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Panorama: Denn sie wissen, was sie tun

Am Wochenende beginnt am Rande von Berlin die Saison der illegalen Autorennen – wer sind diese jungen, rasenden Männer?

Es dröhnt, qualmt und stinkt. Reifen drehen durch. Applaus und begeisterte Aufschreie mischen sich mit einem schmerzhaft lauten Motorengeheul. Die Gesichter der Fahrer verschwinden unter dem tief sitzenden Basecap. Abgedunkelte Scheiben verhindern einen Blick von der Seite und von hinten ins Innere. Dafür glänzen Lack und Chromteile umso heller. Vielleicht schützt sich der Boss deshalb mit einer großen Sonnenbrille. Majestätisch tritt er vor die beiden nebeneinander stehenden Autos. Sein linker Daumen geht nach oben. Niemand versteht bei dem Lärm sein eigenes Wort. Der schwergewichtige Mann zeigt jetzt mit dem Finger auf die Fahrer, schwenkt eine schwarze Fahne und verschwindet im Nebel. Die beiden Autos rasen davon. Keine 30 Sekunden vergehen. Dann tauchen sie wieder am Start auf. Millimeter entscheiden über den Sieg. Die Vollbremsung schmiert schwarze Streifen auf den Asphalt. Mehrere hundert Zuschauer strömen zu den Fahrern und ihren schnellen Kisten.

Die Rituale solcher illegalen Autorennen – wie dieses im September in Blumberg im nördlichen Berliner Umland – gleichen sich oft bis ins kleinste Detail. Nur die jeweils ausgesuchte Strecke bestimmt den Ablauf dieser höchst gefährlichen und massiv von der Polizei bekämpften Aktionen an den Wochenenden. Ein stillgelegter Flugplatz lässt schließlich längere Rennen zu als eine Straße in einem Gewerbegebiet oder ein Zufahrtsweg zu einem Einkaufszentrum.

Schon seit Jahren gehört die Rubrik „Illegale Autorennen“ zur offiziellen Verkehrsunfallbilanz des Landes Brandenburg. Für 2004 vermerkt sie 14 Unfälle, drei mehr als 2003. Doch hier tauchen nur von den Beamten erfasste Unfälle auf, die sich vor allem auf ganz normalen Straßen zutragen. Oft liefern sich jugendliche Fahrer ganz spontan ein Rennen, ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer. Die schnurgerade Bundesstraße 1 zwischen Seelow und Manschnow nahe der Grenze zu Polen gehört ebenso wie Alt-Mahlsdorf in Hellersdorf und Alt-Friedrichsfelde in Lichtenberg zu den favorisierten Straßen. Hier kann die Polizei kaum eingreifen, während sie bei den mittels SMS und Anrufen organisierten Treffs mit mehreren hundert Teilnehmern schon eher eine Chance besitzt. Für das kommende Wochenende bereiten sich die Ordnungshüter auf „verstärkte Kontrollen aller potenziellen Orte“ vor, wie es heißt. Nicht nur die steigenden Temperaturen lassen die gefährliche Lust auf solche Mutproben wachsen. Viele der in den Wintermonaten aufgemotzten Fahrzeuge tragen nur Saisonkennzeichen, so dass sie erst ab dem heutigen 1. April auf die Straßen dürfen. Selbst Beispiele von tödlichen Unfällen üben fast keine abschreckende Wirkung aus. Am Karfreitag war in Bielefeld ein Pkw in eine am Straßenrand stehende Zuschauergruppe gerast, nachdem sich ein Opel Corsa mit einem BMW ein Rennen geliefert hatte. Eine 25-jährige Frau starb, acht Menschen erlitten schwere Verletzungen. Der Grund für die gespielte oder tatsächliche Abgeklärtheit der „Rennfahrer“ ist leicht zu erklären. Sie sind meistens 18 oder 19 Jahre alt und ohne Lebenserfahrung und Fahrpraxis. Sie holen sich ihre Anerkennung bei solchen Treffen, die meist ganz harmlos an irgendeiner Tankstelle beginnen. Hier wird geprotzt, geurteilt und vor den vielen Frauen angegeben, die sich dort einfinden. Die meisten Autos haben lange keine offizielle Werkstatt gesehen. Nur die Szene kennt die Adressen der versteckt liegenden Hallen oder Schuppen zum Bauen, Schrauben und Spritzen.

