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Panorama: Die königlichen Gewächshäuser in Brüssel öffnen ihre Pforten

Ein gepflegter Kieselpfad führt durch das verwunschene Königsreich der gezähmten Wildnis. Mächtige Farne, schlanke Palmen und farbenfrohe Azaleen ranken sich über den Häuptern der staunenden Besucher.

Ein gepflegter Kieselpfad führt durch das verwunschene Königsreich der gezähmten Wildnis. Mächtige Farne, schlanke Palmen und farbenfrohe Azaleen ranken sich über den Häuptern der staunenden Besucher. Doch es ist weniger die tropische Pflanzenpracht als deren Behausung die selbst routinierten Gartenfreunden staunende Rufe der Anerkennung entlockt: Die Königlichen Gewächshäuser in Brüssel zählen nicht nur zu den größten, sondern auch zu den schönsten Gartenparadiesen des Kontinents.

In luftigen Höhen wölben sich die majestätischen Kuppeln der gläsernen Stadt. Ein scheinbar unendlich langes Labyrinth von mit Efeu, Rhododendren und Fächerpalmen bepflanzten Galerien verbindet die eleganten Tempel raffinierter Gartenbaukunst. Leise plätschern künstliche Bächlein durch farbenfrohe Blumentunnel. Auf mächtigen Säulen ruht das 26 Meter hohe Gewölbe des Wintergartens auf dessen Spitze die königliche Krone prangt. Doch nur einmal im Jahr - noch bis zum 7. Mai - ist auch dem ,,gemeinen Volk' ein Blick in das Tropenparadies der belgischen Regenten vergönnt.

Es war der umstrittene König Leopold II., der nach seiner Thronbesteigung 1865 sich den Traum vom ewigen Frühling mit dem Bau der 14 000 Quadratmeter großen Gewächshäuser verwirklichen ließ. Aus Glas und Stahl schuf der französische Architekt Alphonse Balat ein imposantes Zeugnis der Jugendstil-Baukunst. 1880 wurde mit dem Wintergarten der erste Teil des beeindruckenden Pflanzenreichs eröffnet. In den Folgejahren ließ Leopold immer neue Glasstollen in sein riesiges Gartenareal treiben. Die Kosten für den Bau des eleganten Prestigeprojekts waren immens: Allein der Rohbau des Wintergartens verschlang damals eine halbe Million Goldfranken. Im fernen Kongo raffte sich der unersättliche Leopold ein privates Kolonialreich zusammen, dessen Größe die seines eigentlichen Königreichs um ein 67faches übertraf. Die brutale Ausbeutung seiner Privatkolonie und die menschenverachtende Unterdrückung deren Bewohner bescherte ihm bereits zu Lebzeiten weltweit entrüstete Schlagzeilen: In den mehr als zwei Jahrzehnten seiner Schreckensherrschaft im Kongo reduzierte sich dessen Einwohnerzahl von 20 auf zehn Millionen Menschen. Selbst sollte der geschäftstüchtige Regent sein Kolonialreich im fernen Afrika nie besuchen. Doch die Einnahmen aus dem später sehr einträglichen Kolonialgeschäft halfen ihm sein teures Gartenhobby zu finanzieren.

In einer langen Prozession pilgern die Besucher durch die sorgfältig inszenierte Tropenpracht. Vor allem am Abend, wenn sich die Dunkelheit über die hohen Hallen des fragilen Glasbauwerks senkt, wird der Spaziergang durch den Privatpark des belgischen Königs zum unvergesslichen Erlebnis. Wie eine verzauberte Stadt schimmern die hellen Glaskuppeln in der Dämmerung. Die etwas kitschige Musikberieselung beim nächtlichen Besuch vermag allerdings den streng dreinblickenden Gartengründer kaum zu beindrucken: Stoisch schaut die Büste von Leopold auf das ungewohnte Touristenvolk in seinen noblen Gewächshäusern herab.

Thomas Roser

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