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© AFP

Familiendrama: Ein Fall von Selbstjustiz

Überfallen, geschlagen, gefesselt und vor die Tür gelegt - ein Vater entführt den mutmaßlichen Mörder seiner Tochter und bringt ihn nach 27 Jahren vor Gericht.

Der 74-jährige Kardiologe Dieter Krombach aus dem bayerischen Lindau muss sich in Frankreich, wo er in Abwesenheit wegen Tötung seiner Stieftochter zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war, bei einem neuen Prozess vor Gericht verantworten. „Ich habe mein Ziel erreicht“, sagte André Bamberski der Presse nach seiner Freilassung aus Polizeigewahrsam. Er ist überzeugt, dass der mutmaßliche „Mörder“ seiner Tochter Kalinka nun nach 27 Jahren doch noch büßen muss.

Bamberski hatte sich seit langem ganz der Jagd auf Krombach, den ehemaligen Lebensgefährten seiner Ex-Frau, verschrieben und aus seiner Forderung nach Sühne sein Lebenswerk gemacht. Wegen der Art und Weise, wie er den französischen Behörden mit an Selbstjustiz grenzenden Methoden den Tatverdächtigen zukommen ließ, muss er voraussichtlich selbst vor Gericht. Ihm drohen als Auftraggeber einer gewaltsamen Entführung bis zu zehn Jahre Haft.

Der aus Polen stammende Bamberski hat zugegeben, dass er vom Kidnapping des am Bodensee wohnenden Kardiologen informiert gewesen sei. Er leugnet und bereut nichts. Im Gegenteil weist er darauf hin, dass das Verbrechen ab 2015 verjährt wäre und dass die französische Justiz trotzdem „absolut nichts“ unternommen habe. Das scheint es in seinen Augen vollauf zu rechtfertigen, wenn er nun selber für „Gerechtigkeit“ sorgte.

Gefesselt und geknebelt wurde Krombach am Sonntag in Mulhouse (Elsass) der französischen Justiz wie ein Paket frei Haus geliefert. André Bamberski selber informierte per Telefon das Gericht in Mülhausen über die Ankunft des von Frankreich seit 1993 steckbrieflich gesuchten Deutschen und über den exakten Ort, wo er gefunden und festgenommen werden könne. Krombach war am vergangenen Samstag beim Verlassen seines Hauses überfallen und danach in einem Auto über die Grenze nach Frankreich gebracht worden. Diverse Kopfverletzungen lassen den Schluss zu, dass Krombach geschlagen wurde. Einer der mutmaßlichen Entführer, ein aus dem Kosovo stammender 38-jähriger Staatenloser, der im Vorarlberger Rheintal lebt, hat sich der Polizei gestellt. Er wurde als Verdächtiger verhört, aber vorerst auf freiem Fuß gelassen.

Dieter Krombach wurde inzwischen von Mülhausen in ein Krankenhaus nach Paris überführt. Der Haftrichter ordnete an, dass er vorläufig unter medizinischer Betreuung in Untersuchungshaft bleibt. Das Berufungsgericht von Paris hat nun eine relativ kurze Frist von einem Jahr Zeit, um einen neuen Prozess zu organisieren, auf den jeder in Abwesenheit Verurteilte seit einer kürzlichen Revision der Strafprozessordnung aufgrund einer Verurteilung Frankreichs durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof jetzt ein Anrecht hat. Krombach war 1995 in Abwesenheit vom Berufungsgericht in Paris zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die französischen Richter hielten es für erwiesen, dass er 1982 die damals 14-jährige Kalinka Bamberski getötet habe, als er versuchte, sie durch Medikamente wehrlos zu machen, um sich an ihr zu vergreifen. Das Mädchen war in Krombachs Wohnung, wo sie bei ihrer Mutter zu Besuch war, mit Injektionsspuren an den Armen leblos aufgefunden worden.

In Deutschland wurde das Verfahren eingestellt, der Fall wurde ohne Strafverfolgung zu den Akten gelegt. Krombachs Auslieferung nach Frankreich wurde aus diesem Grund auch nach seiner Verurteilung durch das Pariser Gericht abgelehnt. Die bayerische Justizministerin Beate Merk reagierte deswegen nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP empört. Es sei „inakzeptabel“, wenn einzelne sich selbst zum Richter aufschwängen, weil sie mit gerichtlichen Entscheiden eines anderen Landes nicht einverstanden seien. „Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.“

Anderer Meinung war in diesem Fall die französische Justiz, die für die Ermittlungen die sterblichen Überreste von Kalinka zu einer Autopsie kommen ließ und Krombach für ihren Tod verantwortlich machte. Bei einem Prozess wird seine Vorstrafe nicht für ihn sprechen. 1997 war er in Deutschland wegen sexuellen Missbrauchs einer 16-jährigen Patientin, die er zuvor betäubt hatte, zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden und hatte in der Folge auch seine Zulassung als Arzt verloren.

Rudolf Balmer[Paris]

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