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Gesundheit: 124 Millionen Jahre altes Uvogel-Fossil erworben

Mit Confuciusornis sanctus hat der Stammbaum der Vögel neue Äste bekommenMatthias Glaubrecht Das berühmte "Berliner Exemplar" des bereits im vergangenen Jahrhundert in Bayern entdeckten Urvogels Archaeopteryx hat Gesellschaft bekommen. Das Museum für Naturkunde konnte ein gut erhaltenes Fossil des knapp 124 Millionen Jahre alten Confuciusornis sanctus erwerben.

Mit Confuciusornis sanctus hat der Stammbaum der Vögel neue Äste bekommenMatthias Glaubrecht

Das berühmte "Berliner Exemplar" des bereits im vergangenen Jahrhundert in Bayern entdeckten Urvogels Archaeopteryx hat Gesellschaft bekommen. Das Museum für Naturkunde konnte ein gut erhaltenes Fossil des knapp 124 Millionen Jahre alten Confuciusornis sanctus erwerben. Die Funde dieser urzeitlichen Vögel aus der Provinz Liaoning im Nordosten Chinas erweisen sich immer mehr als Kronzeugen für die kreidezeitliche Evolution der Vögel. Denn wie bereits die Archaeopteryx zeigt auch der urige, aus der Yixian-Formation geborgene Konfuzius-Vogel ein Mosaik aus ursprünglichen, reptilhaften sowie bereits modern wirkenden, vogeltypischen Merkmalen.

Das Alter von Confuciusornis konnte inzwischen von einem Team um Carl Swisher von der Universität im kalifornischen Berkeley mit Hilfe genauer geochronologischer Datierungsmethoden verlässlich festgelegt werden. Demnach stammt Confuciusornis aus der frühen Kreidezeit. Er ist rund 25 Millionen Jahre jünger als Archaeopteryx aus den Plattenkalken im bayerischen Altmühltal.

Zu der neuen Datierung von Confuciusornis als Kreidevogel fügt sich auch der Befund, dass dieser ein wenigstens teilweise über Archaeopteryx hinausgehendes, vergleichsweise modernes Entwicklungsniveau repräsentiert. Für die Rekonstruktion der Vogel-Evolution ergibt sich daraus die wichtige Schlussfolgerung, dass es offenbar im Zeitraum des Übergangs vom Oberjura zur Unterkreide zur stammesgeschichtlichen Aufspaltung der Vögel in verschiedene Evolutionslinien gekommen ist.

Während es anfangs lediglich drei, nur teilweise erhaltene Skelette waren, sind mittlerweile so zahlreiche Exemplare von Confuciusornis sanctus gefunden worden, wie von kaum einem anderen fossilen Vogel. Inzwischen hat auch das Senckenbergmuseum in Frankfurt am Main Stücke erworben, die dort von Dieter Stefan Peters in Zusammenarbeit mit seinem chinesischen Kollegen Ji Qiang vom Geologischen Nationalmuseum Chinas in Peking eingehend untersucht wurden.

Aus ihren Studien ergibt sich ein erstaunlich lebendiges Bild des etwa krähengroßen Confuciusornis: Offenbar konnte der Konfuzius-Vogel, der gesellig an Süßwasserseen lebte und mit seinen verlängerten mittleren Schwanzfedern an einen Tropikvogel erinnert, segelfliegen. Vielleicht konnte er sogar schwimmen und klettern.

Ein chinesisch-amerikanisches Forscherteam um Lianhai Hou vom Institut für Wirbeltierpaläontologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking stieß kürzlich mit dem etwa ein Drittel kleineren Confuciusornis dui auf einen weiteren Urvogel. Seine Besonderheit ist der primitive Bau des Schädels sowie der deutliche Abdruck eines Hornschnabels. Dies ist der erste direkte und älteste Nachweis eines solchen Merkmals bei einem mesozoischen Vogel.

Archaeopteryx besaß eine Reptilschnauze und zahlreiche Zähne. Doch seit dem ersten Fund von Confuciusornis wusste man, dass dieser zahnlose Kiefer hatte. Der jetzt gefundene Schnabel des Konfuzius-Vogels erstreckt sich über die Deckknochen hinaus und läuft in einer langen, leicht nach oben gebogenen Spitze aus. Demnach dürfte sich dieser chinesische Urvogel eher vegetarisch denn räuberisch ernährt haben.

