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Panorama: Dem Absturz folgt die Erschütterung

Der Schock breitet sich aus im Land – und gleichzeitig wächst der Rückhalt für den mitfühlenden Präsidenten

Von Malte Lehming, Washington

Manchmal bündelt sich in einer kleinen Szene, einem kurzen Dialog, das Ausmaß einer nationalen Tragödie. Die kleine Szene spielt am Sonnabend, es ist später Nachmittag. Vor dem Haupteingang zum „Lyndon B. Johnson Space Center", südöstlich der texanischen Stadt Houston, stapeln sich Blumen und handschriftliche Notizen. Von überall her strömen aufgewühlte Menschen, um ihre Trauer und Anteilnahme zu bekunden. Am Morgen war die Raumfähre Columbia abgestürzt und hatte sieben Astronauten in den Tod gerissen. In Houston befindet sich das Kontrollzentrum der US-Weltraumbehörde Nasa.

Die Nasa ist ein riesiger Betrieb. Unter den Bewohnern von Houston kursiert der Satz, in jeder Straße ihrer Stadt lebe ein Astronaut. Doch plötzlich ist der Stolz darauf dem Schmerz gewichen. Für den gestrigen Sonntag war im Space Center eine Willkommensfeier für die Crew der Columbia geplant. Die 50-jährige Jean Fletcher, die mit ihren drei Töchtern zu der Blumenwand am Haupteingang gekommen ist, hat noch die Einladung zu der Feier in ihrer Tasche. „Ich musste hierher kommen", sagt sie, „und ich wollte, dass meine Mädchen dabei sind. Dadurch bekommt das Ereignis für sie eine tiefere Bedeutung."

Auch Andrea Smith ist da und legt Blumen nieder. Die junge Frau hat ihren vierjährigen Sohn mitgebracht. „Ich glaube, es ist wichtig, dass mein Junge versteht, dass die Astronauten jetzt tot sind", sagt sie. Und dann schildert sie einen kleinen, ebenso absurden wie aufschlussreichen Dialog mit ihrem Sohn. Als im Fernsehen die Nachricht vom Absturz der Columbia lief, fragte der Junge: „Was ist mit den Astronauten passiert?“ – „Die sind tot.“ – „ Und wo sind sie, wenn sie tot sind?“ – „Im Himmel.“ – „Aber von dort kommen sie doch gerade.“

Jede Raumfahrt ist eine Himmelfahrt. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum die Erschütterung über die Columbia-Katastrophe in einem religiösen Land wie Amerika äußerst tief sitzt. Natürlich gibt es eine menschliche Dimension des Schocks. Da sind die Bilder der Angehörigen, wie sie voll Stolz und Vorfreude auf die Heimkehr der Astronauten warten und dann jäh erstarren, als der Funkkontakt abbricht. Jedes der sieben Schicksale geht ans Herz. Hinzu kommt, dass der Columbia-Absturz buchstäblich aus heiterem Himmel erfolgte. Fast genau 17 Jahre lang war nichts passiert. Kaum einem Amerikaner war bis zum Sonnabend wahrscheinlich bewusst, dass mal wieder eine Raumfähre 16 Tage lang im All herumgekreist war. Die Himmelfahrt war zur Routine geworden.

Automatisch werden Erinnerungen an die Challenger wach, die am 28. Januar 1986 nur 73 Sekunden nach ihrem Start explodiert war. Am selben Abend hielt der damalige US-Präsident Ronald Reagan eine Rede, die seine Popularität ernorm steigerte. „Wir werden diese Menschen niemals vergessen", sagte Reagan mit klug kalkuliertem religiösem Pathos, „wie sie sich an diesem Morgen auf ihre Reise vorbereiteten, uns zuwinkten und die harten Fesseln der Erde abstreiften, um das Gesicht Gottes zu berühren."

Leidet die Irak-Kampagne Schaden?

Nach dem Columbia-Absturz trat am frühen Nachmittag ein sichtlich mitgenommener George W. Bush vor die Kameras. Auch er bestand die Tröstungs-Prüfung meisterhaft. Er zitierte aus der Bibel den Propheten Jesaja – „Erhebt Eure Augen und seht zum Himmel. Wer hat all dies geschaffen?“ – und fuhr dann fort: „Derselbe Schöpfer, der die Namen aller Sterne kennt, kennt auch die Namen der sieben Seelen, um die wir heute trauern. Die Astronauten der Raumfähre Columbia sind nicht sicher zur Erde zurückgekehrt, aber wir können darum beten, dass sie alle sicher daheim in Gottes Hand sind." Mit diesen Worten traf Bush die nationale Stimmung perfekt. Fast stündlich wurde am Sonnabend seine dreiminütige Ansprache auf allen US-Nachrichtenkanälen wiederholt. Seinem Ansehen als Präsidenten hat das zweifellos genützt. Deshalb wird diese Katastrophe voraussichtlich ohne gravierende Auswirkungen auf die politische Agenda der US-Regierung bleiben. Ob Kampf gegen den Terror, Nordkorea-Krise oder Irak-Konflikt: Bush wird auf jeden Fall bemüht sein, nicht den Eindruck der Überforderung zu erwecken. Statt dessen wird er seinen Landsleuten und der Welt beweisen wollen, mehrere Konflikte gleichzeitig bewältigen zu können. In Stunden der Trauer für einen Krieg zu werben, mag delikat sein. Bush darf nicht pietätlos wirken. Aber für seine Widersacher ist die Aufgabe keinesfalls leichter geworden. Wer aus einer nationalen Raumfahrt-Katastrophe Argumente gegen den Krieg ableitet, gerät schnell in den Verdacht, eine menschliche Tragödie politisch instrumentalisieren zu wollen.

Ungeachtet dessen preschte am Sonntag in der „New York Times" ein Friedensaktivist der Carnegie-Stiftung vor. „Das Desaster bewegt die ohnehin schon beunruhigten Gefühle im ganzen Land", so Joseph Cirincione. Der Tod der sieben Astronauten rufe auch ins Bewusstsein, dass in einem Krieg gegen den Irak „zehn Mal, vielleicht hundert Mal so viele" Amerikaner sterben könnten. Doch wer wirklich glaubt, das Reden vom Krieg sei für Bush durch den Absturz der Columbia schwieriger geworden, wird sicher rasch eines Besseren belehrt. Der Rückhalt für den US-Präsidenten und die Zustimmung der Amerikaner zu einem Irak-Krieg wachsen stetig. Am Sonnabend, dem Tag der Columbia-Katastrophe, veröffentlichte die „Washington Post" ihre jüngste repräsentative Umfrage, die die Zeitung, gemeinsam mit dem Fernsehsender ABC nach der Dienstag-Rede von Bush an die Nation durchgeführt hat. Demnach spricht sich mit 51 Prozent der Befragten erstmals eine Mehrheit der Amerikaner für einen Irak-Krieg auch ohne UN-Mandat aus.

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