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Männer

© Mauritius Images

Alter: Der unbewegte Mann

Jungs sind dümmer, Jobs gehen an Frauen, Ehegatten fliegen raus, es lauert der frühe Tod: Mit dem starken Geschlecht geht es bergab. Doch seine Vertreter verharren, als sei nichts – und schaufeln so ihr eigenes Grab. Ein Aufschrei.

Im letzten Sommer beklagte sich eine Freundin, eine gut aussehende, intelligente Frau, eben 52 geworden, nach einigen Gläsern Rotwein, dass es keine vernünftigen Männer in ihrem Alter gebe. Entweder seien sie spießig oder grob oder Feiglinge. Ich habe das damals nicht ernst genommen. Mittlerweile muss ich zugeben, dass sie so unrecht nicht hat: Viele Männer sind – kulturell gesehen – etwas zurückgeblieben. Die Frauenbewegung, die ihnen um 30 Jahre voraus ist, betrachten sie noch immer als etwas Fremdes, mit dem sie nichts zu tun haben: „Das machen die Frauen unter sich aus.“ Die Entwicklung der Geschlechter ist dadurch so asynchron verlaufen, dass Männer zunehmend Übersetzungshilfen benötigen („Frau – Deutsch, Deutsch – Frau“), um ihre wachsenden Verständigungsprobleme zu bewältigen.

Die Zurückgebliebenheit der Männer wird inzwischen nicht mehr ernsthaft bestritten. Dass die Jungs die Haupt- und Sonderschulen bevölkern, während die Mädchen die Gymnasien und die Universitäten erobern, dass junge Männer zu „Sitzenbleibern“ werden, weil ihnen – wie im glatzköpfigen Osten – die Frauen in Scharen davonlaufen, das hören und lesen wir seit geraumer Zeit. Doch stärker noch trifft die Krise die Älteren. Vielleicht sollten wir zunächst ein paar grundlegende Fakten zur Kenntnis nehmen:

Männer sterben in Deutschland rund fünfeinhalb Jahre früher als Frauen. Lägen die Verhältnisse umgekehrt, fegte ein Sturm der Entrüstung durchs Land, gegen den die bisherige Frauenbewegung wie ein laues Lüftchen erschiene. Doch Männer, damit hat sich die Gesellschaft stillschweigend abgefunden, sind für ein frühes Sterben wie geschaffen. Dass ihr vorzeitiges Ableben nicht am Testosteronüberschuss liegt, sondern an Dummheit, Angst, Benachteiligung und Unvernunft, wird hierzulande gern übersehen. So weigern sich Bundesgesundheitsministerin und Kanzlerin standhaft, neben einem Frauen- auch einen „Männergesundheitsbericht“ vorzulegen. Dabei erleiden Männer drei Mal so häufig Unfälle und Herzinfarkte wie Frauen. Sie setzen sich größeren Gefahren im Beruf aus, haben einen ausgeprägteren Hang zu fettem Essen, Alkohol und Rauchen, bringen sich vier Mal so häufig um und gehen seltener zu Vorsorgeuntersuchungen.

Während Frauen die Angebote des Gesundheitswesens ausgiebig nutzen, halten sich Männer weitgehend zurück. Laut Statistischem Bundesamt kostete die Gesundheitsversorgung von Frauen im Jahr 2004 durchschnittlich 3110 Euro, die von Männern 2320 Euro. Alle Männer zusammen verursachten Kosten von 93,6 Milliarden Euro, die Frauen hingegen verbrauchten 131 Milliarden Euro – obwohl sie „lediglich“ 51,1 Prozent der Bevölkerung stellen. Der Kostenunterschied von fast 35 Prozent hat aber nichts mit dem (vergleichsweise geringen) Aufwand für Schwangerschaft und Geburt zu tun. Hauptgrund ist die lange Lebensdauer der Frauen. Am stärksten zeigen sich die Unterschiede bei der Pflegeversicherung: Drei Viertel der Mittel kommen den Frauen zugute (obwohl sie „nur“ zwei Drittel der Pflegebedürftigen stellen), ein Viertel geht an die Männer.

