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Panorama: Eine Elfe an der Spitze

Polina Semionova ist der große Star des Berliner Balletts

Von Sandra Luzina

„Semionova & 4 Prinzen“ steht auf dem Probenplan des Staatsballetts Berlin. Am Mittwoch wird die Erste Solistin Polina Semionova erstmals die wach geküsste Prinzessin in Vladimir Malakhovs opulenter Neuinszenierung des Tschaikowsky-Balletts „Dornröschen“ tanzen. Eine technisch fordernde Partie, das zeigt das berühmte Rosen-Adagio, das gerade geprobt wird. Vier junge Männer knien vor der Ballerina nieder und überreichen ihr eine Rose. Sie darf nicht nur die Huldigungen lächelnd entgegennehmen, sondern muss schwierige Balancen ausführen. Jede Arabeske, jede Pirouette sitzt – bei ihrer Detailprobe am vergangenen Freitag tanzt sie hingebungsvoll perfekt, so als sei diese Probe gänzlich überflüssig. Polina Semionova ist keine dieser Stage-Beautys, die ohne aufwändiges Make-up und raffinierte Beleuchtung nicht zur Geltung kommen. Und keine hoch gezüchtete, magersüchtige Ballettprinzessin. Ungeschminkt, ein Tutu lässig über die Trainingshose gestreift, zieht sie alle Blicke auf sich. Die 21-jährige Russin hat Stil und Klasse, aber sie bezaubert vor allem durch ihre ungekünstelte Anmut und ihren mädchenhaften Charme.

Polina Semionova ist der große Star der Berliner Ballettszene – und weit über die Grenzen der Stadt bekannt. Seit ihrem Debüt vor drei Jahren wurde die junge Russin mit Auszeichnungen überhäuft. Die lange Zeit als Ballettmuffel verschrienen Berliner liegen ihr zu Füßen. Bei Gast-Auftritten in London, Wien und Tokio wird Berlins Jungballerina als neue Hoffnung gefeiert. Als sie am vergangenen Donnerstag in „Schwanensee“ die Rolle der Odette/Odile an der Seite von Vladimir Malakhov tanzte, konnte sie sogar das „heute-journal“ für Ballett begeistern.

Auf der Bühne verwandelt Semionova sich in eine schwebende Elfe, eine mondscheintrunkene Schwanenkönigin oder eine rosenumrankte Märchenprinzessin. Es sind verzauberte Mädchen, die sie verkörpert, und mit fast überirdischer Leichtigkeit tanzt sie sich durch ein Reich der Fantasie.

Die großen Partien des klassischen Balletts hat sie sich mit Schallgeschwindigkeit erarbeitet. Geradezu märchenhaft mutet ihr Aufstieg an: Als der Weltstar Vladimir Malakhov, Intendant des Staatsballetts Berlin, die Moskauerin entdeckte, studierte sie noch an der Bolschoi-Ballettschule. Nach Abschluss der Schule engagierte er sie vom Fleck weg. Sie war noch nicht 18 und wurde gleich als Erste Solistin verpflichtet – und hat damit gleich mehrere Stufen auf der Karriereleiter übersprungen. „Ich habe mit Polina ein Experiment gewagt, ähnlich wie es damals mit mir unternommen wurde“, sagt Malakhov. Der Weltstar ist stolz auf seinen Schützling. Dank seiner umsichtigen Förderung stieg Semionova innerhalb kürzester Zeit zum hellen Stern am Balletthimmel auf. Kritiker bescheinigen ihr das Potenzial für eine Weltkarriere.

Die Umschwärmte fühlt sich aber keineswegs als Wundermädchen. „An mein Talent habe ich lange nicht geglaubt“, erzählt Semionova, dazu habe ich mir alles viel zu hart erarbeiten müssen. Dass sie sich so rasch an die Spitze getanzt hat, habe sie vor allem ihrer eisernen Disziplin zu verdanken. Mit acht Jahren wurde sie an der Bolschoi-Ballettschule aufgenommen, der härtesten Kaderschmiede der Welt. Als das große Talent galt eigentlich ihr zwei Jahre älterer Bruder, wie sie ist er Bolschoi-Zögling. Doch die kleine Polina ließ sich nicht unterkriegen und trainierte nur umso härter. Wenn die anderen Schüler nach den regulären Klassen ins Kino gingen, stand sie allein vor dem Spiegel im Ballettsaal, um an sich zu arbeiten.

Selbst als Erste Solistin legt sie noch Extraproben ein, sie feilt so lange an einer Bewegung, bis sie ihr in Fleisch und Blut übergegangen ist. Enorm ehrgeizig ist sie – und eine Perfektionistin. Ihre stupende Technik nimmt den Betrachter sofort gefangen. Doch die grazile Russin ist nicht nur eine hochmusikalische Virtuosin, sondern eine große Darstellerin. Ihren jungen Liebenden verleiht sie emotionale Intensität und eine betörende Sinnlichkeit. Manchmal kommt es vor, dass sie in einer Woche mehrere Partien gleichzeitig probt, sich imaginär dem Liebestaumel so unterschiedlicher Heldinnen wie Giselle oder Manon hingibt. „Hinterher bin ich dann emotional regelrecht leer“, seufzt Semionova.

In Japan werden sie und Malakhov verehrt wie Popstars. Dort warten die Fans nach der Vorstellung in langen Schlangen auf sie, um ihr kleine Geschenke zu überreichen. Den Starrummel nimmt Polina Semionova aber eher schulterzuckend in Kauf. „Ich will keine Zeit vergeuden“, sagt sie, „das Ballettleben ist unglaublich kurz, und ich will mein Maximum geben“.

Malakhov weiß um ihr Ausnahmetalent – und lässt den Jungstar deshalb an der langen Leine. Die Erste Solistin ist ein weltweit gefragter Stargast. Einen Ausflug ins Popbusiness hat sie schon hinter sich. In dem Video-Clip zu Herbert Grönemeyers Song „Demo (Letzter Tag)“ (2003) sah man sie traumverloren und zugleich hellwach über die Bühne des Theaters des Westens tanzen. „Du bist eine kluge Prognose, das Prinzip Hoffnung, ein Leuchtstreifen aus der Nacht.“

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