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Panorama: Dr. Rio und Mr. Janeiro

In Rio wurde ein deutscher Urlauber erschossen – kriminelle Banden halten die Stadt in Angst. Dabei ist sie Forschern zufolge die freundlichste der Welt

Von Bernd Radowitz,

Rio de Janeiro

Der deutsche Tourist Herbert Freyberger wurde am Dienstag auf einer Bergstraße in Rio de Janeiro erschossen. Der 59-Jährige aus Reckendorf in der Nähe von Bamberg in Bayern musste eine kleine Unvorsichtigkeit mit dem Leben bezahlen. Zusammen mit einem Freund war er zu Fuß unterwegs auf der von Urwald umgebenen Paineiras Straße direkt unter der Christus-Erlöser Statue, Rios Wahrzeichen. Die Straße gilt als gefärhlich. Ein Unbekannter näherte sich den beiden Deutschen, zog eine Pistole und verlangte deren Rucksäcke. Freyberger, der wahrscheinlich nicht gut verstand, was der Räuber wollte, zögerte einen Moment, so der Chef der Touristenpolizei, Ricardo Martins. Der Verbrecher schoss zwei Mal und traf Freyberger am Kopf, der kurz darauf in einem Krankenhaus starb. Sein Freund Reinhold Dettelbacher blieb unverletzt. Der Täter verschwand im grünen Dickicht. Rios Polizei rät immer wieder, die malerisch auf dem Corcovado-Berg gelegene Christusstatue nur per Zahnradbahn oder mit dem Taxi zu besuchen, aber vielen Touristen ist die Warnung unbekannt.

Rio hatte im letzten Jahr eine höhere Mordrate als Bogotá, die Hauptstadt des Bürgerkriegslandes Kolumbien. Gleichzeitig belegt eine Studie, die jüngst im „New Scientist Magazine“ veröffentlicht wurde, dass Rio die freundlichste Stadt der Welt ist, wenn es um die Behandlung von Fremden geht.

Morde an Touristen gelten in der Tat als relativ selten, betont die Polizei trotz des Mordes am Dienstag. Umso öfter werden Reisende dafür Opfer von Raubüberfällen. Polizeistatistiken belegen, dass die Zahl der Raubüberfälle sich in den letzten sechs Jahren verdreifacht hat.

Der US-Tourist Tim Baker hat den Anstieg der Kriminalität an eigener Haut erfahren. Bei vier vorhergehenden Rio-Aufenthalten war ihm nie etwas zugestoßen. Auf seinem Karnevals-Urlaub in Rio dieses Jahr wurde Baker jedoch gleich dreimal ausgeraubt. „Ich habe Glück, da lebend rausgekommen zu sein“, meint er. Die Verbrecher hielten dem 49-Jährigen ein langes Messer vors Gesicht, er wurde brutal zu Boden geworfen und schürfte sich an mehreren Stellen auf. Neben einer 5000-Dollar Foto-Ausrüstung verlor Baker auch jegliche Lust wieder nach Rio zu reisen. „Warum sollte ich in diese extrem gefährliche Umgebung zurück?“

Rio wird seit Monaten durch eine Gewaltwelle von Drogenbanden terrorisiert. Die extreme Gewalt hatte sich bis vor kurzem hautpsächlich auf die Favelas beschränkt. Die an den Hügeln von Rio wuchernden Slums werden von mit Maschienengewehren bewaffneten Drogenbanden dominiert. In den letzten Monaten haben Banden, wie das berüchtigte „Comando Vermelho“ („Rotes Kommando“) aber ihren Terror auf die schicken Wohnviertel und Touristenstrände in Rios Südzone ausgeweitet. So zwang das Commando Vermelho den Einzelhandel, Busunternehmen und Schulen quer durch den 11-Millionen-Ballungsraum Rio einen Tag lang zu schließen. Per Notizzettel oder von Laufburschen mündlich überbracht kam der Befehl „Schließen oder Kugeln!“ Um der Anordnung Nachdruck zu verleihen, durchsiebten mutmaßliche Bandenmitglieder die Fassade eines Supermarktes mit einem Kugelhagel und zündeten drei Sprengsätze vor Häusern am noblen Strand von Ipanema.

Molotov-Cocktails und Granaten setzten 28 Busse in Brand von Firmen, die den „Terror-Feiertag“ ignorierten. Eine Frau kam dabei ums Leben, 12 Menschen wurden verletzt. Um mehrere hunderdtausend Touristen während des Karnevals Anfang März zu schützen, besetzte die Regierung von Präsident Lula strategische Knotenpunkte der Stadt mit Panzern und 3000 Soldaten. Der Schaden für den Tourismus ist kaum abzusehen. Der Manager eines Hotels in Copacabana, das überfallen wurde, befürchtet bereits deutliche Einbußen im Geschäft. Rios Sicherheitssekretär Garotinho gab zu: „Die Situation ist außer Kontrolle.“ Lulas Regierung will für 50 Millionen Euro eine nationale Elite-Einheit gegen die Drogenmafia trainieren. Notwendig wäre eine Reform der korrupten Polizei. Lange darf Brasilien nicht warten. Rio bewirbt sich um die Olympischen Spiele 2012.

Bernd Radowitz[Rio de Janeiro]

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