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Gesundheit: Amerika, du hast es besser

Warum das US-Schulsystem besser ist als sein Ruf: Eine Lehrerin schreibt über ihren Schulalltag in den USA

Von Helga Hilson

Seit fast 20 Jahren bin ich Fremdsprachenlehrerin in der Nähe von Seattle in den USA. Bei meinem diesjährigen Sommerbesuch in Deutschland konnte ich nun kaum eine Zeitschrift oder Zeitung finden, in der die Pisa-Studie nicht diskutiert wurde. Jeder war – allen voran natürlich die Politiker – plötzlich Experte, und es gab unzählige Vorschläge, wie diese Krise zu beheben sei. Wie konnte es möglich sein, dass deutsche Schüler so schlecht abschlossen, schlechter gar als amerikanische? Deutschland war doch immer zu Recht stolz auf seine Schulausbildung. Und wir in den USA schauten bewundernd auf die Resultate. Was war geschehen?

Ich will wahrhaftig nicht behaupten, dass ich Antworten auf diese Frage habe, möchte aber doch einige Punkte ansprechen. Im vorigen Jahr las ich erstaunt Artikel, in denen die deutschen Lehrer über ihren „Höllenjob“ klagten. Andere Artikel berichteten über das mangelnde Interesse der deutschen Schüler an der Schule.

Hier in den USA haben wir einen Faktor, der uns Lehrer stärkt: Die meisten Schüler gehen eher gern in die Schule! Das bedeutet allerdings nicht, dass sie gern lernen. Die Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs ist offenkundig. Die High School ist ein soziales Ereignis, kein akademisches wie etwa das deutsche Gymnasium. Viele meiner Schüler sind oft 10 bis 14 Stunden in ihrer Schule: Orchesterprobe jeden Morgen vor dem eigentlichen Unterricht, der in der Regel bis 14 Uhr 30 dauert. Sport nach der Schule, abends eine Musik- oder Theateraufführung oder ein Sportwettkampf. Vielleicht auch eine Tanzveranstaltung.

Kreativität in kleinen Gruppen

Die Selbst- und Sozialkompetenz unserer Schüler wird entsprechend stark gefördert. Sie müssen viel in Partner- und Kleingruppen arbeiten und oft ihre eigenen Lösungswege finden. Diese mögen dann nicht immer denen der Lehrkraft entsprechen, fördern aber gleichwohl die Kreativität der Lernenden. Sie erarbeiten sich somit eine Methodenkompetenz, die man in deutschen Schulen oft vergeblich sucht. Dort wird noch immer häufig jeder Lernschritt vom Lehrer vorgegeben. Damit werden die Schüler zwar in ihrer Fachkompetenz gründlich ausgebildet, doch die Frage bleibt, was wohl interessanter und effektiver ist? Vor ein paar Tagen hatte ich ein Gespräch mit Ekkehard Sprenger, Fachberater beim Goethe-Institut im Nordwesten der USA. Er arbeitete früher in Schleswig-Holstein in der Lehrerausbildung und hat daher Einsicht in beide Schulsysteme. Für ihn war zunächst einmal wichtig, dass die Pisa-Studie nicht das Fachwissen der Schüler überprüft, sondern ihre Fähigkeit dieses Wissen auch anzuwenden. Während deutsche Schüler stufenweise tief gehend in separaten Fächern ausgebildet werden, gibt es für die amerikanischen Schüler ein fächerübergreifendes Lernen. Schüler, die in Deutschland nicht für bestimmte Lernformen taugen, sind in der Real- oder Hauptschule zu finden.

