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Gesundheit: Billig über den Studentenberg

Zu knapp kalkuliert: Der Hochschulpakt reicht nicht für neue Studienplätze in den Natur- und Ingenieurwissenschaften

Wenn die Ministerpräsidenten am 13. Dezember mit der Bundeskanzlerin den Hochschulpakt unterschreiben, werden sie einander auf die Schulter klopfen. Ein großer Schritt zur Bewältigung der auf Deutschland zukommenden Studentenwelle scheint getan. Die Flächenländer der alten Bundesrepublik verpflichten sich, 91 370 neue Studienplätze bis zum Jahr 2010 zu schaffen. 565 Millionen Euro gibt der Bund. Die gleiche Summe steuern die Länder bei.

Möglich gemacht hat diesen nach langen schwierigen Verhandlungen zustande gekommenen Pakt die Angst, wie in den 1980er Jahren den alten Fehler einer Untertunnelung des Studentenbergs zu wiederholen. Außerdem drohte ein Verlust an Glaubwürdigkeit: Jetzt hat die Bundesrepublik die letzte Chance, Abiturienten, die in Massen in die Hochschulen drängen, zu qualifizieren. Nach 2020 kommt der große Einbruch bei den Schulabgängern.

Doch nur auf den ersten Blick erscheint die jetzt gefundene Lösung imponierend. Aus Berechnungen des Tagesspiegels wird klar, dass die Gesamtsumme von 1,13 Milliarden Euro, die Bund und Länder für die 91 370 neuen Studienplätze zugesagt haben, nicht annähernd reichen wird. Das als Erfolg gefeierte Paket ist eine Mogelpackung.

Im Einzelnen: Als Berechnungsgrundlage haben sich Bund und Länder auf die Durchschnittskosten eines Studienplatzes in Höhe von 22 000 Euro verständigt. Das entspricht den Durchschnittskosten, wie sie das Statistische Bundesamt für eine Studienzeit von vier Jahren errechnet hat. Multipliziert man jedoch 22 000 Euro mit 91 370 Studienplätzen, dann kommt man auf einen Kostenbedarf von 2 ,01 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Bis zum Jahr 2010 müssten Bund und Länder nach ihren eigenen Maßstäben über zwei Milliarden Euro aufbringen und nicht nur 1,13 Milliarden Euro, wie sie zugesagt haben.

Mit dem jetzt vorhandenen Geld stehen nicht mehr 22 000 Euro pro Studienplatz zur Verfügung, sondern nur noch knapp 12 411 Euro. Pro Jahr kostet ein Durchschnittsstudienplatz 5500 Euro nach der Kalkulationsgrundlage von Bund und Ländern. Wegen der Unterfinanzierung stehen jedoch pro Jahr und Studienplatz nur 3103 Euro zur Verfügung. Damit ist heute schon klar: Der Hochschulpakt ist in der jetzigen Form eine Billiglösung. Die Universitäten können mit diesem Geld vor allem Sprachwissenschaftler und massenweise Juristen, Ökonomen und Soziologen ausbilden. Neue Studienplätze für Naturwissenschaftler, Ingenieure oder Mediziner lassen sich mit 3103 Euro pro Jahr an den Universitäten kaum schaffen. Dieses Geld würde nur für neue Studienplätze für Mathematiker und Naturwissenschaftler an den Fachhochschulen reichen. Denn dort kostet ein Studienplatz in diesen Fächern nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2240 Euro im Jahr. Schon eine Ingenieurausbildung an den Fachhochschulen ist nur gerade noch bezahlbar bei Kosten von 3730 Euro pro Jahr und Studienplatz.

Zwar sollen mit dem Hochschulpakt tatsächlich neue, günstigere Studienplätze an den Fachhochschulen aufgebaut werden. Aber nicht nur. In den Stadtstaaten und den Ländern im Osten wird auch frisches Geld für die Erhaltung von bestehenden Studienplätzen an den Unis fließen. In den Ingenieur- und Naturwissenschaften und Informatik gibt es noch Überkapazitäten. Doch ein Studienplatz in Mathematik und den Naturwissenschaften kostet an den Unis jährlich 6810 Euro und in den Ingenieurwissenschaften 7420 Euro. Dafür sind die Mittel aus dem Hochschulpakt viel zu gering. Deutschland könnte die Chance verpassen, den Studentenandrang zu nutzen, um den Mangel an Ingenieuren, Informatikern und Naturwissenschaftlern zu beheben.

