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Design: Das neue Schwarz

Die Engel und der Papst wussten es schon immer: Weiß tut unschuldig und strahlt hell. Jetzt entdecken Architekten und Designer die Kraft des Understatements neu.

Am Anfang war das Rot. Als Stephanie Albrecht ihre erste Patisserie in Berlin eröffnete, entschied sie sich für Rot als Firmenlogo: Was sollte besser zu ihren Himbeertörtchen und Erdbeer-Petit Fours passen als diese fruchtige Farbe? Da war Weiß nur die logische Konsequenz. Mit dem intensiven Rot konnte keine andere Farbe mithalten – außer dem Weiß, das es erst richtig zum Leuchten brachte. Und so hat, wer sich nun in Albrechts Patisserie setzt, eher das Gefühl, in Frankreich in den Ferien zu sein als im verregneten Berlin: Weiße Gartenbänke, weiße Korbsessel, weiße Tische strahlen, als ob jeden Tag Sommer wär’.

Vor drei Jahren war es für die Konditorin noch gar nicht so einfach, weiße Möbel und Accessoires zu finden. Heute, zwei Filialen später, hat sie damit keine Schwierigkeiten mehr. Im Gegenteil: „Es gibt viele Läden, die meinen, sie müssten alles nur schneeweiß einrichten, schon sind sie trendy und schick.“

Weiß ist das neue Schwarz: die dominierende Farbe der edlen Eleganz, bei Autos, Kleidern und Handtaschen. Auf den Möbelmessen in Mailand und Köln strahlte es den Besuchern von allen Seiten entgegen, riesige Sofas, glänzende Tische, Sessel, Lampen und Regale. Kinderfeindliche Singlemöbel, stöhnten Familienmenschen – aber vorzugsweise aus abwaschbaren Materialien wie Kunststoff oder Leder. Es gibt einen Internethändler, der von der Bettwäsche bis zum Vogelhäuschen nur Weißes anbietet, Hotels, die alle Zimmer weiß eingerichtet haben, in Wohnungen hat sich das Weiß in Weiß so breit gemacht wie in Lokalen. Wobei die Frage, wer Henne war und wer das Ei, eher uninteressant ist: Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum sind längst ebenso fließend wie die zwischen Drinnen und Draußen. Großstadtkneipen sehen aus wie Omas Wohnzimmer, Gartenbänke dürfen drinnen stehen und Sofas draußen.

Wie jeder Trend ist auch dieser schon mal dagewesen: Weiß ist die Farbe des Klassizismus und der Moderne, die mit dem Jugendstil begann. Designer wie Charles Rennie Mackintosh und Künstler wie Heinrich Vogeler möblierten ihre Häuser mit leichtfüßig wirkenden Schränken, Kommoden und Stühlen in Weiß. Die Wirkung war überwältigend: als hätten sie die düster vollgestopften Häuser der Gründerzeit einmal richtig durchgelüftet. Weiß wurde zum Erkennungszeichen der modernen Architektur, in Stuttgart wurde die Weißenhofsiedlung gebaut, in Berlin die Weiße Stadt, Le Corbusier gestaltete eigentlich alles in Weiß.

Der Moderne aber folgte die Postmoderne mit ihren bonbonbunten Sesseln und Regalen, die Pop Art mit ihren knalligen Tönen. Weiß galt als Farbe für Küchen, Kliniken und Klos: schlimmstenfalls steril, bestenfalls ein Ausdruck von Langeweile und Einfallslosigkeit, einer „Mit-Weiß-mach-ich-nichts-falsch-Mentalität“, wie Gerhard Meerwein, Co-Autor eines Standardwerks über „Mensch – Farbe – Raum“, Architekt und Innenraumgestalter, sie beschreibt.

Das Verlegenheitsweiß, so nennt es der Kunsthistoriker Wolfgang Ulrich – im Unterschied zum Marktwirtschaftsweiß, Hygieneweiß, Urlaubsweiß, Stolzweiß und Erhabenheitsweiß. Weiß wird ja vor allem mit positiven Attributen verbunden, gilt als hell und heilig: Die Engel und der Papst tragen Weiß. Dabei ist die Farbe der Unschuld durchaus ambivalent. Ihre Neutralität macht sie zur idealen Folie, die die Kunst im „White Cube“, dem nackten Ausstellungsraum, so gut zur Geltung bringt wie die Kochkunst auf dem Teller. Aber dass Weiß keine eigene Aussage macht, genau darin, sagt Gerhard Meerwein, steckt auch die Gefahr: „Weiß lässt uns kalt. Es regt weder auf noch an, ist nicht emotional.“ Selbst Krankenhäuser greifen daher längst zu Farben, nutzen Rot, um den Pulsschlag zu erhöhen, Blau, um zu beruhigen und warme Töne, um Geborgenheit zu vermitteln.

