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Frauen und Männer: Hallo Fräulein!

Sie waren Lehrerin, Kellnerin oder Telefonistin: die Frolleins. Dann wurde die Anrede als diskriminierend abgeschafft. Das Fräulein ist wieder da – selbstbewusst und ironisch.

Acht Uhr spätestens, hat Frollein gesagt!“ Das war das Totschlagargument. Und ich selber hatte es meinen Eltern geliefert. Treuherzig hatte ich zu Hause erzählt, was unsere Lehrerin für die angemessene Ins-Bett-Geh-Zeit für Kinder hielt. Das wurde nun Abend für Abend gegen mich verwendet.

Mein Glaube ans Fräulein war damals noch unerschütterlich. Fräulein war eine Autorität. Einen Namen trug es übrigens auch, Wellershoff, aber der war nicht so wichtig und außerdem längst nicht so schön wie der Name der Lehrerin meiner Schwestern: Fräulein Büchsenschuss. Wer als Schüler seine Hand erhob, ja, schwenkte (wozu ich viel zu schüchtern war), der rief nur: Frollein! Frollein! Ich glaube, alle Volksschullehrerinnen der frühen 60er Jahre waren echte Fräuleins. Später, am Gymnasium, waren unsere Pädagoginnen immer noch unverheiratet, aber dort wurden sie als Frau angesprochen. Wenn das keine Diskriminierung ist.

Ja, es gab Zeiten, im 20. Jahrhundert, noch gar nicht so lange her, da waren berufstätige Frauen, die vorzugsweise als Lehrerinnen, Sekretärinnen und Krankenschwestern arbeiteten, fast durch die Bank unverheiratet. Wer heiratete, gab in der Regel seinen Beruf auf. Richtig, seinen. Das Fräulein ist schließlich ein Neutrum.

Das war auch einer der triftigen Gründe, warum die Frauen auf die Barrikaden gingen. Die Argumente lagen klar auf der Hand: Es gibt ja auch kein Herrlein. Und warum soll der Mann komplett sein, so, wie er ist, während das weibliche Wesen erst durch den Stand der Ehe erwachsen wird? Und wieso soll überhaupt jeder sofort wissen, ob frau Single ist oder nicht. Die Unvollkommenheit, die die Verniedlichungsform nahelegt, schien das Wesen des Fräuleins zu sein. Irgendwie hatte sie immer das falsche Alter – zu jung, um reif, oder zu alt, um noch attraktiv zu sein. Die Feministinnen waren zu Recht empört.

Seit knapp 40 Jahren ist Schluss damit. 1972 wurde das Fräulein mit einer Erklärung des Bundesinnenministeriums aus dem offiziellen bundesdeutschen Wortschatz gestrichen: „Es ist an der Zeit, im behördlichen Sprachgebrauch der Gleichstellung von Mann und Frau und dem zeitgemäßen Selbstverständnis der Frau von ihrer Stellung in der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Somit ist es nicht länger angebracht, bei der Anrede weiblicher Erwachsener im behördlichen Sprachgebrauch anders zu verfahren, als es bei männlichen Erwachsenen seit jeher üblich ist. Im behördlichen Sprachgebrauch ist daher für jede weibliche Erwachsene die Anrede ,Frau’ zu verwenden.“

Und jetzt – feiert das Fräulein fröhlich Wiederauferstehung. „Fräulein“, so heißt ein brandneues junges Frauenmagazin (mit männlicher Chefredaktion), die Girls Group „Fräulein Wunder“ singt „Wenn ich ein Junge wär“, das Fräulein Schneider von den Geschwistern Pfister unterhält uns aufs Köstlichste. Einmal aus dem offiziellen Sprachgebrauch verbannt und aus dem Alltag weitgehend verschwunden, konnte es neu mit Bedeutung aufgeladen, spielerisch eingesetzt werden.

Fräulein, das klingt doch auch viel heller und lustiger, fröhlicher als die Frau, die einem wie ein Klotz vor die Füße plumpst. „Fräulein Stark“, so der Titel einer sehr schönen Novelle von Thomas Hürlimann aus dem Jahr 2001 – der Name ist Programm: Das neue Fräulein, das sich das Etikett nun selber umhängt, ist keine alte Jungfer mehr, sondern selbstbewusst, frei und frech, so, wie unsere Mütter es schon wussten, als sie uns – „Fräuleinchen!“ – ermahnten.

„Das Fräulein ist tot! Es lebe das Fräulein!“, so hat der japanische Germanist Saburo Okamura schon vor Jahren einen Artikel zum Thema überschrieben. Zu seiner Überraschung hatte der Experte für Sprachwandel festgestellt, dass ihm das Wort, von dem er dachte, dass es das gar nicht mehr gibt, auffallend oft in der Zeitung begegnete. Und meist, so Okamura, wird es bewundernd gebraucht: „für junge, oft hübsche Leistungsträgerinnen“, Sportlerinnen wie Steffi Graf, Sängerinnen wie Lena.