Auch geht der Hochschulpakt von einer Studiendauer von nur vier Jahren aus. Da es ab 2010 fast nur noch neue Studiengänge mit dem Bachelor- und Masterabschluss gibt, wird bei dieser Zeitvorgabe vorrangig für den Bachelor Sorge getragen. Die Gesamtlänge eines kombinierten Bachelor- und Masterstudienganges beträgt jedoch fünf Jahre.

„In der jetzigen Ausstattung bietet der Hochschulpakt nur eine Billiglösung. Wenn es dabei bleibt, wird vor allem den Universitäten nichts anderes übrig bleiben, als erneut den Studentenberg zu untertunneln“, sagt die Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz, Christiane Ebel-Gabriel. Bereits heute benötigten die Hochschulen mehr Geld, um Stellen mit hoch qualifizierten Wissenschaftlern besetzen zu können. Sei das aber nicht finanzierbar, bleibe nur eine Besetzung mit kurzfristigen Lehraufträgen. „Das wäre dann genau das Muster der alten Untertunnelung“, sagt Ebel-Gabriel. „Deswegen müssten die Politiker auch über den Zeitraum einer mittelfristigen Finanzplanung hinaus bis zum Jahr 2020 eine verlässliche Perspektive bieten.“

Nicht nur die Kosten sind falsch kalkuliert. Auch die Zeitvorgaben erschweren sachgerechte Lösungen. Die Zahl der Studenten kann von heute 1,9 Millionen auf 2,4 bis 2,7 Millionen in den besonders dramatischen Jahren zwischen 2011 und 2014 steigen. Der Hochschulpakt reagiert auf diese Herausforderung zunächst nur bis zum Jahr 2010. Das liegt an der mittelfristigen Finanzplanung. Danach muss für die Anschlussperiode 2011 bis 2015 neu verhandelt werden. Da der Studentenberg erst im Jahr 2020 abgebaut sein dürfte, hängt die Bewältigung dieser gesellschaftlichen Herausforderung von drei mittelfristigen Finanzplanungen ab.

Das ist ein großes Handicap für die Hochschulen. Wenn Tausende Studenten zusätzlich auszubilden sind, muss mehr Lehrpersonal eingestellt werden. Wissenschaftliche Mitarbeiter bekommen befristete Verträge auf fünf Jahre. Professoren werden auf Lebenszeit berufen. Die Planungssicherheit, die nur bis zum Jahr 2010 geboten wird, erlaubt es den Hochschulen noch nicht einmal, mit gutem Gewissen wissenschaftliche Mitarbeiter einzustellen. Geschweige denn zusätzliche Professoren.

Nach 2010 spitzt sich die Lage immer weiter zu. Wegen des Andrangs der starken Jahrgänge und der zusätzlichen Belastung durch doppelte Abiturientenjahrgänge müssen vier bis fünf Jahre lang jeweils 40 000 Studienanfänger mehr verkraftet werden. Das sind fast 200 000 neue Studienplätze in vier Jahren. Kein Wunder, dass der Wissenschaftsrat für die Zeit zwischen 2011 bis 2014 Kostensteigerungen von jährlich zwei bis 2,2 Milliarden Euro berechnet hat.

Wie kommt es zu diesen Kostensteigerungen? Wenn man die Zulassungszahlen für einen kombinierten Bachelor- und Masterstudiengang im Jahr 2010 festlegt, muss man eine angemessene Ausstattung über fünf Jahre bis 2014 garantieren. Für die Zulassungen des Jahres 2014 sollte die Garantie bis 2019 reichen. Eine vergleichbare Rechnung gilt für vierjährige Bachelorstudiengänge: Die Personalausstattung des Jahres 2010 muss auch noch im Jahr 2013 finanziert werden. Wer zu knapp finanziert, nimmt in Kauf, dass erneut wie in den 1980er und 1990er Jahren die Massenuniversitäten in Deutschland nur Massenbetrieb ermöglichen. Mit all den negativen Folgen: hohen Abbrecherquoten und in die Länge gezogenen Studienzeiten.

Uwe Schlicht

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