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Cholera auf Haiti: Der Tod aus dem Fluss

Neun Monate nach dem verheerenden Erdbeben kämpft Haiti gegen die Ausbreitung der Cholera. Die Quelle der Epidemie ist offenbar eine starke Verschmutzung des Artibonite-Stroms.

In Haiti wächst die Angst vor der Ausbreitung der Cholera auf das ganze Land. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben schon mehr als 220 Menschen an der Durchfallerkrankung, etwa 3000 haben sich bereits angesteckt. Anfangs war die Epidemie auf eine Region nördlich der Hauptstadt Port-au-Prince um den Fluss Artibonite beschränkt. Am Sonntag aber bestätigten die UN auch fünf Cholera-Fälle in der Hauptstadt. Andere Quellen berichten zudem von drei Toten.

Die Cholera-Toten in Port-au-Prince kamen nach Informationen von Hilfsorganisationen aus dem zuerst betroffenen Gebiet. „Es besteht zumindest die Chance“, sagt deshalb Helga Kuhn, Sprecherin beim Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef, „dass das isolierte Fälle waren und die Cholera in Port-au-Prince nicht ausbricht.“ Allerdings ist das angesichts von einer Million Menschen in Flüchtlingslagern wohl nur ein frommer Wunsch. „Sonst wäre das die befürchtete Katastrophe nach der Katastrophe.“

Um genau die zu vermeiden – und eine Panik, wie sie in der betroffenen Region herrscht, wo die Menschen aus Angst die völlig überfüllten Krankenhäuser stürmen – gilt für alle Hilfsorganisationen eine neue Priorität: Hygiene-Aufklärung heißt inzwischen die wichtigste Maßnahme, neben dem verstärktem Einsatz von Wasserreinigungstabletten, der Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und der Analyse von Wasserquellen. Die UN hat den Organisationen zu dem Zweck jeweils Untersuchungs- und Aufklärungsgebiete zugeteilt, berichtet Iris Manner von der Hilfsorganisation World Vision.

Die Hilfsorganisationen befürchten aber, die Epidemie nicht eingrenzen zu können. Bei einem Treffen am Samstag waren sich die Experten vor Ort in ihrem Pessimismus recht einig, wie Lutz Hahn berichtet, der für World Vision in Haiti ist. „Man ist sich praktisch sicher, dass die Cholera auch in andere Gebiete des Landes kommt.“ Hahn reist seit einer Woche wieder durchs Land, am Sonntag war er auf dem Weg zurück in die Hauptstadt. Dringend müsse dort jetzt die Aufklärung anfangen, um eine Panik wie im Gebiet entlang des Artibonite, rund 100 Kilometer nördlich von Port-au-Prince, zu verhindern. „Die große Angst hier ist, dass in den Camps Panik ausbricht“, sagt Hahn. Dabei sei Cholera doch ein Hygiene–Problem und eigentlich relativ leicht in den Griff zu bekommen – allerdings nur, wenn man dafür die Bedingungen schaffe.

In den etwa 1300 Camps rund um Port-au-Prince drängen sich seit dem schweren Erdbeben vor neun Monaten hunderttausende Menschen unter improvisierten Plastikplanen und in Zelten, wie Hilfsorganisationen berichten. „In den Camps herrschen ganz schlechte hygienische Bedingungen“, berichtet Joost Butenop, medizinischer Berater bei der Caritas: Zu wenige Latrinen für die vielen nach dem Beben obdachlos gewordenen Menschen, kein adäquater Abfluss von Waschwasser und schlechte Drainagen, um die Abwässer abzuleiten. Es müsse nur auf die überfüllten Latrinen regnen, schon sei die Verbreitung von Bakterien so gut wie sicher. Problematisch sei paradoxerweise auch, dass etwa 80 Prozent von Cholera-Erkrankungen einen leichten Verlauf nähmen. Die Leute fühlten sich nicht krank genug, um zum Arzt zu gehen – und verbreiteten die Krankheit, ohne es zu merken. Butenop geht deshalb von einer fünfmal höheren Zahl von Krankheitsfällen aus als die von den UN genannten 3000. „Die Wahrscheinlichkeit, dass uns das in Haiti um die Ohren fliegt, ist relativ hoch“, konstatiert Butenop. Um eine Ausbreitung zu verhindern stünden jetzt die Verteilung sauberen Trinkwassers, ausreichende Sanitäreinrichtungen und Gesundheitsaufklärung im Vordergrund.

Die Krankheit, die in Haiti eigentlich vor über hundert Jahren ausgerottet wurde, war im Norden und im Zentrum des Landes entlang des Flusses Artibonite ausgebrochen. Es wird vermutet, dass eine starke Verschmutzung des Artibonite-Flusses die bakterielle Krankheit auslöste. Tausende Menschen nutzen den Strom täglich, um an Wasser zum Waschen oder Kochen zu kommen.

Cholera ist hoch ansteckend und kann zu starkem Durchfall und Erbrechen führen. Wird die Krankheit nicht behandelt, ist sie durch die schnelle Austrocknung des Körpers und den raschen Gewichtsverlust oft tödlich. Besonders Kinder, warnt Unicef, sind gefährdet, an Cholera zu sterben.

Haitis Regierung hatte den Ausbruch der Krankheit am Freitag bestätigt. Nach Angaben von Gesundheitsminister Alex Larsen handelt es sich beim Auslöser um einen besonders gefährlichen Cholera-Stamm. Ein Vertreter des Gesundheitsministeriums von Haiti sagte inzwischen, die Lage sei „unter Kontrolle“. „Die Bevölkerung sollte nicht in Panik verfallen, aber die Menschen müssen die Hygiene sehr ernst nehmen.“ Gesundheitsminister Larsen und Staatschef René Préval waren am Samstag in den betroffenen Gebieten unterwegs. Die Behörden bemühten sich darum, die Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Nach Angaben der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation blieb die benachbarte Dominikanische Republik – ein beliebtes Ferienland – von der Cholera bislang verschont. Die haitianische Regierung erstellte für die Grenzregion bereits einen Notfallplan, die Grenzen sollen aber vorerst offengehalten werden.

Und dabei droht dem Land eine weitere Gefahr: Port-au-Prince könnte von einem weiteren schweren Erdbeben erschüttert werden. Bei dem verheerenden Beben mit rund 250 000 Toten im Januar sei die unterirdische Spannung an einer berüchtigten geologischen Bruchstelle wahrscheinlich nicht völlig freigesetzt worden, erklärte ein US-Forscherteam am Sonntag. Die Bruchlinie bleibe daher eine „ernsthafte Gefahr“ für Haiti, erklärten die Wissenschaftler. mit AFP

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