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Kampusch

© dpa

Entführungsfall Kampusch: Opfer der Akten

Natascha Kampusch muss mit ansehen, wie Boulevardblätter aus ihrer Vernehmung nach der Befreiung aus achtjähriger Gefangenschaft zitieren. Sind die geheimen Dossiers von Abgeordneten an die Presse weitergegeben worden?

Die Veröffentlichung persönlicher Details aus der achtjährigen Gefangenschaft von Natascha Kampusch ist in Österreich bei Experten und der Staatsanwaltschaft auf Unverständnis und Empörung gestoßen. Die in Wiener U-Bahnen verteilte Gratiszeitung „Heute“ verbreitete am Freitag auf fünf Seiten Auszüge aus Befragungsprotokollen des inzwischen 19-jährigen Entführungsopfers. Diese Details waren bisher von der Staatsanwaltschaft unter Verschluss gehalten worden. Kampusch selbst gab sich nach der Veröffentlichung „entsetzt“. In einer der Nachrichtenagentur APA übermittelten Erklärung forderte sie „bedingungslose Aufklärung“ und sprach von „einem Tiefpunkt des österreichischen Journalismus“. Seit ihrer Flucht aus achtjähriger Gefangenschaft vor 20 Monaten durfte Natascha Kampusch weitgehend bestimmen, welche Details die Öffentlichkeit über ihre Gefangenschaft und ihre Beziehung zu ihrem Peiniger Priklopil erfahren durfte und welche nicht. Doch jetzt ist es anders.

Mehrere Boulevardblätter wetteifern darum, wer von ihnen noch schockierendere Details auf die Titelseiten bringt. Mittlerweile treiben sie es so weit, dass Kampuschs Anwalt Gerald Ganzger bereits die rechtlichen Möglichkeiten prüft und jeden mit Klagen bedroht, der Details veröffentlicht, die die Persönlichkeitsrechte seiner Mandantin verletzen.

Auch die Staatsanwaltschaft Wien hat sich bereits eingeschaltet. Dass die Situation nun so eskaliert, daran ist offensichtlich das Wiener Parlament schuld. Seit dieser Woche tagt nämlich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der gleich eine ganze Reihe von Polizeiskandalen untersuchen soll. Er war von den regierenden Sozialdemokraten gemeinsam mit den Oppositionsparteien eingesetzt worden, nachdem vor zwei Monaten jede Menge Affären rund um das Innenministerium aufgetaucht waren, das von der konservativen ÖVP dominiert wird. Auch zwei schwerwiegende Pannen bei den Kampusch-Ermittlungen sollen von diesem Ausschuss untersucht werden.

Damit die Abgeordneten ihre Prüfungsarbeit vernünftig absolvieren können, bekamen sie einen ziemlich exklusiven Aktenzugang gewährt. Dazu gehören eben auch die bis dato streng unter Verschluss gehaltenen Kampusch-Dossiers. Fast 200 000 Seiten umfassen diese – sie enthalten nicht nur den gesamten innerpolizeilichen Schrift- und Ermittlungsverkehr der vergangenen zehn Jahre, sondern auch alle Ermittlungen, die die Polizei nach Kampuschs Flucht über ihren Entführer Priklopil angestellt hatte. Natürlich sind auch die Protokolle aller polizeilichen Einvernahmen Kampuschs enthalten, in denen sie noch unter dem Schock der Ereignisse sehr offen über ihr Verhältnis zu Priklopil gesprochen hatte. Diese Akte war allerdings so streng unter Verschluss, dass tatsächlich niemand einen Einblick erhalten konnte.

Bis jetzt. Akteneinsicht haben nicht nur die 17 Mitglieder des Ausschusses, sondern auch die Ersatzmitglieder, die jede Partei nominieren durfte. Dazu kommen noch die mit dem Ausschuss befassten Mitglieder der diversen Parlamentsklubs und die Mitglieder der Parlamentsdirektion. Ganz offensichtlich haben ein oder mehrere Personen aus diesem Kreis einen besonderen Draht zu den Medien. Die Mitglieder des Ausschusses haben jetzt ein Problem. Die Staatsanwaltschaft Wien hat sich am Freitag eingeschaltet und ermittelt nun wegen verbotener Aktenweitergabe. Sollte die Staatsanwaltschaft tatsächlich die undichte Stelle finden, dann drohen dieser Person bis zu drei Jahren Haft. Dann hat die Boulevardpresse noch eine Geschichte.

Markus Huber

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