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Erdbeben: Haitis Regierung ruft Notstand aus

Die Hilfe für die Hunderttausenden Erdbebenopfer kommt noch immer sehr langsam an. UN-Generalsekretär Ban bat die Menschen in Haiti um Geduld.

Ausnahmezustand bis Ende Januar: Fünf Tage nach dem katastrophalen Erdbeben hat die haitianische Regierung den  Notstand in dem zerstörten Karibikstaat ausgerufen. Wie der Minister für Alphabetisierung, Carol Joseph, mitteilte, gilt die Maßnahme bis Ende Januar.

Über die Zahl der Todesopfer herrscht immer noch Unklarheit. Nach Angaben der Regierung wurden bereits 70.000 Tote geborgen. Diese Zahl nannte der haitianische Ministerpräsident Jean-Max Bellerive am Sonntag dem amerikanischen Fernsehsender ABC. Experten gehen von bis zu 200.000 Erdbeben-Opfern aus. Mindestens 250.000 Menschen wurden Schätzungen der UN und haitianischen Behörden zufolge verletzt, 1,5 Millionen sind obdachlos.

Am Sonntag besuchte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon das Katastrophengebiet und bat die Menschen, die noch immer verzweifelt auf Hilfe warten, um Geduld. Das Welternährungsprogramm (WFP) könne etwa zwei Millionen Menschen versorgen – allerdings erst in zwei Wochen. "Doch die Versorgungslage wird sich langsam weiter verbessern", sagte er in Port-au-Prince. Ihr seid nicht allein", sagte Ban, nachdem er sich in einem Flug im Helikopter einen Überblick über die Lage verschafft hatte.

In der Hauptstadt sind offenbar vereinzelt Unruhen ausgebrochen. Nach Angaben der Polizei wurde in verschiedenen Teilen der Millionenstadt auf Menschen geschossen. Die Polizei hielt Journalisten davon ab, in die Innenstadt zu gehen. Ein Polizeibeamter sagte einer Reporterin der Deutschen Presse-Agentur: "Sie schießen auf jeden, Journalisten, Polizisten." Bereits zuvor hatte es Berichte über sich ausbreitende Unruhen und sporadische Gewalt gegeben. In den meisten Fällen war der Hintergrund, dass Lebensmittel gestohlen wurden. Auch der für die militärischen Hilfsgüter-Transporte zuständige US-General Ken Keen sagte, dass gewalttätige Auseinandersetzungen die Hilfe für die Erdbebenopfer behinderten.

Die haitianische Regierung ersuchte inzwischen die USA ausdrücklich, für die Sicherheit in dem Karibikstaat zu sorgen und langfristig beim Wiederaufbau des Landes zu helfen. In einem am Sonntag veröffentlichten Kommuniqué beider Staaten begrüßte der haitianische Präsident René Préval die Anstrengungen der USA als wesentlich für den Wiederaufbau und die Stabilität des Landes. Die Erklärung ist Resultat eines Treffens Prévals mit US-Außenministerin Hillary Clinton.

US-Streitkräfte haben auch die Kontrolle über den Flughafen der haitianischen Hauptstadt übernommen, wo fünf Tage nach dem Erdbeben immer mehr Trinkwasser, Nahrungsmittel und medizinische Hilfe ankam.

Auch wenn es immer wieder Hoffnungsschimmer gab und am Wochenende fünf Menschen wie durch ein Wunder lebend aus den Trümmern gezogen werden konnten, sank die Hoffnung, noch mehr Menschen retten zu können, zusehends. "Heute ist der letzte Tag, an dem wir noch Überlebende finden können", sagte Rami Peltz, der mit einem israelischen Rettungsteam in Port-au-Prince im Einsatz war. Menschen können maximal drei Tage ohne Wasser auskommen, in Haiti herrschen derzeit zudem Temperaturen bis zu 30 Grad. In dem  Katastrophengebiet waren am Sonntag 43 internationale Hilfsteams mit gut 1700 Rettungskräften und 161 Spürhunden im Einsatz.

In enger Abstimmung mit dem WFP will die haitianische Regierung rund 280 Notfallzentren in Schulen und öffentlichen Gebäuden eröffnen. Sie sollen der Verteilung von Hilfsgütern sowie als Notunterkünfte dienen. Die Menschen, die bis jetzt auf Plätzen und in Parks kampieren, sollten dort hingehen, hieß es aus Port-au-Prince. Die Gebäude in der Hauptstadt seien zu mehr als 60 Prozent zerstört oder schwer beschädigt.

Inzwischen wird immer deutlicher, dass nicht nur die Hauptstadt, sondern auch der Süden und Westen des bitterarmen Karibikstaates verwüstet sind. Der Länderdirektor des Kinderhilfswerks Plan International, Rezene Tesfamariam, beschrieb die Situation in Jacmel im Süden des Landes: "60 Prozent der Gebäude sind zerstört, 24 Schulen sind eingestürzt oder stark beschädigt, die Krankenhäuser haben keinen Strom". In Leogane, westlich von Port-au-Prince, sprach ein Reporter der britischen BBC von apokalyptischen Szenen. Fast jedes Gebäude sei zerstört, nach UN-Angaben sind dort 90 Prozent der Häuser dem Erdboden gleichgemacht. Ein Überlebender sagte: "Wir haben keine Hilfe, nichts. Kein Essen, kein Wasser, keine Medizin, keine Ärzte."

Nach haitianischen Medienberichten sind auch die Krankenhäuser der Stadt Les Cayes im Südwesten Haitis übervoll mit Erdbebenopfern. In Les Cayes, das selbst nur geringfügig von dem Erdbeben betroffen ist, fehlen bereits Medikamente und es gibt auch nicht genügend Ärzte und Krankenpfleger. Die Krankenhäuser der drittgrößten Stadt des Landes seien fast völlig ausgelastet, hieß es.

Hilfsgüter wie Wasser, Lebensmittel, Medikamente und Stromgeneratoren will auch der ehemalige US-Präsident Bill Clinton nach Haiti bringen. In seiner Funktion als UN-Sonderbeauftragter für Haiti wird er nach Port-au-Prince reisen und dort mit Staatschef Préval zusammenkommen. Als Sondergesandter fühle er sich dem haitianischen Volk besonders verpflichtet sicherzustellen, dass die Hilfe "koordiniert und effizient bleibt", erklärte Clinton. Sowohl er als auch der frühere Präsident George W. Bush wurden von ihrem Amtsnachfolger Barack Obama mit dem Sammeln von Spenden für Haiti beauftragt.

Um weitere finanzielle wie auch mittel- und langfristige Wiederaufbauhilfe geht es an diesem Montag auch in New York und Brüssel. Sowohl der UN-Sicherheitsrat als auch die EU-Entwicklungsminister beraten über die weiteren Schritte. Die Bundesregierung hat ihre Hilfe auf 7,5 Millionen Euro aufgestockt. Nach Angaben von Außenminister Guido Westerwelle werden noch immer 23 Deutsche vermisst.

Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, Reuters, AFP

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