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Gesundheit: Bibliothek auf Knopfdruck

Ohne Schranken: Der Nobelpreisträger Harold Varmus kämpft für den ungehinderten Zugang zum Wissen der Welt

Der Nobelpreis gilt als Gipfel einer Wissenschaftlerkarriere. Nach dem Ersteigen eines Gipfels geht es aber naturgemäß meistens bergab. Nicht so für Harold Varmus. 1989, mit fast 50 Jahren, bekam der Arzt und Krebsforscher die höchste Ehrung der Wissenschaft zugesprochen. Aber dann begann Varmus’ zweite Karriere als „politischer Wissenschaftler“, wie die Zeitschrift „New Yorker“ über ihn titelte.

Von 1993 bis 1999 leitete er die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA, mit einem Etat von inzwischen knapp 30 Milliarden Dollar die mit Abstand wichtigste medizinische Forschungsinstitution der Welt. Varmus gab dem ins Trudeln geratenen Giganten neuen Auftrieb. Er unterstützte die Entzifferung des menschlichen Genoms und kämpfte für die Stammzellforschung. Heute leitet er das Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, eine New Yorker Krebsforschungsklinik.

Bekannt wurde der Medizin-Nobelpreisträger aber als Galionsfigur der „Open access“-Bewegung, die freien Zugang zu allen wissenschaftlichen Quellen fordert. Wikipedia für Wissenschaftler.

Varmus ist nicht mehr nur Forscher im Labor, sondern in eine neue Rolle hineingewachsen. In die eines Aufklärers und Humanisten, der mit der Waffe des Wissens Armut, Hunger und Krankheiten bekämpfen will. In einem Vortrag mit dem Titel „Internationale Ungleichheit in der Wissenschaft bekämpfen“ berichtete Varmus in der American Academy in Berlin, wo er als „Distinguished Visitor“ einen kurzen Aufenthalt eingelegt hat, über seine Arbeit als Prophet des Wissens.

Bamako, Mali. Varmus hat mitgeholfen, in der Hauptstadt des Saharalandes ein Labor für die Erforschung der Malaria einzurichten. Die Idee dahinter: In westlichen Forschungsinstituten geschulte afrikanische Wissenschaftler gehen in ihr Land zurück, um hier selbst ausgezeichnete Forschung zu betreiben.

Das Vorhaben ist Teil der 1999 aus der Taufe gehobenen „Millennium Science Initiative“. Mit Unterstützung der Weltbank fördert die Initiative die Wissenschaft in Entwicklungsländern. Auf Varmus geht die Idee eines „Global Science Corps“ zurück. In diesem, an die „Millennium Science Initiative“ angeschlossenen Programm verbringen gestandene Wissenschaftler aus Industrienationen ein Jahr in Ländern, in denen Forschung und Entwicklung noch in den Kinderschuhen stecken. Und in einem von der Gates-Stiftung geförderten Programm namens „Grand Challenges of Global Health“ geht es darum, Forschungsvorhaben zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten und Ernährungsproblemen voranzutreiben. Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats: Harold Varmus.

Für einen Globalisierer der Wissenschaft wie Varmus steht natürlich das Internet als Mittel zum Zweck ganz obenan. Eine Bibliothek von Alexandria für alle, gleichsam auf Knopfdruck, schwebt ihm vor. Ihr stellt er den Mönch in seiner Studierstube gegenüber, isoliert, mit einem Buch als kostbarem Unikat. Varmus geißelte die Probleme der Wissenschaftsverbreitung im ausgehenden Gutenberg-Zeitalter: erhebliche Kosten für Bibliotheken, hohe Gewinnspannen für Wissenschaftsverlage und der Copyright-Zwang der Verleger.

Noch in seiner Zeit als Chef der Nationalen Gesundheitsinstitute startete Varmus die Datenbank „Pubmed Central“, in der biomedizinische Forschungsartikel frei für jedermann veröffentlicht wurden. Und im Oktober 2000 rief er gemeinsam mit anderen die „Public Library of Science“ ins Leben, eine nichtkommerzielle Organisation, die mittlerweile sechs frei zugängliche wissenschaftliche Online-Zeitschriften herausgibt (www. plos.org). Varmus’ Liebling ist „Plos Biology“. „Wir haben 500 000 Klicks am Tag und müssen 90 Prozent der eingereichten Artikel ablehnen“, sagte er stolz.

Aber es gab und gibt auch viel Widerstand. Nicht nur von Verlegern, sondern auch von „konservativen“ (Varmus) Kollegen und wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die über die Zeitschriften ihr Auskommen finanzieren.

Varmus kämpft für seine Ziele, aber er tut es freundlich und gewinnend, mit einem Lächeln auf den Lippen. Selbst sein Geheimrezept für exzellente Forschung ist demokratisch abgeschmeckt: „Die Leute in meinem Labor nennen mich Harold.“

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