Für den Japaner steckt im Fräulein viel deutsche Geschichte. Dazu gehört auch, dass es bei den Nazis gar nicht gern gesehen war, weil es ja kein Kanonenfutter produzierte; da galt die Frau nur als Mutter was. Und dann kamen die Amerikaner und befreiten das Fräulein von der Scham, eins zu sein – sie feierten das Fräuleinwunder. In einer Armeeumfrage von 1945 erklärten die GIs die deutsche Frau für besonders locker und frei, sauberer als die Französin, besser gekleidet als die Engländerin. „Außerdem ist sie eine gute Köchin und Geliebte.“ Mmh, das ist nun nicht besonders feministisch gedacht. Und doch verhalf der frische, bewundernde Blick der Amerikaner dem Fräulein zu einem erheblichen Schub an Selbstbewusstsein.

Ja, man kann die Geschichte des Fräuleins als Geschichte der Emanzipation lesen, auch der bürgerlichen. Denn ursprünglich, wie jedes Kind seit Goethe weiß, war es ein Titel, der Adeligen vorbehalten war. Und dem Fräulein verdanken viele Mädchen ihre Bildung, nicht erst seit meiner Volksschulzeit. Die „Englischen Fräulein“ haben ihnen schon im 17. Jahrhundert Lesen, Schreiben und vieles mehr beigebracht. Das war eine Revolution – und als solche wurde sie von der Katholischen Kirche auch geahndet. Die Ordensgründerin Mary Ward, die fand, dass Männer und Frauen einander geistig ebenbürtig waren, wurde ein Opfer der Inquisition. Die „Häretikerin, Schismatikerin, Rebellin gegen den Heiligen Stuhl“ wurde gefangen genommen, die Ausbildungsstätten geschlossen. Sie machten trotzdem wieder auf, in München etwa gibt es sie heute noch. Die Aristokratin, Jahrgang 1585, blieb übrigens aus eigenen Stücken unverheiratet. Mehrere Anträge lehnte sie ab, „aus keinem anderen Grund als weil ich keine Zuneigung empfand“.

Auch das Fräulein vom Amt ist eine weibliche Erfolgsstory. Die Großherzogin von Baden hatte schon 1864 dafür gesorgt, dass Frauen für den Telegraphendienst eingestellt wurden – und sie verdienten nicht schlecht. Die Kaiserliche Post- und Telegraphenverwaltung empfahl später, weiblichen Bewerberinnen bei der Einstellung den Vorzug zu geben, da sie aufgrund ihrer höheren Stimmlage leichter zu verstehen seien, außerdem geduldiger wären und die Anrufer ihrerseits rücksichtsvoller. Nun ist Telefonistin kein großer Sprung auf der Karriereleiter. Aber es war überhaupt erst mal ein Beruf, den Fräuleins ausüben konnten. Und (fast) nur sie. Telefonistinnen mussten ledig oder kinderlos verwitwet sein.

Immerhin: Literarisch hat das Fräulein schon früh Karriere gemacht, als Fräulein von Scudéri, Fräulein Julie und Fräulein Else. „Das gute Fräulein“ des isländischen Nobelpreisträgers Halldór Laxness rührt auch das kecke Fräulein von heute zu Tränen. Und vor zehn Jahren wurde das neue, literarische Fräuleinwunder ausgerufen.

Wenn Frauen sich heute selbst das Etikett umhängen, bekommt das leicht Schrullige, das dem Fräulein oft anhaftete, und das ja auch ein Ausdruck von Freiheit sein kann, etwas Liebenswürdiges. Aber Selbstbestimmung muss sein. Im Moment korrespondiere ich wegen eines Interviews mit der Sekretärin einer englischen Herzogin, die mich hartnäckig mit Miss anredet. Genauso störrisch schreibe ich an „Ms.“ zurück. In Großbritannien ist die Sache nämlich noch komplizierter als bei uns, da führte der feministische Protest nicht zur Abschaffung des Fräuleins, sondern zur Einführung eines dritten, ehestandsneutralen Begriffs, Ms. Mit sanftem S, was selbst für Eingeborene äußerst schwer auszusprechen ist und „klingt, als hätte man eine wütende Biene im Mund gefangen“, wie es in einem Großbritannienführer heißt.

Womit wir an dem Punkt angekommen wären, der bis heute ungelöst ist: Wie ruft man nun die Kellnerin? Das war ja noch so eine Ungerechtigkeit, dass alle Serviererinnen zu Fräuleins degradiert, ihre männlichen Kollegen dagegen automatisch zum „Herrn Ober“ befördert wurden. Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat schon zwei Mal die Frage nach Alternativen als Preisaufgabe gestellt. Beim ersten Mal kam praktisch gar nichts raus, beim zweiten Mal: „Frau Ober“. Nun denn.

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