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Panorama: Eingetaucht in die Geschichte

Der Unterwasser-Archäologe Franck Goddio ist umstritten. Aber seine Funde sind sensationell. Ein Besuch auf seinem Boot

Der Bildschirm des Laptop zeigt eine blaue Fläche. „Hier sind wir“, sagt Franck Goddio und deutet auf einen Punkt rechts von der Mitte. Wo sein Zeigefinger hinzeigt, liegt das Schiff „Princess Duda“ in der Bucht von Abukir, 35 Kilometer östlich von Alexandrien, 6,5 Kilometer von der ägyptischen Küste entfernt. Das Meer draußen ist ruhig, aber dunkler und nicht so hellblau leuchtend wie die Farbe auf dem Bildschirm. Dieser steht auf einem Tisch im Gemeinschaftsraum des 36 Meter langen Bootes, das leicht hin- und her schaukelt. Per Knopfdruck legt der Franzose Goddio die Daten der elektronischen Messung der Magnetfelder auf die blaue Fläche, dann die Ergebnisse der Schallmessungen, der akustischen Sonden und zuletzt die Karte der bisherigen Fundorte: Wo vorher alles blau war, werden Grundrisse einer Stadt sichtbar mit den Mauern eines Tempels, eines Heiligtums sowie drei Kanälen. Blaue Punkte zeigen die Fundorte von 700 antiken Ankern an, grüne Punkte die Fundstellen von rituellen Geräten aus Bronze.

Die nächste Kartenschicht zeigt die Landschaft, wie sie um 500 vor Christus ausgesehen haben soll: Die Mündung eines Nilarms ist sichtbar sowie ein ehemaliger Binnensee westlich der Stadt. Ein Blick aus dem Bullauge der „Princess Duda“ zeigt eine träge vor sich hindümpelnde See. Am Horizont ist schemenhaft der Militärhafen von Abukir zu erkennen. Genau hier, nur sechs Meter unter der Meeresoberfläche, liegen demnach die Überreste der antiken Stadt Heraklion, die bis zur Ankunft Alexanders des Großen der wichtigste Hafen Ägyptens war und später im Meer versank. Ans Licht gebracht hat sie der gelernte Finanzexperte und begeisterte Archäologe Franck Goddio – seit letzter Woche sind spektakuläre Fundstücke erstmals außerhalb Ägyptens, im Berliner Gropius-Bau, zu sehen.

„Ein perfekter Ort für eine Stadt“, begeistert sich Goddio, ein schlanker Mann mit einem hageren Gesicht, der trotz seiner 58 Jahre wie ein Junge wirkt. Blaue Baseballmütze, blaues Polohemd und kurze Jeanshosen. Und ein Leuchten in den Augen, wenn er von seinen Entdeckungen spricht. „Genau hinter Sanddünen an einer engen Passage zum Meer gelegen.“ Bekannt war die Tatsache, dass urbane Überreste irgendwo in der Bucht von Abukir liegen, schon lange. Aber niemand hatte sich ihrer angenommen. Zum einen ist Unterwasserarchäologie eine relativ neue und kostspielige Wissenschaft. Die schlechte Sicht in der Bucht und die Tatsache, dass alles unter meterhohen Sand- und Geröllbergen vergraben ist, machten Zufallsfunde unwahrscheinlich. Doch die technische Entwicklung und der Erfindergeist der Truppe um den studierten Mathematiker und Statistiker Frank Goddio führen dazu, dass sie heute den Meeresboden wie ein Buch lesen. Sie haben das mit Satelliten verbundene GPSSystem unterwassertauglich gemacht. Doch das innovativste Gerät liegt gerade auf dem hölzernen Esstisch im Gemeinschaftsraum der „Princess Duda“: Was wie ein Torpedo mit gelber Plastikverschalung aussieht, ist ein höchst empfindliches elektronisches Messgerät für Magnetfelder. Die unterschiedliche Dichte im Vergleich zum Magnetfeld der Erde gibt Hinweise über Objekte, die weit unter der Oberfläche verborgen sind.

Das etwa eineinhalb Meter lange Magnetometer haben Goddios Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit der französischen Atomenergiekommission entwickelt, welche die U-Boot-Spürgeräte für die französische Marine entwickelt. Schlägt dieses exklusiv von Goddio genutzte Gerät aus, ist dies ein sicherer Hinweis darauf, dass unter dem Meeresboden an dieser Stelle etwas verborgen ist.