Dieter Stefan Peters hatte bereits aufgrund der leichten Aufwärtsbiegung am Unterkiefers von Confuciusornis sanctus vermutet, dass ein solcher Schnabel im Zusammenhang mit der Nahrungssuche im flachen Wasser oder im Schlamm steht. Denn dort ist er effektiver einsetzbar als ein gerader Schnabel. Zudem zeigen zahlreiche Grübchen in den Kieferknochen, dass Confuciusornis sanctus reich innervierte Tastkörperchen besaß. Offenbar verfügten die chinesischen Urvögel über ein empfindliches Tastorgan, das ihnen die Futtersuche im Wasser oder Substrat ermöglichte.

Kopfzerbrechen hatte Wirbeltieranatomen bislang insbesondere der Bau des Schädels von Urvögeln bereitet. Dem ersten, 1861 gefundenen sogenannten "Londoner Exemplar" der Archaeopteryx lithographica fehlte der Kopf völlig. Erst das 1877 entdeckte, zweite "Berliner Exemplar" löste weitgehend das Rätselraten um den Bau der Urvogel-Schädel. Allerdings lässt auch das Exemplar im Museum für Naturkunde die Deckknochen des hinteren Schädels vermissen. Dagegen sind die gut erhaltenen Fossilien des Confuciusornis ein Glückfall für die Wissenschaft. An einigen Fundstücken ist der Schädels derart gut erhalten, dass sich Details der besonders wichtigen Schläfenregion rekonstruieren lassen.

Der Schädel heutiger Vögel ist extrem leicht gebaut. Er besteht im Wesentlichen aus einigen Knochenspangen, die das Gehirn und die großen Augenhöhlen umfassen. Dagegen zeigt Confuciusornis überraschenderweise eine "diapside" Konstruktion. Darunter verstehen Wirbeltieranatomen ein Muster der Knochenbildung in der Schläfenregion, die sich beidseits durch zwei vollständige Schläfenfenster auszeichnet. Diese beiden Fenster waren bislang von Dinosauriern her bekannt, während man sie bei Säugern und modernen Vögeln vergeblich suchte.

Confuciusornis hat mithin als einziger bekannter Vogel noch die komplette Fensterkonstruktion wie ein Dinosaurier. Zugleich schließt der Besitz dieser beiden Schläfenfenster aus, dass sich sein Oberkiefer gegenüber dem Hirnschädel bewegte. Auch dies ist demnach eine mit der Nahrungsaufnahme korrelierte Anpassung erst der modernen Vögel.

Die neuen Befunde lassen die Grenze zwischen Reptilien und Vögeln noch unschärfer werden. Viele der an den Forschungen beteiligten Paläontologen sind sich sicher, dass Confuciusornis mit seinem Mosaik an Merkmalen weder der Vorfahr moderner Vögel noch der später in der Kreidezeit lebenden Vögel aus der Gruppe der "Gegenvögel", der Enantiornithines, ist. Vielmehr muss in dem Chinavogel ein früher Seitenzweig der Vogel-Evolution gesehen werden.

Allenfalls modellhaft verkörpert dieses Fossil daher den Übergang zwischen Reptil und Vogel. Zugegeben: Mit Confuciusornis ist der Stammbaum der Vögel ein weiteres Mal komplizierter geworden. Doch auch hier zeigt sich deutlich, dass die Evolution keine zielgerichtete, geradlinige Entwicklung ist. Vielmehr muss man sie sich als einen im Ergebnis reich verzweigten Busch mit vielen Seitenästen denken, die später keine Fortsetzung fanden.

Viele Vertreter dieser Seitenäste zeigen daher eine Mischung aus altertümlichen und modernen Merkmalen; wobei modern lediglich das ist, was sich letztlich durchsetzte. Auch vermuten Experten wie Dieter Stefan Peters, dass viele bislang zweifelsfrei für vogeltypisch gehaltene Strukturen vielleicht sogar mehrfach entstanden sind. Viel häufiger müsse man zukünftig auch bei der Evolution der Vögel an parallele Entwicklungen denken.

Matthias Glaubrecht

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