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Panorama: Ganz ohne Spannung

Wegen einer einzigen Leitung schalten über 20 US-Kraftwerke in einem Domino-Effekt ab. In Deutschland ist das Netz längst nicht so empfindlich

Die Ursache des Stromausfalls, der am Donnerstag in weiten Teilen des amerikanischen Kontinents bis zu 50 Millionen Menschen von der Energieversorgung abgeschnitten hat, war auch am Freitag nicht zu klären. Ob es – wie anfangs vermutet wurde – ein Brand in einem Atomkraftwerk in Pennsylvania war, oder ein Blitzeinschlag in eine Leitung: In der Folge jedenfalls fehlten knapp 62 000 Megawatt elektrischer Leistung. Zum Vergleich: das ist gut 25 Mal so viel, wie Berlins Kraftwerke stemmen.

Kanada liefert den nordöstlichen US-Bundesstaaten Energie, vorwiegend aus Wasserkraft. Irgendwo im „oberen Mittelwesten“ gab es einen Verlust in der Hochspannungsverbindung. Dies muss so plötzlich geschehen sein, dass in einem Domino-Effekt zum Schluss über 20 US-Kraftwerke ausgefallen waren, darunter neun Atomkraftwerke. Und gerade die müssen nach einer solchen Reaktorschnellabschaltung aufwändig geprüft werden, bevor sie wieder ans Netz dürfen. Das dauert einige Tage.

Aber wie kann es in einem Netz beim Ausfall nur eines Drahtes zu so immensen Problemen kommen? Zwei denkbare Antworten gibt es darauf: Entweder ist das Netz an dieser Stelle zu dünn geknüpft, oder es wurde nicht richtig auf „Umleitung“ geschaltet, als der Ausfall hereinbrach.

Jedenfalls urteilte das „Wall Street Journal“ bereits, die Netzbetreiber hätten ihren ersten richtigen Stress-Test nicht geschafft. Elektrischer Strom ist nämlich eine ganz besondere Energieform: Er lässt sich in so großen Mengen nicht speichern. Jede Kilowattstunde, die beim Verbraucher genutzt wird, muss zum selben Zeitpunkt produziert und zu ihm geleitet werden. Anders ausgedrückt: es muss eine permanente Balance zwischen Produktion und Verbrauch herrschen.

Im Normalfall funktioniert das ja auch. Reißt aber ein Versorgungskabel ab, dann müssen die anderen Teile des Netzes versuchen, die Last der angeschlossenen Konsumenten zu tragen. Und das geht nur in bestimmten Grenzen.

Jedes Kraftwerk in einem Drehstromnetz muss nämlich mit einem genau definierten Tempo fahren, damit es nicht gegen seine Kollegen arbeitet. Außerdem gibt es Verbraucher, die auf die angesagte Wechselstromfrequenz angewiesen sind, weil sie zum Beispiel ihre Uhr danach stellen. In Deutschland sind das 50 Hertz (Schwingungen pro Sekunde), in USA 60 Hertz.

Nun kann aber ein Kraftwerksbetreiber bei plötzlich ausfallender Unterstützung von draußen – also bei unerwartet über ihn hereinbrechender Last – nicht einfach aufs Gaspedal treten wie ein Autofahrer am Berg. Wird die Last langsam stärker, werden Reserven aktiviert. Von einer Sekunde auf die andere jedoch ist das nicht möglich. Da müssen Verbraucher „abgeworfen“ werden, und zwar weder zu viele, noch zu wenige. Sonst geraten die Kraftwerksgeneratoren vollends aus dem richtigen Tempo. Wird dann eine bestimmte Frequenzgrenze unter- oder überschritten, schaltet sich das Werk automatisch ab, um schwere Schäden zu verhindern. Damit lasten auf den anderen Werken wieder mehr Verbraucher – im schlimmsten Fall setzt sich dieser Effekt so lange fort, bis alle Dominosteine umgekippt sind. Was im Osten der USA und Kanadas wohl passiert ist.

Kann eine solche Entwicklung auch bei uns drohen? Ganz auszuschließen vermag das niemand. Doch ist hier die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer. Denn die Stromnetze sind viel engmaschiger als in den USA, zudem gibt es in Europa eine – noch – ausreichende Kraftwerksreserve. Aber da muss man aufpassen: So hat dieser heiße Sommer zu einer erhöhten Stromnachfrage für Kühlanlagen geführt, andererseits mussten viele Kraftwerke ihre Produktion mangels Kühlwassers einschränken.

Hinzu kommt, dass die Sommerzeit für Reparaturen genutzt wird. Denn die Leistung der europäischen Kraftwerke hatte sich bislang immer am Winterbedarf orientiert, wenn viel Strom für Wärme und Licht gefordert wird. Wenn nun jedoch weiterhin mit so warmen Sommern gerechnet werden muss, schrumpfen die Reserven in absehbarer Zeit. Jede Vorsorge freilich kostet Geld, und das könnte der Verbraucher bald spüren.

Gideon Heimann

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