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Gesundheit: „Ausbilden und Forschen nicht trennen“

Förderalismusreform: Der Verfassungsexperte Hans Meyer fordert Bundeshilfen für die Universitäten

Im Mai finden die Anhörungen von Bundestag und Bundesrat zur Föderalismusreform statt. Sie, Herr Professor Meyer, sind als Verfassungsexperte einer der geladenen Sachverständigen. Werden Sie dort für die Aufrechterhaltung der Mischfinanzierung von Bund und Ländern eintreten?

Ich trete nicht für die Mischfinanzierung insgesamt ein. Sie wird durch die geplante Verfassungsänderung teilweise zurückgeführt. Nur wird zu meinem Bedauern dem Bund die Möglichkeit genommen, bei auftretenden Schwierigkeiten den Ländern Hilfe zu leisten. Eine dieser auftretenden Schwierigkeiten ist heute schon abzusehen: Das ist der drohende neue Studentenberg.

Als 1969 durch eine Verfassungsänderung die Mischfinanzierung von Bund und Ländern im Hochschulbereich eingeführt wurde, stand die Bundesrepublik vor einer gewaltigen Expansion: Die Studentenzahlen sollten auf eine Million steigen, gemeinsame Anstrengungen im Hochschulbau mussten her. Heute geht es um eine Steigerung auf 2,7 Millionen Studenten. Kann man da auf die Mischfinanzierung verzichten?

Im Laufe der Verfassungsberatungen ist die Mischfinanzierung insgesamt negativ bewertet worden, aber eben nicht für alle Fälle. Die Länder haben zugestanden, dass im Bereich der Forschung der Bund mitfinanzieren kann. Das führt zu einer nicht akzeptablen Trennung zwischen zwei Bereichen, die in der Universität zusammengehören, nämlich der Ausbildung und der Forschung. Alle Forscher in den großen Wissenschaftsorganisationen sind an den Universitäten ausgebildet worden. Je schlechter die Ausbildung dort ist, umso schlechter wird der Nachwuchs für die Forschung sein. Deshalb ist es ein Nachteil, wenn man eine solche Trennung im Hinblick auf die Mitfinanzierung des Bundes einführt.

Im November schlug der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers vor, dass auch künftig Hochschulsonderprogramme ermöglicht werden sollen, um den Studentenberg zu bewältigen. Gibt es dafür juristisch wasserdichte Chancen?

Ich sehe in den neuen Konzepten für die Föderalismusreform keine Chancen für Hochschulsonderprogramme. Der Bund hat an den Hochschulen bei der Zulassung neuer Studenten und bei den Abschlüssen Gesetzgebungskompetenzen, aber von denen dürfen die Länder abweichen. Die Kosten entstehen aber bei der Ausführung durch die Länder. Es gibt daher keinen Ansatzpunkt für eine Förderung der Lehre durch den Bund. Vielmehr wird die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern durch die Föderalismusreform beseitigt.

Jürgen Rüttgers stellte sich die Lösung für Hochschulsonderprogramme so vor: Da der Bund eine Restzuständigkeit in den Hochschulen behält, soll diese gesetzliche Zuständigkeit zugleich eine Ermächtigung für Finanzhilfen bieten.

Rüttgers’ Prämisse ist falsch. Die Gesetzgebungskompetenz erlaubt dem Bund nicht, eine Sachaufgabe zu finanzieren. Die Gesetze zur Zulassung der Studienbewerber müssen die Länder ausführen. Und die Länder müssen dafür zahlen. Das heißt, der Bund darf nach Artikel 104a des Grundgesetzes keine Finanzhilfen an die Länder für die Lehre geben.

Annette Schavan denkt an eine Umwegförderung für die Lehre: Der Bund investiert überproportional in die Forschung und entlastet die Länder von einem Teil ihrer Aufgaben, so dass die Länder dafür mehr Geld für die Lehre aufwenden können. Ist dieses Verfahren juristisch sattelfest?

Ich warne vor solchen trickreichen Überlegungen. Die Bundeswissenschaftsministerin müsste dann nicht nur mit allen Länderfinanzministern, sondern auch mit allen Länderparlamenten ausmachen, dass die Mitfinanzierung des Bundes erstens für die Forschung verwendet wird und dass zweitens das dadurch angeblich freiwerdende Geld in die Lehre gesteckt wird. Ich glaube nicht, dass dieser Weg im geplanten Hochschulpakt 2020 sinnvoll beschritten werden kann. Auch deswegen halte ich es für notwendig, in der Föderalismusreform Vorkehrungen zu treffen, dass der Bund in Sonderfällen Hilfe leisten kann. Ein solcher Sonderfall ist durch den dramatischen Anstieg der Studentenzahlen gegeben.

