zum Hauptinhalt
Auf der Plaza de Mayo.

© REUTERS

Argentiniens Militärdiktatur: Die Mütter kämpfen

In Argentinien ermittelt die Justiz gegen die „Madres“ der „Plaza de Mayo“ wegen Betrugs und Geldwäsche.

Sie waren ein Symbol der Zivilcourage und des Widerstands gegen eine der blutigsten Diktaturen Südamerikas, die Mütter der Plaza de Mayo. Jeden Donnerstag drehten sie, gehüllt in ihre weißen Kopftücher, ihre Runden auf dem legendären Platz vor dem Präsidentenpalast von Buenos Aires, um Aufklärung zu fordern über das Schicksal ihrer verschwundenen Kinder. Jetzt ist ihre 1977 gegründete Organisation diskreditiert und schwer belastet: mit Millionen Schulden am Hals und verwickelt in einen Korruptionsskandal. Die Justiz hat ein Verfahren wegen Betrug und Geldwäsche eröffnet und Liegenschaften und Bankkonten der Stiftung beschlagnahmt, wie die argentinische Presse am Sonntag meldete. Auch Berichte von einer möglichen Schließung der Stiftung machten schon die Runde, wurden aber später von den „Müttern“ dementiert.

Es ist die alte Geschichte von den Verlockungen des Geldes und der Macht. Die Mütter der Plaza de Mayo spalteten sich 1986 aufgrund inhaltlicher Differenzen. Das Lager, das in den Skandal verwickelt ist, ist die linksradikale Gruppe um Hebe de Bonafini. Nachdem die Gründerin sich mit ihrer Verteidigung der baskischen Untergrundorganisation ETA, der kolumbianischen Guerilla Farc und der Attentate vom 11. September 2001 die Sympathien vieler Geldgeber im Ausland verscherzt hatte, tauchte 2003 überraschend ein neuer Geldgeber auf. Der mit nur einer geringen Stimmenzahl zum Präsidenten gewählte, linksperonistische Nestor Kirchner fand in der Verfolgung der Diktaturschergen einen Legitimationsgrund – und in den Müttern ideale Verbündete. Fortan zählte Bonafini zu den vehementesten Fürsprechern der Regierung. Im Gegenzug hatte sie nicht nur einen direkten Draht in den Präsidentenpalast und erhielt Einladungen zu offiziellen Veranstaltungen und Reisen, sondern wurde auch finanziell für ihre Treue „belohnt“.

Es gab eine Menge Geld vom Staat, mit dem die Stiftung nicht nur ihren Sitz an der legendären Plaza de Mayo unterhielt, sondern auch ein Radio, eine Universität, eine Buchhandlung, ein Kulturzentrum, ein Literaturcafé, einen Kindergarten und eine Volksbibliothek finanzierte. Regierungspropaganda im Radio und in zwei TV-Sendungen der Mütter füllte die Kassen. Das i-Tüpfelchen waren 700 Millionen Pesos (rund 165 Millionen Dollar) für den Bau von Sozialwohnungen, Kindergärten und Hospitälern. Viel Geld, das die administrativen Fähigkeiten der Menschenrechts-NGO überforderte.

Bonafini fand in den Brüdern Sergio und Pablo Schoklender vermeintlich kompetente Verwalter, setzte sie als Bevollmächtigte ein und überließ ihnen das Tagesgeschäft. Sie hatte die beiden kennengelernt, als sie wegen des Mordes an ihrer alkoholkranken, gewalttätigen Mutter im Gefängnis saßen. Bonafini hatte die beiden unter ihre Fittiche genommen, wie Ziehsöhne behandelt und ihnen vertraut. Vor allem Sergio Schoklender, wortgewandt, charismatisch, immer jugendlich-dynamisch mit Drei-Tage-Bart, riss ständig mehr Macht an sich.

Dann verschwanden Gelder, Unterschriften wurden gefälscht, Abrechnungen frisiert, Schecks platzten, Schulden liefen auf, das Geschäftsimperium wurde immer größer und unübersichtlicher. Plötzlich tauchte ein Ferrari auf, Jachten, Immobilien, die Schoklender erstand. Für die Sozialwohnungen veranschlagte Schoklenders Baufirma „Meldorek“ vermutlich überhöhte Preise. Andere NGOs jedenfalls errechneten, dass sie vom gleichen Geld viermal so viele Wohnungen hätten bauen können. Entsprechende Hinweise bezeichnete Bonafini lange als „Blödsinn“; als sie ihre Bevollmächtigten schließlich anzeigte, war es längst zu spät.

Schoklender schlug zurück, warf Bonafini vor, von seinen Finanztransaktionen gewusst zu haben und selbst Gelder zur Finanzierung der Wahlkampagnen der Kirchners zu waschen und zu diesem Zweck Bankkonten in Spanien, Frankreich und den USA zu unterhalten. Die Justiz untersucht auch, ob ausländische Spenden legal waren oder am Fiskus vorbeigeschleust wurden. Betroffen ist unter anderem eine Zahlung von einer Million Dollar, die Venezuela für die Finanzierung eines „bolivarischen Lehrstuhls“ gab.

Inzwischen wurden rund 50 Mitarbeiter entlassen und ein neuer Treuhandfonds eingerichtet – um mögliche Embargos der Justiz zu unterlaufen, die das Aus für die Stiftung bedeuten würden. Das Bauprogramm mit dem Namen „Gemeinsame Träume“ ist an die jeweiligen Gemeinden übergegangen.

Die Regierung, der von der Opposition Unverantwortlichkeit vorgeworfen wird, behauptet, sie habe von der Veruntreuung nichts gewusst. Doch in Erklärungsnöten ist auch Präsidentin Cristina Kirchner. Immerhin wurden die Gemeinden gezwungen, den Sozialbau über die Stiftung der Mütter abzuwickeln, wenn sie am Wohnungsbauprogramm teilhaben wollten.

Die Gründergeneration der Mütter – heute rund zwei Dutzend Frauen über 80 – dreht derweil weiterhin jeden Donnerstag ihre Runden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false