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Gesundheit: Auf dem Weg zur gesünderen Stadt

In Berlin gibt es rund 2000 eingetragene Sportvereine, hunderttausende Einwohner sind in einem Fitnessstudio angemeldet Trotzdem gelten die Hauptstädter nicht als fit, jeder zweiter Erwachsene wiegt zu viel. Eine Konferenz sucht nach Lösungen.

Glaubt man den Experten, dann handelt es sich um das reinste Wundermittel. Es hilft gegen unterschiedliche Leiden wie Rückenschmerz, Osteoporose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sogar Depressionen lassen sich damit wirksam bekämpfen. Das Mittel gibt es zudem zum Nulltarif und hat, richtig dosiert, so gut wie keine Nebenwirkungen. Sogar den Gang zur Apotheke kann man sich dadurch sparen. Denn: Der Patient selbst ist der Produzent.

„Bewegung“ heißt das Mittel, das laut einer jüngst von taiwanesischen Wissenschaftlern veröffentlichten Studie sogar die Lebenserwartung steigern soll. Nach Auswertung der Daten von 400 000 Taiwanern schätzen die Forscher, dass schon eine Viertelstunde körperliche Aktivität pro Tag das Risiko, vorzeitig zu sterben, um 14 Prozent senkt – und die Menschen im Durchschnitt drei Jahre länger leben.

Diesen eigentlich altbekannten Zusammenhang will sich auch das Land Berlin stärker zunutze machen. Auf der Konferenz „Vitales Berlin“ am vergangenen Donnerstag haben Vertreter aus Politik, Sport und Gesundheitsbranche im Olympiastadion diskutiert, wie man die Berliner fitter machen kann. „Wir wollen Berlin als Stadt des langen und gesunden Lebens profilieren“, sagte Ulf Fink, ehemaliger Gesundheitssenator und jetzt Vorsitzender des Vereins „Gesundheitsstadt Berlin“. Mit Blick auf Institutionen wie Charité, Robert Koch-Institut oder Berlin-Marathon betonte Fink: „Es gibt Potenziale zuhauf.“ Allerdings läge manches auch im Argen. Jeder zweite Berliner im Erwachsenenalter gilt als übergewichtig, so die Leiterin der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Sabine Hermann – Tendenz steigend. Die Rate von 46 Prozent liegt sogar leicht über dem Bundesdurchschnitt von 43 Prozent. Und die Deutschen bringen wiederum mit den Briten im europäischen Vergleich am meisten auf die Waage. Bereits 15 Prozent der Unter-18-jährigen Berliner sind übergewichtig, 6,3 Prozent sogar fettleibig. „In den vergangenen 20 Jahren hat sich das verdoppelt”, sagte Angelika Schaffrath Rosario vom Robert-Koch-Institut.

Betroffen sind vor allem Arme und Menschen mit Migrationshintergrund. Die langfristigen Ursachen bestehen laut Sabine Hermann in veränderten Lebensgewohnheiten, also falscher Ernährung und zu wenig Sport. So schafft es ein Drittel der Berlinerinnen und die Hälfte der Berliner nicht, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlene tägliche Menge Obst zu essen. Beim Gemüse schaffen das jede zweite Frau und zwei Drittel der Männer nicht.

In Sachen Bewegung ergibt sich ein gemischtes Bild. Rund 2000 eingetragene Sportvereine bieten vom traditionellen Tennis bis zum Trendsport „Badminton im Schwarzlicht“ so ziemlich alles an, was das Sportlerherz begehrt. Zudem sind rund 400 000 Berliner in einem Fitnessclub angemeldet. Und dann gibt es ja noch die große Mehrheit der Berliner, die unabhängig von Verein oder kommerziellem Anbieter regelmäßig ins Schwitzen kommen, am liebsten beim Radfahren, Schwimmen, Laufen oder Fußball. Insgesamt treiben rund 75 Prozent Sport, 62 Prozent davon mindestens einmal wöchentlich. Dennoch: Die von der DGE ausgegebene Empfehlung, sich fünfmal pro Woche mindestens 30 Minuten zu bewegen, setzen gerade einmal 23 Prozent der Männer und sogar nur 20 Prozent der Frauen in die Tat um.

Gegensteuern, so der Tenor der Konferenz, müsse man auf vielen Ebenen. So sollten die Akteure aus Sport und Gesundheit besser zusammenarbeiten, die betriebliche Gesundheitsförderung ausgebaut und der Breitensport stärker mit privaten Angeboten vernetzt werden. Georg Duda – er ist Direktor des Julius-Wolff-Instituts für Biomechanik und Muskuloskeletale Regeneration an der Charité und außerdem Direktor des Berlin-Brandenburg-Centrums für Regenerative Therapien – kritisiert: „In Forschung und Praxis wird zu zu viel Augenmerk auf Kuration und Regeneration gelegt.“ Dabei sei Prävention immer besser als teure Operationen oder eine Pille mit Nebenwirkungen. Dem stimmte Ulf Fink ausdrücklich zu. Wenn sich nichts ändert, werde das Gesundheitssystem schlicht unfinanzierbar. „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Weg von der Kuration, hin zur Prävention.“ Als positives Beispiel nannte eine Vertreterin der AOK das vom Berliner Senat sowie Krankenkassen und Ärztekammern organisierte Programm „Gute, gesunde Schule“, das 2006 in sechs Problem-Bezirken startete. Heute würden sich 135 Schulen, drei Viertel davon Grundschulen, daran beteiligen. Das Programm ist freiwillig und richtet sich an Schüler, Eltern und Lehrer, die Kochkurse, Tanzprojekte oder Arzt-Sprechstunden besuchen können. Zentraler Punkt ist jedoch eine „Rhythmisierung des Unterrichts“, erklärt der zuständige Landeskoordinator Dirk Medrow. „45 Minuten Frontalunterricht geht nicht immer. Also gibt es Streck- und Achtsamkeitsübungen oder Entspannungstechniken wie eine Körperreise.“ Das Feedback sei sehr positiv. Lehrer berichteten von besserer Konzentration der Schüler, weniger Stress und einem besseren „Ich-Gefühl“. Insofern verbessere das Programm das Gesundheitsklima an den Schulen, gehe aber über den Aspekt der Bewegungsförderung und des Sports hinaus.

Dass man die Sportvereine auf dem Weg zur „gesünderen Stadt“ nicht überfrachten dürfe, mahnte Karsten Heyer von „Kietz für Kids“ an. Der 1989 in Hohenschönhausen gegründeter Verein richtet sich mit diversen Kursen an Kinder, Erwachsene und Senioren. Eine Arbeit, die Heyer gerne macht. Allerdings hat er beobachtet, dass der Staat sich bei Präventions- und Reha-Angeboten zunehmend aus der Verantwortung stiehlt. So kommen immer mehr Senioren mit ihren Rezepten direkt zu Kietz für Kids – was für den hauptsächlich von Ehrenamtlern getragenen Verein einen hohen bürokratischen Aufwand bedeutet. „Wir sind zu einem Dienstleister für das Gesundheitssystem geworden“, klagt Heyer.

Der Leiter der AOK Nordost, Frank Michalak, forderte eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Bedeutung des Sports – und realistische Erwartungen. Wie schwierig es ist, die Jugend zu mehr Bewegung zu bringen, sehe er ja anhand seiner drei Kinder. „Wenn das neue Computerspiel Fifa-13 rauskommt, kann man dagegen wenig tun.“

Sebastian Meyer

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