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Gesundheit: Berlin vertreibt seinen Nachwuchs

Von George Turner, Wissenschaftssenator a. D.

Alle reden über die Wichtigkeit von Wissenschaft und Forschung für Berlin. Der Senat aber handelt kontraproduktiv. Ein besonders krasses Beispiel ist die Entscheidung über die Festlegung der Studierendenzahlen. Eine verbindliche Aussage, welche Zahl denn gilt, ist offenbar nicht zu erhalten. Im Gespräch, besser wohl in der Gerüchteküche, sind 63 000 bis 85 000. Immerhin waren es einmal über hunderttausend. Dabei spielt die Umstellung auf die neuen Abschlüsse eine wichtige Rolle.

Die Bachelor-Ausbildung erfordert einen höheren Betreuungsaufwand als das bisherige Studium. Dies soll kostenneutral erreicht werden. Das bedeutet, dass die Zahl der Studienplätze reduziert werden muss. Es wird also schwieriger werden, in Berlin einen Studienplatz zu erhalten – für Einheimische und Bewerber von außerhalb. Dabei sind Studierende aus dem Ausland, wenn sie wieder in ihre Heimatländer zurückkehren, oft sehr gute „Botschafter“ für Deutschland und erweisen sich auch nicht selten im Geschäftsleben als wertvolle Kontaktpersonen.

Berlin würde es auch gut anstehen, wenn möglichst viele Studierende aus anderen Bundesländern hier ihre Ausbildung erführen. Sie würden vermutlich Eindrücke mitnehmen, die sich auch für die spätere politische Wertschätzung der Bundeshauptstadt positiv auswirken. Das könnte helfen, die Identifikation zu erhöhen, deren Fehlen heute oft beklagt wird.

Auf solche Effekte und Nebenwirkungen wird Berlin zunehmend verzichten. Eine Verschärfung des Numerus clausus wird weiter eintreten, weil die Bewerberzahlen noch einmal ansteigen werden. Das hängt damit zusammen, dass geburtenstarke Jahrgänge in vier bis sechs Jahren die Hochschulreife erwerben und in einigen Bundesländern durch die Verkürzung der Schulzeit von 13 auf 12 Jahre zwei Abiturientenjahrgänge gleichzeitig auf die Hochschulen zukommen. Manche Bundesländer richten sich darauf ein, indem zusätzliche Stellen geschaffen werden. Berlin verschließt die Augen.

Da es in den neuen Ländern, jedenfalls nach derzeitigen Einschätzungen, auch zu Zeiten der besonderen Belastung immer noch freie Plätze geben wird, werden sich Studierwillige aus Berlin in immer größerem Maße darauf einrichten müssen, an solche Hochschulorte auszuweichen. Das ist nicht das Schlimmste – Greifswald oder Ilmenau haben ihren eigenen Reiz. Berlin aber vertreibt seinen eigenen Nachwuchs. Immer weniger Auswärtige kommen hinein. Eine absurde Situation, wenn Bildung und Wissenschaft Schwerpunktbereiche sein sollen.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail schicken: g.turner@tagesspiegel.de

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