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Beispielloser Systemfehler. Das Federal Bureau of Investigation (FBI) steht unter Druck, weil es der Justiz jahrzehntelang falsche Beweise lieferte.

© Tim Brakemeier/dpa

Falsche Todesurteile: Beispielloser FBI-Skandal erschüttert die USA

Aufgrund fehlerhafter Haaranalysen sind in den USA jahrzehntelang falsche Todesurteile gefällt worden. Viele Betroffene kommen jetzt frei – doch mindestens drei Urteile sind bereits vollstreckt.

Von Andreas Oswald

Sind in den USA jahrzehntelang Menschen unschuldig zum Tode verurteilt worden, weil falsche Analyseverfahren angewendet wurden? Ein Bericht, den die „Washington Post“ am Sonntag veröffentlichte, zeigt das Ausmaß dieses systematischen Justizfehlers. Die Zeitung spricht von einem der „größten forensischen Skandale“ in den USA. Demnach hat das FBI in Strafprozessen jahrelang fehlerhafte Haaranalysen und Laboraussagen geliefert – und ist dadurch für mindestens 60 falsche Todesurteile mitverantwortlich. Zwar gestand die US-Bundespolizei die „Fehler“ ein und kündigte an, den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In mindestens drei Fällen ist dies aber unmöglich, weil die Todesurteile bereits vollstreckt wurden.

Die falschen Analysen hatten jeweils die Argumente der Anklage begünstigt. Der entscheidende Fehler liegt darin, dass eine Analysemethode angewendet wurde, bei der es möglich war, dass die Haarprobe auch zu einer weiteren Person passen könnte. So wurden die Haare optisch verglichen. Es gibt nach Angaben der „Washington Post“ keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse, wie man durch optischen Haarvergleich ausschließlich auf eine bestimmte Person schließen kann. Deshalb sei ein DNA-Vergleich unumgänglich, um sicher zu sein, dass es sich nur um eine bestimmte Person handeln kann.

Die Generalinspektion des Justizministeriums (OIG) hatte dem FBI im Juli in einem Bericht die folgenschweren Fehler vorgeworfen. Außerdem kritisierte die OIG damals, die Polizeibehörde habe jahrelang nichts unternommen, um nach einem ersten entsprechenden Bericht über gravierende Laborfehler von 1997 Abhilfe zu schaffen.

FBI und Justizministerium geben Fehler zu

Am Sonntag folgte nun die Reaktion, in einer gemeinsamen Erklärung von FBI und Justizministerium. Darin gibt die Behörde zu, ihre Spezialisten hätten auf Grundlage mikroskopischer Haaranalysen „Fehler“ gemacht, die in Aussagen und Laborberichte eingeflossen seien. In dem OIG-Bericht vom Juli war von „wissenschaftlich untragbaren Analysen und übertriebenen Aussagen von FBI-Laborexperten in Strafprozessen“ die Rede gewesen.

Die „Washington Post“ berichtete am Sonntag, in 95 Prozent von insgesamt 268 überprüften Prozessen seien „fragwürdige“ forensische Analysen des FBI verwendet worden. Die Zeitung beruft sich auf Angaben des Verbandes der Strafverteidiger NACDL und des Innocence Project, das versucht, irrtümlich verurteilte Häftlinge freizubekommen. Demnach legte das FBI seit mehr als 20 Jahren Beweise vor, die in Wahrheit keine waren.

Inzwischen würden die fehlerhaften Aussagen allein auf Grundlage der mikroskopischen Haaranalysen „nicht mehr gemacht“, erklärten FBI und Justizministerium gemeinsam. Zusätzlich würden die Haare nun auf ihre DNA analysiert. Dazu würden „erhebliche Mittel“ aufgewendet. Denjenigen, die zu Unrecht hinter Gittern oder gar in der Todeszelle sitzen, versprach das FBI, sie würden über die Fehler informiert und ihnen widerfahre „Gerechtigkeit in jeder Instanz“. Angeklagte und Staatsanwaltschaft in zahlreichen Bundesstaaten seien inzwischen aufgerufen worden, mögliche Berufungsverfahren zu prüfen. Vier Angeklagte seien bereits zuvor aus der Haft entlassen worden.

Der OIG zufolge wurden allerdings bereits drei Todeskandidaten, in deren Prozessen fehlerhafte FBI-Analysen verwendet wurden, hingerichtet. Einer von ihnen wäre ohne die falschen FBI-Indizien niemals zum Tode verurteilt worde, erklärte die Generalinspektion. Ein betroffener Häftling wurde demnach nach 27 Jahren freigesprochen und fünf weitere Urteile annulliert. Senator Richard Blumenthal, ein ehemaliger Staatsanwalt, forderte das FBI und das Bundesjustizministerium auf, alle 2500 Fälle neu zu untersuchen, die noch nicht abgeschlossen sind. Das Ausmaß des Skandals ist nicht abzusehen. Fälle, die vor 1985 verhandelt wurden, sind nicht im Computer gespeichert.

Es ist nahezu unmöglich, alle Fälle zu untersuchen. Ein Bundesstaat nach dem anderen beginnt nun, in den Archiven zu suchen. Dabei ist es in den meisten Fällen wohl unmöglich, nachträglich etwas festzustellen, weil die biologischen Beweise nicht mehr vorhanden sind. Rechtsprofessor Brandon L. Garrett sagte dem Blatt, es sei „ein totales Desaster“, das hier aufgedeckt worden sei. Es gebe keine Methode, mit systemischen Irrtümern im Justizsystem umzugehen. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in vielen Fällen neben der Haaranalyse noch andere Beweise für eine Täterschaft vorgelegt wurden, aber das kann jetzt nicht mehr für alle Fälle rekonstruiert werden. (mit AFP/dpa)

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