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Panorama: Der große Sturm

Wie Flüchtende die Ankunft des Hurrikans „Rita“ in einer Notaufnahme in Somerville, Texas, erlebten

Im Gemeindezentrum von Somerville, einer Notaufnahme 50 Meilen westlich von Houston, und im benachbarten Motel sitzen sie am Samstag seit sechs Uhr früh wieder vor dem Fernseher – ein bisschen ungläubig, dass sie so unbehelligt geblieben, dass sogar Strom und Telefon noch intakt sind. Sorgenvoll sind die Gesichter gleichwohl angesichts der Bilder aus ihren Heimatorten. Noch immer brennt es in Galveston, der Wind heizt das Feuer mehr an als der heftige Regen beim Löschen hilft. Das Yaga-Restaurant ist eingestürzt. Auch aus Houston Berichte von Zerstörung, viele Straßen seien mit Glassplittern übersäht, sagt der CBS-Reporter, und 650000 Haushalte in der Region ohne Strom, eine Woche werde die Reparatur dauern. In welchem Zustand sind ihre eigenen Häuser? Noch ist es dunkel, niemand hat einen Überblick über die Schäden. Und alle zittern, wie es wohl um Port Arthur aussieht, an der Staatsgrenze von Texas und Louisiana, wo das Zentrum von „Rita“ die Küste erreichte.

Schon die Bilder vom Aufprall des Wirbelsturms auf die Küste, vier bis fünf Stunden zuvor mitten in der Nacht, waren furchteinflößend: aufgepeitschte Wellen, Palmen, die sich im Wind bogen, als würden sie sich nie mehr aufrichten, tanzende Stromleitungen, Regen, den der Wind fast waagrecht durch die Straßen trieb. Wie eine gewaltige Wasserwand brach „Rita“ über die Küste herein, berichten Augenzeugen bei CNN. Selbst etliche Stunden nachdem das Zentrum des Hurrikans aufs Festland geprallt war, hielten die schweren Niederschläge unerbittlich an. Die Behörden rechnen mit katastrophalen Überschwemmungen, da sich die Lage auch in den kommenden Tagen kaum ändern soll. Häuser brachen zusammen, Dächer flogen durch die Luft. Das Ausmaß der Verwüstung war am späten Samstagabend noch nicht abzusehen.

Gegen 22 Uhr am Freitagabend hatte auch in der Notaufnahme in Somerville der Wind spürbar zugenommen. Auf einmal wachsen die Zweifel an der Widerstandskraft der Backsteinwände, die bei Tageslicht noch einen so soliden Eindruck machten. Wird das Blechdach halten oder werden starke Böen es Streifen für Streifen aus der Halterung schälen, wie das einen Monat zuvor vielerorts auf den Fernsehbildern vom Hurrikan „Katrina“ zu sehen war? Dichte Bäume rundum bieten hier einen Windschutz, aber plötzlich wirken auch sie bedrohlich. Was, wenn der Sturm sie auf das Gebäude stürzen lässt? Die zivilisatorischen Hüllen, mit denen der Mensch sie schützt, wirken in solchen Momenten plötzlich sehr zerbrechlich. Aber, auch das lehrt „Rita“: Rechtzeitige Flucht rettet Leben. 40, 50 Meilen machen einen großen Unterschied, weil ein Hurrikan an Land schnell an Kraft verliert.

Doch die Experten warnen weiter. Ed Rappaport vom Hurrikan-Zentrum in Miami sagte, Sorge bereite, dass sich „Rita“ – wenn auch dann nur noch als herabgestufter Tropensturm – voraussichtlich für zwei Tage im Grenzgebiet von Texas, Arkansas und Oklahoma „festsetzen“ werde. Hier drohten massive Überschwemmungen. „Rita“ wird die Küste in Louisiana und Texas noch über Tage fest im Griff halten, warnte der Direktor des Hurrikan-Zentrums in Miami, Max Mayfield. Die schweren Regenfälle werden nach seinen Angaben noch drei, vier oder fünf Tage anhalten und zu Überschwemmungen führen.

Frank Maldonado und seine Frau Marcelina haben in der Notaufnahme von Somerville eine Suppe gekocht, heißer Kaffee und kühler Eistee stehen bereit. Für den nach Mitternacht erwarteten Stromausfall hat der 74-Jährige, der 1953 mit der Armee in Deutschland war, eine Autobatterie für Notbeleuchtung installiert. Auch im nahen „Super-8-Motel“ haben sich die Gäste um den Fernseher versammelt. David Braun hat die Zimmer für seine Familie bereits am Montag reserviert, am Dienstag waren alle 48 Räume ausgebucht. Relativ früh am Mittwoch ist der 50-jährige Gemeinderat aus dem Küstenstädtchen Nassaubay südlich von Houston mit Frau, Sohn und Tochter hierher gefahren, fast problemlos. Freunde, die erst nach der Arbeit loskamen, steckten zwölf Stunden im Stau. Die Häuser haben sie mit Holzplatten vernagelt, die Möbel gestapelt, „die besten Stücke nach oben“. Der Ort ist auf drei Seiten von Meer umgeben, an der vierten führen vier Straßen hinein. Die haben sie verbarrikadiert, um Plünderer abzuhalten. Vor vier Wochen haben sie selbst 300 Katrina- Flüchtlinge aufgenommen, von den 4700 Einwohnern meldeten sich 600 Freiwillige zu deren Betreuung. „Ging einer Familie die Babykleidung aus, war die in 20 Minuten da.“ Die 300 mussten nun wieder auf die Flucht. Angie, eine 65-jährige weiße Rentnerin aus New Orleans ist mit nach Somerville gekommen. Sie hat alles verloren, außer ihrer Zuversicht. „Gott weiß, wie es weitergeht.“ (mit dpa)

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