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Bei bestem Wetter wandert unser Kolumnist im Elsaß entlang des Rheins.

© Helmut Schümann

Deutschland drumherum (28): "Man muss sich doch dem Gastland anpassen"

Unser Kolumnist Helmut Schümann ist auf seiner Umwanderung Deutschlands im Elsaß unterwegs. Dort erlebt er, wie sich Vorurteile über bestimmte Nationen auch umdrehen können und das Fluchen tatsächlich hilfreich sein kann. Ein Reisebericht.

„Was suchen Sie, kann ich helfen?“, ruft ein Mann schon von weitem. Ich stehe vor einer Gabelung in Munchhausen, ich will zum Rhein, dann auf dem Deich bis Mothern, „le Rhin“, sage ich, „links ist kürzer, rechts ist schöner, wir können ruhig auf Deutsch schwätze“, sagt der Mann. Die Sprache und die deutsche Vergangenheit, beides war Dauerthema in Polen, in Tschechien, nun auch hier, wie auch nicht. Später wird mir Frau Zimmermann, der Vermieterin von Bed & Breakfast, ziemlich bald aufwendige Dokumentationen vor legen, in denen das Leiden, aber auch die Verstrickung des Elsaß im Nationalsozialismus gesammelt wurden.

Aber erst mal sitze ich mit Pierre zusammen, der mir erzählt, dass er 22 Jahre bei der Armee war, „in der Infanterie, ich bin genug gelaufen.“ Er sei auch sehr lange in Deutschland stationiert gewesen, daher sein perfektes Deutsch. „Aber es wird jetzt wieder forciert, auch vom Staat, es wird wieder elsässisch gesprochen.“ Ein Freund von Pierre kommt kurz vorbei, die beiden reden, und das ist eine Mischung aus Deutsch, Elsässisch, Französisch, und das wird möglicherweise einmal ein eigener Dialekt, so wie sich bei uns mit türkischen und arabischen Elementen auch eine neue Sprache entwickelt. „Aber wir sind Franzosen, durch und durch“, sagt Pierre.

Und dann erzählt er von den Deutschen, und wie er sich manchmal über sie ärgert. „Da ist zum Beispiel der Willi, nicht der, der gerade da war. Willi lebt seit 20 Jahren hier, kommt fast jeden Tag auf einen Kaffee vorbei, oder auf einen Ricard, wir trinken hier Ricard, aber meinen Sie, der sagt einmal Bonjour? Ich sage ihm immer, Willi, lass dein blödes Grüß Gott drüben auf der anderen Rheinseite, hier sind wir in Frankreich. Und er sagt jedes mal, dass er sich das nicht merken könne. Ist das Arroganz? Oder warum machen die das?“

Ich weiß es nicht. Es ist nur erstaunlich, dass sich das alte Vorurteil über die Franzosen, die viel zu arrogant seien, als eine andere Sprache zu sprechen, sich hier umdreht. „Ich meine, wer es nie gelernt hat, gut, ist dann eben so“, sagt Pierre, „aber die leben hier, seit vielen, vielen Jahren, ich meine, man muss sich doch dem Gastland anpassen.“ Sätze, die man auch in Deutschland kennt.

„Ist das Arroganz“, fragt Pierre noch einmal und stellt zwei Ricard auf den Tisch. „Vor kurzem war eine alte Dame hier zu Mittag, eine Deutsche, die war dermaßen selbstbewusst, es war furchtbar. Die redete nur davon, wie toll und wie viel man in Deutschland arbeite und das sollten die anderen doch auch mal machen und so weiter. Wenn sie nicht Gast gewesen wäre, hätte ich sie am liebsten gefragt, warum sie denn hierher kommt, wenn wir ihr nicht passen.“ Pierre „Weigel, wie euer ehemaliger Finanzminister, nur mit ei statt mit ai und ohne Geld“, ich könnte einen französischen Finanzminister von vor 20 Jahren nicht benennen, Pierre muss jetzt los, „Gartenarbeit.“

Ich laufe auf den Deich zu, überquere noch einen Seitenarm des Rheins, der führt noch viel Wasser, die Schifffahrt ist aber wieder aufgenommen. Es geht sich gut auf dem Deich, die Sonne scheint, die Kähne, die bergab fahren, rasen nahezu, so schnell fließt dass. Und dann ist plötzlich Schluss. Der Seitenarm, von dem ich angenommen hatte, er sei ein toter Arm, mündet in den Rhein. Schwimmen oder vier Kilometer zurück, dann auf der anderen Seite des Seitenarms wieder vier Kilometer. Manchmal hilft Fluchen. Meins nämlich hören zwei Kanufahrer, die ihr Boot über den Deich schieben, auch im Irrglauben, der Seitenarm sei ein toter Arm, „wir können dich rüber setzen.“ Danke, Torsten, danke Christian, merci Pierre.

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