nie verlassen. Dass der Umschlag nicht als Einschreiben verschickt wurde, setzt der Inkompetenz nur die Krone auf.

Als das NAO sich beschwerte, dass die Disks nicht angekommen waren, kopierte der Schuldige die Daten einfach noch einmal – und schickte sie per Einschreiben. Laut der Londoner Abendzeitung „Evening Standard“ wird er von der Behörde in einem Hotel versteckt, „um ihn vor Reportern zu schützen“.

"Wer regiert uns eigentlich?"

„Wer regiert uns eigentlich? Stan Laurel? Oder Inspektor Clouseau?“, fragte die „Times“. Premier Gordon Brown entschuldigte sich im Unterhaus „von Grund auf“ für den Skandal und fuhr fort: „Es gibt für diesen Bruch der Vorschriften keine Entschuldigung.“ Dann versuchte er, die Briten zu beruhigen. Es gebe keine Anzeichen, dass die Daten „in die falschen Hände gefallen seien“.

Seit dem Sommer ist Browns Regierung von Pleiten, Pech und Pannen verfolgt. Ein Debakel war die Absage der Wahl, auf die alle gewartet hatten. Dann verzählte sich die Regierung mehrfach bei den Einwanderungszahlen. Die schlimmste Krise kam, als der Bank „Northern Rock“ das Geld ausging. Schatzkanzler Darling gewährte einen Notkredit von 40 Milliarden Pfund – mehr als der gesamte Verteidigungsetat. Einen Tag vor der Blamage mit den Computerdaten, musste er zugeben, dass die Regierung das Geld vielleicht nicht zurückbekommt. „Garantiert der Schatzkanzler nun auch die Bankvermögen aller Kindergeldempfänger im Land", höhnte der konservative Schattenschatzkanzler George Osborne. Brown steht in der Kritik, weil er durch die Zusammenlegung von Zollamt, Steuerbehörde und der Verteilung von Sozialzuschüssen eine unübersichtliche Superbehörde kreierte und dazu noch drastische Personalkürzungen verordnete.

„Wir haben immer gewarnt“, so Gewerkschaftsboss Mark Serwotka. Kritiker verweisen nun auf die Serie von Sicherheitsfehlern in der Behörde Ihrer Majestät. Allein im den letzten 12 Monaten wurden ihr 41 Computer mit vertraulichen Daten gestohlen.

Matthias Thibaut

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