Auch bei den Renten macht sich die Lebensdauer der Frauen bemerkbar. Nicht nur gibt es wesentlich mehr Rentnerinnen als Rentner, sie beziehen ihre Alterseinkünfte auch wesentlich länger. 2006 lag die durchschnittliche Rentenbezugsdauer von Männern volle vier Jahre unter der von Frauen. Vor 40 Jahren klaffte die Schere nur halb so weit auseinander. Zwar beziehen die meisten Frauen (vor allem im Westen) kleinere Renten als Männer, aber in der Regel werden diese durch die Altersbezüge der verstorbenen Ehemänner verdoppelt oder verdreifacht. Witwenrenten sind zehn Mal häufiger als Witwerrenten.

Dennoch nimmt die Zahl der allein lebenden älteren Männer rapide zu. Ehescheidungen nach der Silberhochzeit haben sich in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt. Und über 60 Prozent der Scheidungsanträge werden von Frauen gestellt. Die sich emanzipierenden reifen Frauen, sagt die New Yorker Lebenskrisenchronistin Gail Sheehy, „erleben erst jetzt große berufliche Erfolge oder erfüllen sich lang gehegte Wünsche“, während viele Männer in den Fünfzigern ängstlich seien, „weil ihre Karrieren dem Ende zugehen.“ Auch hier fordert die asynchrone Entwicklung ihren Tribut. Nach Meinung der amerikanischen Neuropsychiaterin Louann Brizendine sehen viele Frauen über 50 nicht mehr ein, „warum sie sich um einen ungeliebten Ehemann kümmern sollen“. Sie verlassen den Langweiler. In den USA, so Brizendine, leben heute bereits mehr als die Hälfte der Frauen über 50 ohne Ehemann. Und diese Entwicklung wird auch die Bundesrepublik mit einiger Verzögerung erreichen. Nach den Hochrechnungen des fünften Altenberichts der Bundesregierung wird sich die Zahl der allein lebenden älteren Männer bis 2030 „auf fast das Dreifache“ erhöhen. Wie diese Männer ihren Alltag bewältigen sollen, steht noch in den Sternen. Sie haben in der Regel weniger Sozialkontakte und weniger praktische Fähigkeiten zum Überleben.

Noch eine andere Tendenz greift in den westlichen Dienstleistungsgesellschaften um sich: die Ausmusterung überzähliger, zu teurer Männer aus den Betrieben. Der Blick der Gesellschaftskritiker ist noch immer allzu sehr auf die schmale Führungsschicht gerichtet, wo (Alpha-)Männer klar in der Überzahl sind. Doch unterhalb dieser schmalen Schicht haben sich die Verhältnisse verschoben. Was die Frauenrechtlerin Susan Faludi vor acht Jahren am Beispiel der amerikanischen Verhältnisse beschrieb („Männer – Das betrogene Geschlecht“), zeichnet sich auch hierzulande ab: der radikale Abbau „männlicher“, gut bezahlter Vollzeitarbeitsplätze. Wo künftig emotionale Intelligenz, Flexibilität und Kommunikationsfähigkeit gefordert sind, haben Männer nichts mehr zu melden. „Alpha-Mädchen“ verdrängen die „Beta-Männchen“ aus ihren Jobs. Die Wirtschaft hat das Potenzial der jungen Frauen erkannt und möchte die nicht so belastbaren, nicht so gut ausgebildeten, nicht so ehrgeizigen und nicht so flexiblen Männer lieber heute als morgen entsorgen. Die Erwerbsquote der 55- bis 64-jährigen Männer ist zwischen 1970 und 2000 um 28,3 Prozent gesunken, die der Frauen in sämtlichen Altersgruppen über 30 gestiegen (die unter 30-Jährigen studieren). Kurzfristig führen diese Umschichtungen zu Lohneinbußen für die verbleibenden Männer: Warum sollen sie besser bezahlt werden als die noch hungrigen, in mancher Hinsicht effektiveren Frauen?