Auch Klausbernd Vollmar, Autor eines Buches zur Ehrenrettung des oft als Farbe des Bösen gefürchteten Schwarz und eines anderen über das Weiß, kratzt gern am positiven Image der Farbe. So rein, wie sie sich gebe, sei sie gar nicht, sondern gerade besonders schmutzanfällig. Aber nach Ansicht des Psychologen passt die abstrakte Farbe perfekt in unsere Welt von Technik und Virtualität. Dass eine Firma wie Apple mit seinem Notebook zu den Pionieren von Weiß als etwas Edlem und Eleganten gehörte, hat aber vielleicht noch einen anderen Grund. Auf dem Bildschirm flimmert es einem so bunt entgegen wie draußen auf der Straße. Da bringt eine „unbunte Farbe“, wie Fachleute das Weiß nennen, ersehnte Ruhe in den Raum.

Überhaupt kann man mit Weiß auf einfache Weise einen Ort stark verändern. In der gestern eröffneten Rohkunstbau-Ausstellung „Drei Farben Weiß“ (ein Titel, den man ansonsten nicht allzu wörtlich verstehen sollte) kann man das sehen: Einen luftigen Vorhang aus weißem Kunststoffgeflecht hat die Künstlerin Ayse Erkmen im Schloss Sacrow bei Potsdam vor die Aussicht auf den Park gehängt und dem Raum damit etwas Märchenhaftes gegeben; das Designerstück haben die französischen Brüder Ronan und Erwan Bouroullec als Raumteiler für Vitra entworfen. Ein weiß gedeckter Tisch, auch wenn die Decke ein billiges Laken ist, wirkt immer festlich, Hussen über ausgesessene Stühle gelegt, machen aus diesen noble Stücke, einmal den alten Holzschrank gestrichen, schon hat man seinen Landhausstil. Weiße Wände lassen einen kleinen Raum größer wirken, eine weiße Decke, schon wirkt ein niedriges Zimmer höher. Und es ist, seit Erfindung des Titanweiß, die billigste Farbe.

Dass es aber nicht auf die Farbe allein ankommt, dass Materialien, Strukturen, Proportionen, ja, das ganze Drumherum eine große atmosphärische Rolle spielen, kann man im „Schneeweiß“ erleben. Das Restaurant in Berlin-Friedrichshain hat sich für eben diesen Ton entschieden als passenden Rahmen für seine alpine Küche. Dass das Lokal nicht steril und monoton wirkt, liegt an der Umsetzung: Weiche Polster, sanftes Licht, Vasen mit Blumen, eine lange Tafel zwischen kleinen Tischen, dazu Parkettfußboden und Wirtshausstühle. So haben es die Skandinavier, die vielleicht konsequentesten Vertreter der Moderne im Möbeldesign, schon immer gemacht: helle Flächen mit warmem Holz kombiniert. Wir sehen ja nicht nur mit den Augen, wie Gerhard Meerwein erklärt, sondern mit allen Sinnen. „Die Wahrnehmung der Farben ist ein synästhetisches Erlebnis.“ Das Weiß des Schnees hört sich ganz leise an.

Aber auch laut kann Weiß sein, ja, aggressiv , wie Vollmar erklärt, dadurch, dass es grell ist und stark reflektiert. Jesko Klatt kann das gar nicht schrecken. Für den Kreuzberger Club „Spindler & Klatt“ hat er eine White Lounge von den Architekten Roswag und Jankowski direkt an der Spree anlegen lassen, „das hat etwas Mediterranes, Ibiza Style gemischt mit japanischen Elementen“. Geblendet fühlt Klatt sich nie. „Ich bin ein Verfechter des Dauertragens von Sonnenbrillen, mir kann es gar nicht grell genug sein."

Weiß ist nie gleich Weiß, die Autoindustrie scheint da besonders phantasievoll zu sein, bietet cosmic white an, ibis weiß, white mellow, virtual white, piano-weiß, arctic white, cappuccino cream… Und überhaupt, so Vollmar, ist Weiß nur eine Utopie, ein nie erreichbares Ideal. Das reine Weiß, das gibt es nicht, allenfalls das 99-prozentige. Fast immer mischt sich noch etwas anderes darunter, ein leichtes Blau, ein wenig Gelb.

Vielleicht ist es auch weniger eine Farbe als ein Versprechen: Weiß ist das, was wir darin sehen, ein Nichts, das es zu füllen gilt, die ideale Projektionsfläche. Das große Schweigen, wie Kandinsky es beschrieben hat, das voller Möglichkeiten steckt.

Albrechts Patisserie: Rykestraße 39, Fasanenstraße 29, Winterfeldtstraße 45.

Schneeweiß, Simplonstr. 16.

Spindler & Klatt, Köpenicker Straße 16-17.

Rohkunstbau, Drei Farben Weiss, Schloss Sacrow, bis 26. August, Sa/So 10-20 Uhr.

www.weissinweiss, 040/94 79 01 00.

Weiß, hrsg. von Wolfgang Ulrich und Juliane Vogel, Fischer Taschenbuch, 13,90.

www.thewhitehotel.be

www.maisonblanche.ch

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