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Fall Lena: Keiner fühlte sich zuständig

Der Anwalt der Hinterbliebenen beklagt eine Belagerung der Wohnung durch Neugierige.

Selbstanzeige, Hilferufe, Therapien: Es gab viele Warnsignale vor dem Mord an Lena in Emden. Doch niemand hat entschlossen reagiert. Die pädophile Neigung des mutmaßlichen Täters war lange bekannt. Der Chefarzt der Psychiatrie, in der der junge Mann vor der Tat behandelt wurde, weist eine Mitverantwortung zurück. Gegen vier Polizisten wird intern ermittelt. Die Eltern des Jugendlichen meldeten sich bereits 2010 bei Jugendamt und Polizei.

Der Mann hat zugegeben, die elfjährige Lena am 24. März getötet zu haben. Zur Todesursache macht die Polizei weiter keine Angaben. Der Anwalt der Eltern der getöteten Lena hat von den Medien mehr Besonnenheit verlangt. „Etwaige Versäumnisse sollten zunächst gründlich aufgeklärt werden, um dann auf sicherer Informationsbasis Schlüsse zu ziehen und über Konsequenzen zu entscheiden“, sagte Bernhard Weiner der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Wer Lenas Familie unterstützen wolle, solle sich „zurück- und fernhalten oder für Lena und ihre Familie beten“, sagte der Jurist. Er kritisierte, dass „Ferndiagnosen tatsächlicher oder selbst ernannter Experten“ die Hinterbliebenen zusätzlich belasteten. Die Wohnung der Familie werde durch Journalisten und Neugierige belagert, die Angehörigen des Mädchens lebten derzeit an einem sicheren Ort. „Nur in der Dunkelheit schleicht sich die Familie noch in ihre Wohnung, um Notwendiges zu erledigen.“

Während der psychiatrischen Behandlung des mutmaßlichen Täters im vergangenen September und November soll sich der damals 17 Jahre alte Jugendliche unauffällig verhalten haben. Die Therapie sei regulär beendet worden, sagte der leitende Mediziner der Aschendorfer Kinder- und Jugendpsychiatrie, Filip Caby, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Das Ziel war unter anderem, dass eine Selbstanzeige erfolgt.“ Am 23. November zeigte sich der junge Mann dann tatsächlich bei der Emder Polizei als Pädophiler an. Einen Tag später entkam eine erwachsene Joggerin knapp einer Vergewaltigung in den Emder Wallanlagen. Auch diese Tat wird dem 18-Jährigen zugeordnet.

Warum kam es nicht zu einer empfohlenen weiteren Therapie? Dem Psychiater Caby zufolge war sein Haus als Einrichtung für Kinder und Jugendliche nach der Entlassung des späteren mutmaßlichen Mörders nicht mehr zuständig: Der junge Mann sei inzwischen 18 Jahre alt gewesen, für die Betreuung von Volljährigen gebe es eine „Lücke im System“.

Massive Kritik kam vom Verein Deutsche Kinderhilfe: Es seien nicht nur Ermittlungspannen, sondern auch erhebliche Defizite des Jugendhilfesystems zutage getreten, sagte ein Sprecher. Alarmzeichen gab es demnach genug: Seine Mutter hatte ihn beim Kreisjugendamt Aurich gemeldet, weil er 2010 eine Siebenjährige nackt fotografiert hatte. Auch die Polizei in Aurich war seit September im Bilde, nachdem der Stiefvater den 18-Jährigen dort wegen Kinderpornos auf seinem Computer angezeigt hatte. Jetzt untersuchen interne Ermittler der Polizei Osnabrück, wie es zu der Pannenserie im Vorfeld des Verbrechens kommen konnte. Gegen vier Beamte wird disziplinarrechtlich ermittelt, gegen zwei von ihnen auch strafrechtlich. Der Verdacht: Strafvereitelung im Amt. dpa/AFP

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