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Panorama: Genetischer Fingerabdruck von allen?

Die Briten sind bei der Verbrecherjagd mit DNS-Profilen führend. Gäbe es Auskünfte über sämtliche Menschen, könnten Täter kaum entkommen

Diesen Fall hätte vermutlich auch Sherlock Holmes nicht gelöst. 1989 waren in Großbritannien zwei weibliche Teenager vergewaltigt worden, der Täter konnte unerkannt entkommen. Neun Jahre später gab ein Mann namens Colin Jacklin bei einer Autokontrolle einen falschen Namen an, wurde festgenommen und zur Abgabe einer DNS-Probe aufgefordert. Da stellte sich heraus: Jacklins Erbinformation war die gleiche, die am Tatort der Vergewaltigungen sichergestellt worden war. Das Urteil lautete: schuldig.

Kommissar DNS und Inspektor Zufall haben das Verbrechen gelöst. In Deutschland würde Colin Jacklin dagegen noch frei herumlaufen. Denn anders als in Großbritannien muss hier zu Lande ein Verdächtiger schon ein erhebliches Delikt verübt haben, damit die Polizei das Recht hat, seinen genetischen Fingerabdruck in die DNS-Analysedatei einzuspeisen. In Großbritannien genügen dagegen auch kleinere Vergehen wie Diebstahl. Das Ergebnis: Auf der britischen Insel sind zwei Millionen Personen mit ihrem persönlichen DNS-Profil zentral gespeichert, bei uns nur etwa eine Viertelmillion. Also jeder 30. Brite, aber nur jeder 320. Deutsche.

Alles begann 1985, als ein erst 34 Jahre alter britischer Genetiker namens Alec Jeffreys von der Universität Leicester die Methode eigentlich mehr zufällig erfand. Jeffreys benutzte molekulare „Gen-Scheren“, um Erbinformation zu schneiden. Dabei fand er einen Weg, unterschiedlich lange Schnipsel von Erbsubstanz zu messen und die Ergebnisse wie einen Strichcode darzustellen. Verblüfft stellte Jeffreys fest, dass dieser Strichcode für jede Person einzigartig war.

„Das war ein fantastisches Gefühl“, erinnert sich Jeffreys. „Das letzte, woran wir dachten, war ein Einsatz des Verfahrens in der Kriminalistik. Aber schon nach fünf Minuten war die Sache klar: dies war ein Fingerabdruck der DNS.“ Heute steht fest, dass kein anderes Verfahren die Verbrechensbekämpfung jemals so schnell und radikal verändert hat wie die Erbgutanalyse.

Dauerte ein genetischer Fingerabdruck Mitte der 80er Jahre noch Wochen, sind es heute ganze fünf Stunden. Die Erbinformation DNS wird aus der Probe gewonnen, mit einem biochemischen „Schnellkopierer“ vervielfältigt und danach im Computer ausgewertet. Eine einzige Zelle genügt.

Die Briten waren nicht nur die Entdecker des genetischen Fingerabdrucks, sie waren auch die ersten, die ihn systematisch für die Verbrechensbekämpfung einsetzten. Jeffreys wurde bereits 1987 aufgefordert, bei der Aufklärung zweier brutaler Sexualmorde in einem Dorf mitzuhelfen. Mit dem DNS-Profil wurde ein zu Unrecht Verdächtigter entlastet und der Schuldige nach einem Massentest gefunden.

1995 richtete Großbritannien als erstes Land eine zentrale DNS-Datenbank in Birmingham ein. Spuren von Tatorten werden hier mit dem Erbgut-Profil Verdächtiger verglichen, die Erfolgsquote liegt bei 40 Prozent. Schon heute ist die Datenbank die größte ihrer Art, und sie soll in den nächsten Jahren auf drei Millionen DNS-Profile wachsen.

Die Datenbank hat strenge Auflagen. So sind die Labors für die DNS-Profile Verdächtiger und für die Tatort-Proben strikt getrennt, um eine mögliche Kontamination mit DNS um jeden Preis zu vermeiden. Die Wissenschaftler tragen sterile Masken, Handschuhe und Kittel, und nur wenige dürfen in die Nähe der surrenden grauen Maschinen, in denen die DNS analysiert wird.

Inzwischen hat eine Gruppe von Rechtsexperten, Wissenschaftlern und Beamten die Frage aufgeworfen, ob es nicht einfacher und ethisch vertretbarer wäre, wenn jeder Brite seine DNS-Probe abgeben würde. Dann würde nicht eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe diskriminiert werden. Die Unschuldigen hätten nichts zu befürchten, die zu Unrecht Angeklagten würden entlastet und die Schuldigen würden gefunden – jedenfalls in vielen Fällen. Internationale Datenbanken erleichterten den Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität.

Die Kritiker warnen, die bürgerlichen Freiheiten kämen in Gefahr: „Der Staat hat kein Recht auf unsere DNS.“ Die Informationen könnten in falsche Hände fallen, missbraucht werden und unter Umständen etwas über die Persönlichkeit des Gespeicherten verraten. Schließlich würde die Effektivität der Datenbank sinken, weil sie mit Millionen DNS-Profilen Unschuldiger „verdünnt“ würde.

Ob also am Ende tatsächlich alle Briten eine Speichelprobe abgeben, ist wohl eher unwahrscheinlich. Aber es zeigt sich, dass zwischen der Diskussion in Großbritannien und Deutschland Welten liegen. Denn bei uns wären Experten wie Marion Nagy vom DNS-Labor der Berliner Charité schon zufrieden, wenn die Erlaubnis zur DNS-Analyse schneller erteilt würde und mehr Personen in der DNS-Datei registriert wären. Und eine DNS-Datenbank für alle Deutschen? Marion Nagy ist skeptisch: „Wer es sich leisten kann, würde trotzdem davonkommen.“

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