„Wir verbringen endlose Zeit damit, den Meeresboden zu erforschen, bevor wir das erste Mal tauchen“, erklärt der Teamchef lächelnd seine ausgefeilte Technik. Zwei Mal jährlich für zwei Monate taucht Goddio vor der Küste Alexandriens. Hier, in der Bucht von Abukir, hat er auch seinen ersten archäologischen Tauchgang überhaupt gemacht. Das war 1984, nach dem Karrierewechsel. Denn der in Casablanca geborene Goddio war zunächst als Finanzberater zehn Jahre lang im Auftrag der französischen Regierung in Asien und Saudi-Arabien tätig. Hervorragend verdient hat er vor allem in den Jahren in Saudi-Arabien – mit dieser Sicherheit im Rücken hat er nach einem Sabatjahr 1983 mit 35 Jahren beschlossen, sein Leben umzukrempeln. „Ich war schon immer begeistert von Geschichte, und das Meer liebe ich.“

Doch nichts bei Goddio ist unüberlegt. Später fällt in einem Nebensatz das Eingeständnis, dass er als nichtgelernter Archäologe an Land keine Chance gehabt hätte. Die Unterwasserarchäologie dagegen steckte noch in den Kinderschuhen – dessen hatte der Finanzberater sich in einer Marktstudie versichert. So gründete er 1985 sein privates Europäisches Institut für Unterwasserarchäologie, das im Auftrag von Ländern, die keine ausreichenden Ressourcen oder Know-how haben, unter Wasser nach historischen Zeugnissen sucht.

Dennoch mutet es kurios an, dass die französische Regierung ihm sofort eine Anfrage der philippinischen Regierung weiterleitete, bei der Suche nach der versunkenen „San Diego“ zu helfen. Statt des staatlichen französischen Instituts für Meeresarchäologie sprang Frank Goddio ein – der gelernte Finanzexperte. „Ich hatte eben gute Beziehungen in französischen Regierungskreisen, und auch wenn man über meinen Sinneswandel überrascht war, so wusste man, dass ich jede Arbeit ernsthaft betreibe“, erklärt Goddio diese Ungereimtheit. Elf Aquitane, das von Finanzskandalen gerüttelte französische Unternehmen, sponserte Goddio anfangs, seit 1994 die Hilti-Stiftung des gleichnamigen Bohrmaschinenherstellers. Wie viel Geld er bekommt, will Goddio nicht sagen. Goddio ist in wissenschaftlichen Kreisen umstritten. Vorschnelle und publikumswirksame Deutungen werfen ihm viele Archäologen vor. So hatte der Autodidakt verkündet, er habe Cleopatras Palast im Hafen von Alexandrien entdeckt. Mitarbeiter des französischen archäologischen Instituts in Alexandrien runzeln die Stirn ob solcher Behauptungen. Als ebenso inkorrekt und übertrieben schätzen viele die Präsentation auf der Website der Franck-Goddio-Gesellschaft ein, auf der es heißt, Goddio habe die seit 1600 Jahren „verlorenen“ Teile des antiken Alexandriens entdeckt. Überhaupt veröffentliche Goddio nur dekorative Bücher für den Wohnzimmertisch, aber keine wissenschaftlichen Abhandlungen über seine Funde, kritisieren Wissenschaftler. Die Konkurrenz und der Neid im Archäologenmilieu spielen hier vielleicht eine Rolle – zumal Archäologen in staatlichen Institutionen nur davon träumen können, so viel Geld zur Verfügung zu haben wie Goddio. Der tritt jetzt bescheidener auf: Einen „definitiven Beweis“ dafür, dass er den Palast von Cleopatra VII. im Hafen von Alexandrien gefunden habe, besitze er nicht, räumt er heute ein. Doch bei Heraklion ist er sich sicher. Die bisher nur aus historischen Schriften bekannte Stadt liegt in der Bucht von Abukir und ist identisch mit der antiken Stadt Thonis.

Die Ausstellung im Martin-Gropius- Bau ist täglich außer dienstags geöffnet und läuft bis zum 4. September.

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