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Gesundheit: Am Euter endet das Vergnügen

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...oder wie man Sensibelchen die Milch entlockt / Serie Praktika (5): LandwirtschaftVON HEIKE LEWINVielleicht scheint es vermessen, als gebürtige Berlinerin ausgerechnet Agrarwissenschaft studieren zu wollen, aber Biologie schien so theoretisch und Meerschweinchen hatte ich auch ...So laufe ich jetzt mit meinem neuen Chef über Weiden und genieße die Natur mit idyllischem Bach und schwarz-weißen Kühen im saftigen Grün: Mein neuer Arbeitsplatz.Mein Praktikum auf dem Bioland-Betrieb am Rand der Lüneburger Heide ist von der Studienordnung an der Humboldt-Universität vorgeschrieben: spätestens nach sechs Semestern muß man sechs Monate Praxis auf einem landwirtschaftlichen Betrieb nachweisen. Plötzlich stupst mich jemand ins Kreuz.Direkt hinter mir steht eins von diesen aus der Ferne so dekorativ anmutenden Tieren.Aus der Nähe ist es recht groß, und die Hörner wirken viel beeindruckender - es werden hier doch keine Bullen rumlaufen? Ich wende mich an den Bauern: "Ääh, dieses Rind ..." "Ach, das ist Olli." So, das ist also Olli, ich beschleunige unauffällig den Schritt, ist Olli nun ein Bulle oder eine Kuh? Jedenfalls folgt Olli mir auf dem Fuße, bis ich im Geschwindmarsch den Zaun erreicht habe.Müssen wir etwa über diese Weide zurück? Der Bauer wundert sich über mein Zögern, dann begreift er das Problem des Stadtkindes."Vor Olli brauchst Du keine Angst zu haben, die will bloß gestreichelt werden." Und richtig, als ich zaghaft die Hand ausstrecke, reibt sie genüßlich ihr Kinn daran - der unheimliche Verfolger verwandelt sich in die ungewöhnlich zahme Olli. Abends beim Melken lerne ich die anderen 15 Kühe kennen.Ihre Namen stehen auf Schildern über ihren Plätzen im Stall und beginnen mit demselben Buchstaben wie der der Mutter, so daß auch ich Verwandte gleich erkenne.Beim näheren Hinsehen unterscheide ich auch ganz verschiedene Zeichnungen der Tiere, so gibt es zum Beispiel ein Griechenland- und ein Afrika-Kalb, deren Flecken den Landkarten ähneln.Einen Namen bekommen die Jungrinder erst, wenn sie selbst ein Kalb haben. Ich wage mich mit zitternden Knien zwischen die Tiere, um Kraftfutter zu verteilen.Ich lerne, daß unsere Kühe nicht einfach schwarz-weiß, sondern echte Deutsche Schwarzbunte sind - eine aussterbende Rasse.Was gewöhnlich an schwarz-weißen Kühen gehalten würde, seien "Holstein-Frisian", eine Hochleistungsrasse, erklärt der Bauer.Stolz ist er auf seine drei 12jährigen Kühe, denn die deutsche Durchschnittskuh wird nur viereinhalb Jahre alt - länger überlebt sie die extrem hohe Milchleistung nicht. An einer dieser Großmütter (von Hella steht sogar schon die Urenkelin im Stall), kann ich mich dann zum ersten Mal im Melken versuchen.Trotz Melkmaschine muß ich erst Handmelken lernen: Der Bauer hockt sich neben Sanni, ergreift die Zitze mit der ganzen Hand, drückt zu und schon schießt ein dicker Strahl Milch in den Eimer - ganz einfach.Ich hocke mich neben Sanni, ergreife die Zitze, drücke zu, und finde mich im Stroh sitzend wieder.Dann habe ich gelernt, daß auch freundliche ältere Kühe es nicht schätzen, am Euter gezogen zu werden, und daß sie im weiten Bogen seitlich ausschlagen können.Nach einigen etwas vorsichtigeren Versuchen tröpfelt ein dünner Strahl zwischen meinen Fingern hervor - geschafft.Aber dieses ganze riesige Euter leermelken? Nein, das machen wir doch mit der Melkmaschine.Mit der Hand wird nur die erste, keimhaltige Milch gemolken und auf Veränderungen, die auf eine Krankheit hinweisen können, untersucht.Später stelle ich fest, daß Lena und Leuchte, auch als ich die Melktechnik beherrsche, die Milch nicht hergeben.Der Streß, eine unbekannte Person um sich zu haben, blockiert den Milchfluß.Nach ein paar Wochen haben auch die beiden Sensibelchen mich akzeptiert, ich fühle mich irgendwie geehrt. Am Ende des Praktikums kenne ich alle Kühe mit Namen, und ich kenne ihre Eigenheiten.Als wichtigste Erkenntnis nehme ich mit, daß trotz aller Technologie in der modernen Landwirtschaft nicht mit Milchproduktionsmaschinen gearbeitet wird, sondern mit Individuen, die auch eine entsprechende Behandlung brauchen. Listen von Praktikumsbetrieben in der Landwirtschaft im In- und Ausland gibt das Praktikantenamt der HU, Tel.2093 - 8844.Innerhalb Deutschlands kann man einen Praktikantenplatz mit einiger Anstrengung oft von einem Tag auf den anderen bekommen, fürs Ausland sollte man mindestens ein halbes Jahr Vorbereitungszeit einkalkulieren.Bezahlung ist im Inland Verhandlungssache.Nach Erfahrung von Udo Kummerow vom Praktikantenamt liegt sie zwischen "nichts" und 500 bis 1500 Mark.Fürs Ausland gibt es Stipendien.(um)

HEIKE LEWIN

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