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Panorama: Es gibt keinen geheimnisvollen "vertraulichen Bericht"

Die Vorwürfe um Bakterienresistenz beruhen auf einer Studie, die dem Tagesspiegel vorliegt und die sträflich fehlinterpretiert wurde VON JUSTIN WESTHOFF Berlin.Der "vertrauliche Bericht der Bundesregierung", demzufolge eine "unheimliche Krankheit in Berliner Großkrankenhäusern zum Alltag" gehöre, entpuppte sich als nicht existent.

Die Vorwürfe um Bakterienresistenz beruhen auf einer Studie, die dem Tagesspiegel vorliegt und die sträflich fehlinterpretiert wurde VON JUSTIN WESTHOFF

Berlin.Der "vertrauliche Bericht der Bundesregierung", demzufolge eine "unheimliche Krankheit in Berliner Großkrankenhäusern zum Alltag" gehöre, entpuppte sich als nicht existent.Wie Recherchen ergaben, handelt es sich bei dem geheimnisvollen Papier, das "Der Spiegel" als Beleg für zahlreiche schwere Infektionskrankheiten angeführt hatte, um eine wissenschaftliche Studie, die dem Tagesspiegel vorliegt, und die von dem Nachrichtenmagazin sträflich fehlinterpretiert wurde. Das Blatt hatte behauptet, durch die Verfütterung des Tierantibiotikums "Avoparcin" würden nicht nur immer mehr Bakterien in Tieren resistent.Durch die Aufnahme der resistenten Keime litten auch zunehmend Menschen an Infektionskrankheiten, gegen die kein Mittel mehr zur Verfügung stehe.Wie berichtet, hat sich jetzt das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) in Berlin energisch gegen Vorwürfe gewandt, das Verbot von Avoparcin verschleppt zu haben. Avoparcin wird bei "lebensmittelerzeugenden Tieren" gegen natürlich vorkommende Darmbakterien (Enterokokken) eingesetzt, die unter bestimmten Umständen, etwa bei Immunschwäche, schwere Infektionen auslösen können.Beim Menschen sind einige Erreger-Stämme gegen gängige Substanzen resistent.In solchen Fällen bedienen sich die Ärzte des Präparates "Vancomycin".Dieses "Reservemittel" ist chemisch mit Avoparcin verwandt.Bei Tieren wurde eine "Kreuzresistenz" beobachtet: Gegen Avoparcin resistente Keime sprechen auch auf Vancomycin nicht mehr an. Als Hauptresistenzquelle gelten indessen Eigeninfektionen von immungeschwächten Patienten mit Darmbakterien sowie Hygienemängel in Krankenhäusern.Für den Verdacht, daß Menschen resistente Keime auch aus Fleisch und Wurst aufnehmen könnten, gibt es bislang keine Beweise, aber Verdachtsmomente.Die Außenstelle des Robert-Koch-Institutes im brandenburgischen Wernigerode hat 1995 erstmals in Fäkalien von Rindern resistente Enterokokken gefunden.Auch bei untersuchten Patienten wurden rund zwölf Prozent resistente Keime gefunden.Dies habe jedoch nichts mit tatsächlichen Krankheiten zu tun, erläuterte Dr.Wolfgang Witte vom RKI.Dies könne nur beim Zusammentreffen mehrerer unglücklicher Zustände eintreten.Witte hält es jedoch für nicht gänzlich ausgeschlossen, daß die "industriemäßige Tiermast ein Reservoir" darstellen könnte, wenn in Fleischereien nicht absolut hygienisch gearbeitet werde. In den USA sind bis zu 30 Prozent der Enterokokken bereits gegen Vancomycin resistent - obwohl dort Avoparcin nicht zugelassen ist.Dies spricht gegen Fleisch und Wurst als Ursache.In Deutschland lag das praktische Problem darin, daß es keine wissenschaftlichen Angaben über die Häufigkeit von Vancomycin-resistenten Bakterien im menschlichen Organismus gab.Das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Infektionsimmunologie, zuständig sowohl für das Klinikum Benjamin Franklin als auch für das Virchow-Klinikum, hat deshalb die Frage untersucht.Damit ist der erste Teil des Geheimnisses gelüftet, warum nämlich ausgerechnet und ausschließlich in Berlin die "unheimliche Krankheit" aufgetaucht sein soll: aus anderen Regionen liegen keine Daten vor.Die Berliner Studie, die dem Tagesspiegel vorliegt, gelangte - auf dem Umweg über ein weiteres Universitätsinstitut - an das BgVV.In einem zusammenfassenden Vortrag stehen jedoch im Krankenhaus erworbene Infektionen im Vordergrund.Vom Tier als Resistenz-Quelle ist darin überhaupt nicht die Rede.Das BgVV hat das Papier einer Stellungnahme an das zuständige Landwirtschaftsministerium beigelegt - gerade nicht, um Vorsichtsmaßnahmen zu "verschleppen", sondern um deren Notwendigkeit zu untermauern.Die Bundesregierung hat sich in seiner Stellungnahme der Auffassung angeschlossen, daß untersucht gehöre, ob die Resistenz vom Tier auf den Menschen übertragbar ist.Aus Vorsicht forderte sie die EU auf, bis dahin ein vorläufiges Avoparcin-Verbot zu erlassen.Als sich die EU dem nicht anschloß, haben Deutschland und Dänemark die Zulassung in nationalen Alleingängen ausgesetzt. Dem Nachrichtenmagazin genügte die Tatsache, daß in der Studie von elf Prozent resistenter Keime die Rede war, um Alarm zu schlagen.Auf Anfrage sagte der Leiter des Mikrobiologischen Instituts an der FU, Helmut Hahn, hier sei die "Isolierrate" mit tatsächlichen Krankheiten verwechselt worden.Es sei normal, daß zum Beispiel in den Exkrementen von Rindern elf Prozent Avoparcin-resistente Enterokokken analysiert werden können.Dies bedeute aber keineswegs, daß die Bakterien für Menschen krankheitserregend und antibiotikaresistent seien.In Wirklichkeit gab es im gesamten Jahr 1996 auf einer Station des Universitätsklinikums Benjamin Franklin zwei Menschen, die an Vancomycin-resistenten Bakterien erkrankt waren; in keiner anderen Abteilung in Steglitz wurde dies beobachtet.Am gesamten Universitätsklinikum Rudolf Virchow gab es keinen einzigen Fall.

JUSTIN WESTHOFF

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