Sammy, wie der 19-jährige Berliner von seiner Clique genannt wird, zeigt nach dem Versprechen der Verschwiegenheit seinen „Montageplatz“. Er liegt auf einem ehemaligen Kasernengelände, etwa 20 Kilometer hinter der nördlichen Berliner Stadtgrenze. Schon auf dem Hof wird klar, warum sich die jungen Leute so große und aufwändig umfrisierte Autos leisten können. Überall stehen Unfall- und Schrottwagen. „Aus drei mach eins“, sagt Sammy und montiert von einem gerade eingetroffenen und völlig demolierten Audi gleich das silberne Typenschild vom Heck ab. „Die haben auf unseren Autos nichts zu suchen“, nennt Sammy ein wichtiges Ritual. „Am besten ist es, wenn niemand auf Anhieb die Marke erkennen kann. Dann haben wir gute Arbeit geleistet und Opel, VW, BMW oder Audi ein Schnippchen geschlagen.“ Ausländische Marken finden sich hier überhaupt nicht. In der „Werkstatt“ fällt der Blick auf noch Jüngere. 15- und 16-Jährige schleppen Stoßstangen, feilen und hämmern. Für einen Augenblick könnte man es für eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung halten. Denn gerade in ländlichen Gebieten gibt es sonst keine andere Abwechslung. „Meine Alten sind ohne Job und halbe Alkis. Überall liegen in unserer Wohnung Schnapsflaschen“, erzählt ein hoch aufgeschossener Junge mit ölverschmiertem Gesicht. „Da bleibt doch nur die Bushaltestelle oder die Werkstatt. Hier lernt man wenigstens etwas.“ Obwohl sie es gegenüber dem Fremden nicht zugeben, setzen sich die Heißsporne auch hinters Lenkrad und drehen Proberunden auf dem Kasernengelände und wahrscheinlich auch auf den angrenzenden kleinen Straßen. Schon deshalb soll niemand von der „Werkstatt“ erfahren.

Es ist ein widersprüchliches Bild: Einerseits ist das Treiben der jungen Männer verboten, rücksichtslos und gefährlich. Andererseits sind diese jungen Männer in dem großen Meer der Arbeitslosigkeit diejenigen, die sich enorme KFZ-Fertigkeiten anlernen und in ihrer Freizeit tüchtig an ihrem Hobby arbeiten. Es sind nicht die Herumlungernden, die Diebe und die destruktiven Randalemacher. Nein, sie trinken keinen Alkohol. Es sind junge Männer, die sich um eine Beziehung zu ihrer Freundin bemühen und in einer schwierigen Phase des Erwachsenwerdens sich tüchtig, mutig und manchmal gedankenlos und unbekümmert dem Leben stellen.

Ganz langsam rollt ein dunkelblauer Golf über die unebenen Betonplatten. Er ist so tief gelegt worden, dass ihm jede Bodenwelle zum Verhängnis werden könnte. „Es sieht einfach geil aus“, ruft der Fahrer und erzählt ganz offen von seinen Problemen. Sein Auto ist so tief gelegt, dass er nicht über die Einfahrt des väterlichen Grundstücks kommt. Seine Freundin muss vorher aussteigen, damit sich der Wagen um einen entscheidenden Zentimeter hebt. Er könnte auch den Kofferraum auspacken, aber der ist tabu. Er steckt voller Lautsprecherboxen. Erst im vierten Anlauf hat der junge Mann wegen der vielen Umbauten die Tüv-Plakette erhalten. Heute würde er bei einer Polizeikontrolle wahrscheinlich die Zulassung wieder verlieren. Jeden Euro steckt er in veränderte Spoiler, einen noch breiteren Spurabstand der Hinterräder oder in eine perfektere Alarmanlage. „Das Auto ist mein Lebensinhalt.“ Seine Freundin lächelt. „Wer steht schon nicht gern im Mittelpunkt“, sagt die 18-Jährige. „Wenn wir zum Treffen oder Rennen fahren, gucken doch alle. Einfach cool.“ Klar habe ein Typ mit einem tollen Auto größere Chancen bei den Mädchen. „Das zeigt doch, dass er etwas kann und Geld hat.“

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