Obwohl sich die Lage der Männer zusehends verschlechtert, schweigen sie zu allem, was ihr Geschlecht betrifft. Statt sich über gemeinsame Interessen zu verständigen, wie es die Frauenbewegung in ihren Anfängen erfolgreich getan hat, fressen die Männer alles in sich hinein, flüchten ins Komische oder Kindische, stecken den Kopf in den Sand, tauchen in skurrile Reservate ab, implodieren oder explodieren. Sie treiben sich auf Computerspiel- oder Automessen herum, probieren es mit Komasaufen, Extremklettern, Harley fahren oder Free Fighten, schauen sich, mit dem Sixpack in der Hand, geölte Waschbrettbäuche in den Bodybuildingmagazinen an oder gigantische Muldenkipper und Kettenbagger im Männerfernsehen – oder sie machen sich als infantile Comedians und Filmclowns zu den Deppen, Trotteln und Vollidioten der Nation.

Was den Männern fehlt, ist eine ernsthafte Auseinandersetzung über ihre Lage und Zukunft. Die Frauenbewegung hat gezeigt, wie man Auseinandersetzungen einfädelt und führt. Aber die Männer haben zu viele (Berührungs-)Ängste. Sie lassen sich einreden, Themen, die Männer betreffen, seien nur etwas für Christopher-Street-Days oder Weicheier. Sie können Seilschaften bilden, aber keine Netzwerke. Sie sind rückwärtsorientiert. Sie bewegen sich nicht vom Fleck. Man könnte es Angststarre nennen.

Natürlich gibt es Vermutungen, warum sich Männer so schwer tun, ihre Interessen zu vertreten. Frauen, sagen die (wenigen) Männerforscher, hatten es da einfacher: Sie konnten in den 1970er Jahren pauschal und plump „gegen die Männer“ antreten, während die Männer, wenn sie etwas ändern wollen, immer zuerst gegen sich selbst antreten müssen.

Doch diese Schwarz-Weiß-Theorie vom Kampf der Geschlechter ist allzu oberflächlich (und nebenbei: auch dumm). Sie ignoriert die enormen Unterschiede zwischen den Männern. „Die Männer“ gibt es so wenig wie „die Frauen“. Die alte Geschlechterfront hat sich aufgelöst. Standen vor 30 Jahren Alpha- und Beta-Männer als „das Patriarchat“ auf der einen Seite der Barrikade, während Alpha- und Beta-Frauen als „Unterdrückte dieser Erde“ den Angriff von der anderen Seite führten, so fand in den letzten Jahren ein bemerkenswerter Umgruppierungs-Prozess statt: Beta-Männchen und Alpha-Weibchen tauschten die Plätze. Der Preis, den die „Power-Frauen“ für ihre „Wende“ bezahlten, ist hoch: Sie haben sich von der gesellschaftlichen Emanzipation für alle verabschiedet und beschränken sich ganz auf die eigene Karriere.

Aufgabe einer künftigen Männerbewegung wäre es, die lendenlahm gewordene Frauenbewegung, die sich zu einer Ein-Punkt-Bewegung (Karriere! Karriere! Karriere!) verengt hat, wach zu rütteln – oder wach zu küssen – und zu gemeinsamem Handeln aufzufordern. Denn es gibt mehr Themen zwischen Himmel und Erde als die gerechte Quote in den Vorstandsetagen. Emanzipation ist Sache aller Schichten einer Gesellschaft. Die asynchrone Entwicklung, welche die Geschlechter in den vergangenen 30 Jahren voneinander entfernt hat, muss neu synchronisiert werden. Die Männer sind am Zug.

Vielleicht haben es die attraktiven 52-jährigen Frauen dann nicht mehr so schwer, einen Mann in ihrem Alter zu finden, mit dem sie auch etwas anfangen können.

Von dem Autor ist gerade das Buch „Einsame Klasse – Wenn Männer in die Jahre kommen“ erschienen (Booklett Verlag, 208 Seiten, 18,90 Euro)

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