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Panorama: Echt ist in

Popsängerin Avril Lavigne lässt sich in keine Schublade stecken. Die Teenies himmeln sie an wie ihre große Schwester

Eltern sollten sich nicht allzu sehr wundern, wenn sie ihre Kids in den nächsten Tagen besonders aufgeregt erleben. Wohl kaum einem Tag in diesem Frühjahr nämlich fiebern Teenager so ungeduldig entgegen wie dem 9. März – dann beginnt die Rock-Sängerin Avril Lavigne in Berlin ihre erste Deutschlandtournee. Schon seit Monaten ist die Columbiahalle ausverkauft: Alle wollen die 1,53 Meter kleine Kanadierin sehen, die mit Punkrock-Songs und Skater-Kleidung als Markenzeichen einen neuen Starkult unter Jugendlichen ausgelöst hat. Mit ihrem Debütalbum „Let Go“ ist Lavigne Dauergast in den Charts und der derzeit angesagteste amerikanische Pop-Export.

Avril Lavignes (sprich: Awril La-Wiehn) Songs drehen sich um extreme Gefühlsschwankungen, die jeder Heranwachsende nur allzu gut kennt. Wenn die 18-Jährige in ihrem Hit „Complicated“ von der Angst vor dem Erwachsenwerden singt, tut sie das zunächst mit Beschützerinstinkt-weckender Unsicherheit – nur um dann im nächsten Moment eine 180-Grad-Wende einzuschlagen und trotzig ihren Eltern die Stirn zu bieten. Für ihre tagebuchartigen Song-Beichten wird Lavigne von jüngeren Fans wie eine große Schwester angehimmelt.

Eine rasante Karriere: Lavignes Aufstieg vom Luftgitarre spielenden Nobody zum Superstar vollzog sich binnen sechs Monaten. Noch vor eineinhalb Jahren drückte sie in der kanadischen 5000 Seelen-Gemeinde Napanee die Schulbank und trieb in einer Skateboarder-Clique jugendlichen Schabernack, der auch schon mal mit einer blutigen Nase endete („I’m a Tomboy, you know“). Sie musste sich ja die öde Zeit vertreiben. An die zwanzig Demo-Aufnahmen mit eigenen Songs hatte sie bis dahin schon an Plattenfirmen verschickt, ohne Erfolg.

Ein halbes Jahr später sah die Sache schon ganz anders aus: Ihr Debütalbum „Let Go“ hat sich millionenfach verkauft und brachte drei Nummer-eins-Singles hervor. Wann immer seitdem ein „Newcomer“-Award unter Nominierten verliehen wird, nimmt Lavigne ihn als Gewinnerin entgegen: MTV-Award, VH1-Award, den deutschen „Echo“ und kürzlich einen „Grammy“, den wichtigsten Musikpreis der Welt.

Ihre Erfolgsgeschichte ist, mitsamt der Stolpersteine in ihrer Biographie, natürlich ganz auf Märchen getrimmt: Verzweifelt sei sie damals aus der Provinz nach New York geflohen, schlug sich ohne Schulabschluss mit unrentablen McJobs durch und war dennoch überzeugt, dass die Chance zum Greifen nah sei, im Musikgeschäft Fuß zu fassen. In einem letzten Versuch nahm sie allen Mut zusammen und belagerte den Plattenmogul Antonio „L.A.“ Reid mit ihrer Demokassette, bis der nachgab und sie zum Vorsingen einlud. Hin und weg soll der danach gewesen sein. Und umso faszinierter, als Dickkopf Lavigne wutentbrannt eine karrierefördernde Klausel nach der anderen aus ihrem Vertrag entfernen ließ: Highheels wollte sie nicht tragen, tief ausgeschnittene Dekolletes kommen nicht in Frage – bloß kein künstlicher Lolita-Appeal a la Britney Spears. „Die Leute haben die Schnauze voll von diesem Britney Spears- und Boygroups-Mix“, sagte Lavigne der „Viva Bams.“

Schon meckern abgebrühte Musikgeschäft-Kenner: Da wird lediglich ein Marketingkonzept gegen das andere ausgetauscht. Und keines sei besser als das andere: Weil die für Altersgenossen unglaubwürdig gewordenen Teenpop-Jungfrauen Spears und Christina Aguilera mit ihren Alben Verkaufsrückschläge erlitten, müssten sie jetzt einfach einem neuen Trend weichen – dem Modell „Neue Authentizität“. Vertreter dieses „Anti-Britney“-Trends sind Rock-Teenager wie etwa Lavigne, die Punkerinnen Pink und Kelly Osbourne, oder die nachdenkliche Balladensängerin Vanessa Carlton. Auch sie seien lediglich Marionetten der Industrie, die in Wirklichkeit kein Wörtchen in Imagefragen mitzureden haben und in ihren Songs nicht etwa eine Kindheit mit Schattenseiten verarbeiten, sondern fremde Gedanken von einem Blatt absingen. Lavigne wehrt die Vorwürfe ab: „Ich schreibe meine Songs selbst, meine Erfahrungen sind echt.“

Sei’s drum. Das Märchen von ihrem glücklichem Aufstieg spielt sowieso bald keine Rolle mehr. Was letztendlich zählt ist die Glaubhaftigkeit, mit der sie als Künstlerin ihre Songs interpretiert. Und von all den neuen „authentischen“ und „künstlichen“ Teenstars ist Lavigne immer noch die sympathischste. In ihrem Album „Let Go“ steckt eine Menge von ihr selbst. Dank ihrer Natürlichkeit taugt die 18-Jährige für Gleichaltrige als Rollenmodell – im Gegensatz etwa zur altklugen Rockidol-Tochter Kelly Osbourne, die den jüngsten Meldungen zufolge eine ähnliche Alkoholiker-Karriere einschlagen wird wie vormals Vater Ozzy Osbourne.

Kann man seine Kids also unbesorgt auf die Konzerte von Avril Lavigne schicken? Natürlich. Oder doch nicht? „Wahrscheinlich bin ich die Vorreiterin einer neuen Generation von Musikern, vor denen die Eltern endlich wieder ihre Kids warnen können“, sagt Lavigne.

Sassan Niasseri

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