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Gesundheit: Bewegende Geschichten, wunderbares Publikum

Finale im Ethnologischen Museum: Die Erzähler freuten sich über konzentrierte Zuhörer im Beduinenzelt und vor afrikanischen Skulpturen

Von Amory Burchard

Die Odyssee eines georgischen Heiratskandidaten von Tiblissi nach Berlin, erzählt vor ostasiatischer Seidenmalerei. Ein frierendes Kind auf einem Karren irgendwo auf der Flucht vor der Roten Armee, vorgelesen unter dem Baldachin eines Beduinenzeltes. Das Ethnologische Museum war am Sonntag bis unters Dach angefüllt mit Geschichten über das Fremdsein, vorgetragen von 50 Teilnehmern des Tagesspiegel-Erzählwettbewerbs. Nachmittags lasen die unter den 300 Einsendern ausgewählten Autoren vor stimmungsvollen Kulissen – und vor insgesamt rund 500 Zuhörern. Die zehn Favoriten der Jury traten am Abend in einem nüchternen Vortragssaal im Untergeschoss der Dahlemer Museen auf. Aber bis zum letzten literarischen Wort des Abends hielt der rote Faden der Aufmerksamkeit für die Texte der Erzähler. Den Wettbewerb hatte der Tagesspiegel zusammen mit der Erzählakademie Katrin Rohnstock, der Firma eßkultur und dem Ethnologischen Museum organisiert.

„Ein wunderbares Publikum“, sagte Zurab Sumbadse nach seinem Auftritt. Die Zuhörer hätten alle Zwischentöne seines Berichts über seine erste Reise nach Berlin begriffen, an den richtigen Stellen den Atem angehalten und gelacht. Wie alle Vortragenden in den drei Erzählecken las Sumbadse, ein georgischer Maler, vor etwa fünfzig Leuten. Wer einen Sitzplatz hatte, lauschte konzentriert oft mehreren Erzählungen nacheinander. Wanderer zwischen den Erzählwelten – darunter auch die afrikanische vor figurativen Palastpforten aus Kamerun – stellten sich dazu, ohne zu stören. Auf ein Happy-End wie bei Sumbadse – „Ich bin angekommen, ich bin erlöst, ich bin ein fremder Berliner“ – reagierten sie mit befreitem Applaus.

Die Geschichten gehen weiter, wenn die Erzählungen zuende sind. Im Publikum und für die Autoren. William Warnstedt, der Sieger des Erzählwettbewerbs, setzte sich mit einem Erstlingswerk durch. Warnstedt ist Taxifahrer. Seine preisgekrönte Erzählung (siehe unten) allerdings „baute“ er wie ein Profi. Warnstedt redete sich sein „Unverhofftes Wiedersehen“ mit seiner Säuglingsschwester von 1947 zu Hause vor laufendem Mikro von der Seele, tippte das Band ab, überarbeitete den Text und zeichnete ihn dann noch einmal auf. So blieb die Erzählung unschlagbar lebendig. Auch die jüngste Favoritin, die neunjährige Marie Schorlemmer, verließ sich nicht allein aufs Schreiben und Vorlesen. Sie zeichnete ihre Story über „Elli, liebe Hexe“ zuerst als Bildergeschichte, und erzählte sie dann vom Blatt.

Furchtbar aufgeregt sei sie gewesen, erzählte Marie hinterher. Am Buffet, der kulinarischen Belohnung für alle Teilnehmer des Wettbewerbs, aber sprühte sie schon wieder vor Fantasie. Ob die Firma „eßkultur“ wohl auch das Rezept aus ihrer Erzählung – Tante Ellis Würmersuppe mit Spinnenbeinen und Tintenfischaugen – nachgekocht habe? Das nicht, aber es gab das arabische Fladenbrot aus Masen Abou Dakns Erzählung „Care Pakete aus Nahost“ (3. Preis) und die Panna Cotta aus Haldis-Kristina Wolperts Rendezvous-Dramolett „Mach’s mir, Baby“. Aber auch jetzt, nach vielen Stunden des Zuhörens, kein gefräßiges Schweigen im Foyer des Museums. Worüber reden fünf Damen an einem Tisch? „Na, über die Geschichten natürlich“, antwortet eine. Wie mutig die haarige Erzählung von Beatrice Stebler-Duttweiler (2. Preis) war und wie charmant der türkische Wiener Mustafa Ertugul über seine Integration in die Berliner Party-Szene berichtete. Die Geschichten in den Köpfen gehen weiter.

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