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Gesundheit: Babys Grammatik

An der FU diskutieren 800 Forscher über Sprache

Urlaubszeit – Fremdsprachenzeit. Im Gastland kann man kleine Kinder fließend und offensichtlich mühelos in der Sprache reden hören, in der man selbst nur radebrechen kann, obwohl man sich im Sprachkurs redlich abmühte, sie zu erlernen.

Wie kleine Kinder ihre Muttersprache lernen und welche Voraussetzungen für diese gewaltige Lernleistung gegeben sein müssen, darüber rätseln und streiten Wissenschaftler schon seit Jahrhunderten. Inzwischen erlauben es moderne Bildgebungsverfahren – in bescheidenem Umfang –, dem Gehirn bei der Arbeit zuzuschauen. Mit gezielten Messungen von Hirnpotenzialen hat man herausgefunden, dass schon Babys die Sprachmelodie verarbeiten. Spätestens seit sich herumgesprochen hat, dass die Beherrschung der Landessprache entscheidend zum Schulerfolg beiträgt, gilt das Forschungsthema Spracherwerb zudem nicht mehr als Elfenbeinturm-Beschäftigung einer kleinen Gruppe von Sprachwissenschaftlern.

Noch bis Freitag tauschen sich Wissenschaftler aus aller Welt an der Freien Universität Berlin beim 10. Kongress der „International Association for the Study of Child Language“ (IASCL) darüber aus, wie Kinder sprechen lernen – und welche Beeinträchtigungen sie auf diesem Weg behindern können. Die Linguisten, Entwicklungspsychologen, Biologen und Sprachheilpädagogen haben, wie Mitorganisatorin Gisela Klann-Delius vom Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der FU vor Journalisten erklärte, einen „jeweils unterschiedlichen Blickwinkel auf den Gang der Ereignisse, den wir Spracherwerb nennen“.

Die 800 Forscher verständigen sich bei ihrem internationalen und interdisziplinären Treffen, das der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützen, natürlich auf Englisch. Doch stolze 33 der 6000 bis 10000 Sprachen der Welt sind bei dem Kongress vertreten. „Wir haben bisher überwiegend aus dem Englischen geschlossen und Sprachen mit anderen Strukturen unberücksichtigt gelassen“, sagte Klann-Delius. „Besonderheiten der einzelnen Sprachen und ihre Auswirkungen auf den Lernprozess zu betrachten, verändert das Bild“, ergänzte Michael Tomasello, Präsident der IASCL.

Das gilt zum Beispiel in der jahrzehntealten, erregten Debatte darüber, ob der Mensch schon mit Grundstrukturen der Grammatik ausgestattet zur Welt kommt oder ob er sie allein aufgrund des sprachlichen Inputs erwirbt, den seine soziale Umwelt ihm bietet. Für die „angeborene“ Grammatik votierte schon vor 40 Jahren der streitbare amerikanische Linguist Noam Chomsky. „Seine Annahmen waren für die Forschung sehr produktiv“, sagte Ray Jackendoff von der Brandeis University im amerikanischen Waltham.

Heute sei man aber einen wesentlichen Schritt weitergekommen, „die Vertreter beider Seiten können wesentlich differenzierter miteinander umgehen“, erklärte Klann-Delius. So konnte Jeffrey Elman von der University of California in San Diego anhand von Computermodellen zeigen, dass es – zumindest für solche „lernenden Maschinen“ – möglich ist, auch auf der Grundlage eines fehlerhaften Inputs die richtigen Verallgemeinerungen zu finden und eine korrekte Grammatik zu entwickeln.

„Wir interessieren uns inzwischen aber auch für die Frage, welche anderen Kenntnisse das Kind schon haben muss, um überhaupt Sprache lernen zu können“, sagte Jackendoff. Dass es sich in diesem Prozess mit komplizierten Strukturen herumschlagen muss, wissen alle, die später im Leben mit zweiten und dritten Sprachen kämpfen.

Adelheid Müller-Lissner

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