Bei uns sind sie alle auf der High School, die aus diesem Grund allerdings auch Kurse auf verschiedenen Niveaus anbietet. Trotzdem gibt es viele Kurse, besonders in den Wahlfächern, in denen nicht nur vier verschiedene Jahrgänge, sondern auch Schüler mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten oder sogar schweren Behinderungen sitzen. Ich erinnere mich an eine Spanischklasse, die ich vor ein paar Jahren unterrichtete, in der nicht nur vier verschiedene Jahrgänge saßen, sondern auch ein blindes und ein taubstummes Mädchen. Und die Lehrer müssen diese Klassen so gestalten, dass alle die Möglichkeiten haben, sie erfolgreich zu absolvieren. Das bedeutet natürlich, dass das Studium nicht so intensiv oder tief gehend gestaltet werden kann, sondern ein sehr differenziertes Spektrum an Lernaufgaben anbieten muss – aus deutscher Sicht zuweilen zu oberflächlich. Hinzu kommt, dass wir in meiner Schule 90-Minuten-Stunden haben.

Wie erhalte ich in meiner Deutschklasse das Lerninteresse von 30 Schülern, die ihre Freizeit mit Computerspielen verbringen? Ich kann es mir nicht leisten, die uninteressierten oder minderbefähigten Schüler am Wegrand zurückzulassen. Wenn sich nicht genügend Schüler in meine Klasse einschreiben, wird sie gestrichen, und ich habe keine Stellung – es sei denn, ich bin für ein anderes Fach qualifiziert. In meinem Fall sind das Französisch und Spanisch. Aber wir haben bereits Lehrer in diesen Fächern, und ich würde ihnen ihren Job wegnehmen, weil ich das Vorrecht der länger Beschäftigten habe.

Wir Lehrer hier sind schlecht bezahlt und überarbeitet. Wir müssen 37,5 Stunden pro Woche in der Schule verbringen, und oft werden es deutlich mehr wegen der extracurricularen Veranstaltungen. Und wir müssen auch jedes Jahr aufs Neue um unsere Stellung kämpfen. Das ist nicht schön, aber doch sehr motivierend, die Klassen so interessant und vielfältig wie möglich zu gestalten.

150 Stunden Fortbildung

Unser Gehalt basiert auf der Anzahl der Unterrichtsjahre – zwölf Jahre ist allerdings die höchste Stufe – und der Universitätsausbildung. Minimum ist ein Bachelor of Arts – etwa vier Jahre Uni plus Lehrerausbildung, Maximum ist ein Doktorentitel. Es lohnt sich also weiterzustudieren – allerdings auf eigene Kosten, und die sind enorm hoch. 500 Dollar pro Kurs sind normal.

Der Staat verlangt von mir außerdem, dass ich alle fünf Jahre 150 Fortbildungsstunden nachweise. Das können Kurse auf einem College oder einer Universität sein, aber auch Fortbildungskurse, die in unserem Schulaufsichtskreis (school district), vom Staat oder von anderen Anbietern, wie zum Beispiel dem Goethe-Institut gestaltet werden. Sie sind oft, aber nicht immer kostenlos. Herr Sprenger erläuterte, dass es natürlich auch in Deutschland viele Fortbildungsmöglichkeiten gäbe, dass aber, nach seiner Erfahrung, nur wenige und dann meistens die selben Lehrer davon Gebrauch machten. Leider oft diejenigen, die bereits gute Lehrer sind und danach streben, sich noch zu verbessern. Da aber keine Pflicht zur Fortbildung bestehe, erreiche es diejenigen nicht, die es vielleicht am meisten bräuchten.

Wir Lehrer müssen einfach mehr sein als nur Lehrer im konventionellen Sinn. Ich bin zugleich Beratungslehrerin, Unterhalterin, (emotionale, soziale) Beraterin und Marketing-Expertin. Zudem muss ich meinen Unterricht, mein Verhalten und meine Leistungsbeurteilungen ständig rechtfertigen – gegenüber den Schülern und ihren Eltern. Denn wir sind ausdrücklich dazu verpflichtet, die Eltern ständig auf dem Laufenden zu halten. Doch auch mit dem Schulleiter, den Beratern, dem Elternrat und dem Schulrat sind wir im Gespräch. Dazu kommt der school board – eine Art Aufsichtsrat jedes school districts, der aus engagierten, professionellen und öffentlich gewählten Leuten der Gemeinde besteht. Nicht, dass es mir immer Spaß macht. Oft ist es eine belastende Aufgabe, aber auch eine nützliche.

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