Baden-Württemberg möchte die Belastungen durch einen Alleingang lösen: baden-württembergische Studenten dürfen für höchstens zwei Semester an die vom Studentenandrang verschonten Spitzenuniversitäten in Sachsen gehen. In dieser Zeit zahlt Baden-Württemberg den Sachsen anteilige Studienplatzkosten. Danach müssen die Baden-Württemberger in ihr Bundesland zurück, um dort Examen zu machen. Ist das die richtige Antwort auf eine nationale Herausforderung?

Die Bewältigung des Studentenbergs kann nicht regional gelöst werden. Außerdem wüsste ich gerne, wie die Sachsen die Studienplatzkosten berechnen. Die Baden-Württemberger würden sich wundern, wie viel Geld sie transferieren müssten, wenn die Sachsen ihre Gesamtkosten für die Studienplätze auf die Köpfe der Gaststudenten aus Baden-Württemberg umrechnen würden.

Rheinland-Pfalz, Sachsen und Berlin wünschen sich einen neuen Länderfinanzausgleich: Das Geld soll den Studenten folgen, egal in welchem Land sie studieren. Die deutsche Industrie, vertreten durch den BDI, unterstützt diese Lösung. Sehen sie für diese Lösung eine Chance, nachdem sie von Bayern und Baden-Württemberg bereits abgelehnt worden ist?

Bei den Verfassungsberatungen ist immer wieder deutlich geworden, dass die Länder versuchen, als Block aufzutreten. Wenn sich die Länder untereinander nicht einigen können, dann geschieht nichts. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solches System der neuen Finanzhilfen gegen zwei so mächtige, reiche und auch finanzstarke Länder in Deutschland durchgesetzt werden kann. Die Idee ist an sich sinnvoll, aber man müsste vor allem klären, wie die Kosten berechnet werden. Es wird sich herausstellen, dass die Bayern, die einen relativ schmalen Anteil ihrer Schüler zum Abitur führen, dabei besser wegkommen als solche Länder, die einen höheren Anteil von Jugendlichen das Abitur machen lassen. 40 Prozent eines Jahrgangs sollen die Hochschulreife erlangen. Wie sollen jene Länder diese Expansion ermöglichen, die bisher eine restriktive Politik betrieben haben?

Die Maßnahmen zur Bewältigung des Studentenbergs müssen bereits 2008 greifen. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Deswegen müssen juristisch und finanziell wirklich belastbare Lösungen gefunden werden. Wie könnten sie aussehen?

Dem Bund muss eine begrenzte Finanzierung von Sonderprogrammen erlaubt werden, unabhängig davon, ob es sich um Hochschulsonderprogramme handelt. Diese Ermächtigung muss an die Zustimmung des Bundesrates gebunden werden, und diese Bundeshilfe ist mit jährlich zurückgehenden Raten zu gestalten, damit sich die Länder nicht auf Dauer an solche Lösungen gewöhnen. In anderen Bundesstaaten gibt es solche Möglichkeiten, nur die Deutschen sind hier in der Rechtsgestaltung außerordentlich restriktiv, in der Praxis aber dann sehr viel großzügiger. Es wäre günstiger, das Verfassungsrecht so zu gestalten, dass man diese Großzügigkeit auch mit gutem Gewissen walten lassen kann.

Der Bund ist bei Finanzhilfen an die Länder im Falle einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts an den Investitionsbegriff gebunden. Was müsste man tun, um den Investitionsbegriff, der bisher sehr eng gefasst ist, zu erweitern?

Der Investitionsbegriff ist wegen des Artikels 115 im Grundgesetz so eng gefasst worden. In diesem Artikel steht, dass der Bund sich nur so hoch verschulden darf, wie er Investitionen tätigt. Wenn man auch Personalkosten unter den Investitionsbegriff fassen würde, dann gäbe es keine Grenze mehr für die Verschuldung des Bundes. Bei der Frage, ob der Bund Investitionen der Länder mitfinanzieren kann, stellt sich dieses Problem nicht. Deshalb müsste man einen anderen Investitionsbegriff für diesen Bereich entwickeln. Es ist nicht zu verstehen, dass ein Meter neu gebauter Straße eine Investition ist, aber ein Meter angeschaffter Bücher in einer Bibliothek nicht. Für die Mischfinanzierungen brauchen wir einen erweiterten Investitionsbegriff.

Das Interview führte Uwe Schlicht.

Hans Meyer (73) ist Verfassungsrechtler und einer der Sachverständigen, die im Bundestag zur Föderalismusreform gehört werden. 1993 bis 2000 war er Präsident der Humboldt-Universität.

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