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© dpa

Brustkrebs: Mammographie: Schock oder Segen?

Über das vor drei Jahren eingeführte Mammografie-Screening wird immer noch viel gestritten Jetzt ist erstmals bekannt, wie viele Frauen in Berlin teilnehmen und was sie von dem Programm halten.

Soll ich oder soll ich nicht? Seit einigen Jahren müssen sich mehrere hunderttausend Berlinerinnen diese Frage stellen, nämlich alle, die der Altersgruppe 50-69 Jahre angehören. Sie wurden eingeladen, an dem nationalen Mammografie-Screeningprogramm teilzunehmen, das der Bundestag 2002 beschlossen hat. Mit diesem Programm, das in anderen Ländern schon länger durchgeführt wird, soll Brustkrebs frühzeitig erkannt werden. In Berlin haben im Zeitraum von Mitte 2006 bis Ende 2008 genau 389.093 Frauen das Anschreiben erhalten.

In vier über die Stadt verteilten Zentren, sogenannten Screening-Einheiten, können die Teilnehmerinnen vier Röntgenaufnahmen ihrer Brüste machen lassen. Anschließend studieren zwei Radiologen die Bilder unabhängig voneinander. Ziel ist es, möglichst viele kleine Tumore aufzuspüren, die noch nicht tastbar sind. Wird nichts gefunden, erfahren das die Teilnehmerinnen nach einer Woche. Bei vier bis fünf von hundert Untersuchungen gibt es Auffälligkeiten. Diese werden mit weiteren Röntgenaufnahmen, Ultraschall und, wenn dann immer noch Unklarheit herrscht, durch Gewebeproben abgeklärt. Erkennt man Brustkrebs in einem Stadium, in dem er noch nicht ertastbar ist, und entfernt man ihn dann operativ, stehen die Chancen für eine Heilung besser als neun zu eins. Das ist das wichtigste Argument für die Röntgen-Früherkennung.

Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin hat jetzt erstmals Zahlen zum Erfolg des Programms vorgelegt. Mit 198 003 Teilnehmerinnen, also 51 Prozent, hat man das selbst gesteckte Ziel demnach noch nicht erreicht. Die Macher des Programms wollen 70 Prozent der Frauen aus der anspruchsberechtigten Altersgruppe erreichen.

Hohe Teilnahmeraten sind allerdings nicht alles. Skeptiker der Früherkennung wie der Psychologe und Risikoforscher Gerd Gigerenzer betonen immer wieder, dass vor allem eine kompetente, informierte Entscheidung wichtig ist – ob sie nun für oder gegen eine Früherkennungsmaßnahme ausfällt. Zum Beispiel sollte jede Frau wissen, dass die Genauigkeit der Untersuchung ihren Preis hat: zeitweilige Beunruhigung. Vier von fünf Frauen, die wegen einer Auffälligkeit noch einmal eingeladen werden, sind, wie sich dann herausstellt, eigentlich gesund. Eine von 200 Frauen, die zum Mammografie-Screening gehen, bekommt eine Gewebeprobe entnommen, die sich als gutartig herausstellt. Bei genauso vielen Frauen stellt sich aber auch heraus, dass sie einen bösartigen Tumor haben. In einigen Fällen wächst er allerdings so langsam, dass er der Frau wahrscheinlich auch ohne Operation, Medikamente und Strahlentherapie nie gefährlich werden würde.

Was denken die betroffenen Frauen nach der Einführung des Screenings über Mammografie, und wie gut sind sie darüber informiert? Eine kürzlich veröffentlichte repräsentative Befragung (in: „Der Frauenarzt“, 50/2009, S. 494–501), finanziert vom Bundesgesundheitsministerium, gibt Auskunft. Von 9400 angeschriebenen Frauen deutschlandweit haben 3200 den Fragebogen beantwortet. Ihre wichtigste Informationsquelle sind die Frauenärztin oder der Frauenarzt, die fast immer raten, das Screening-Angebot wahrzunehmen. Die Frauen, die das schon getan haben, sind mit dem Ablauf zufrieden und würden beim nächsten Mal wieder hingehen. Insgesamt sind die Befürworterinnen des Programms, die die Einladung als „Muss“ wahrnehmen, mit 37,4 Prozent die größte Gruppe. Weitere 25,8 Prozent haben schon vor der Einladung den Frauenarzt auf das Screening angesprochen. Diese „Risikobewussten“ geben an, regelmäßig alle Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen, sie haben sich zum Teil schon auf eigene Faust angemeldet, ehe sie eine Einladung zur Teilnahme bekamen. Jede fünfte befragte Frau wurde dagegen als „ambivalent“ eingestuft. Diese Frauen, die die Risiken höher bewerten als den Nutzen, zeigten sich insgesamt schlechter informiert. Besser informiert und gebildet und häufiger privat versichert sind dagegen Frauen aus der Gruppe der „Ablehnerinnen“ (8,4 Prozent), die dem Programm skeptisch gegenüberstehen, und der „Verdrängerinnen“ (8,4 Prozent), die sich lieber überhaupt nicht mit dem Thema Brustkrebs befassen möchten.

Die Gesundheitsforscherin Beate Schultz-Zehden hat die Antworten mit ausgewertet und vor allem zwei gravierende Bildungslücken ausgemacht: Viele Frauen machen sich nicht klar, dass das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, mit dem Alter zunimmt. Die Älteren denken deshalb oft, die Teilnahme lohne sich gar nicht mehr. Dabei liegt das durchschnittliche Alter der Frauen, bei denen die Diagnose gestellt wird, bei 63 Jahren.

Andere erwarten zu viel: 56 Prozent der Befragten hoffen, dass die Teilnahme an der Untersuchung irgendwie ein Schutz gegen Brustkrebs ist. Psychologisch sei das verständlich, so Schultz-Zehden. Der Begriff „Früherkennung“ mache jedoch deutlich, dass es nicht so einfach ist. Funktioniert das Screening gut, schützt es eine nennenswerte Anzahl von Frauen davor, an einer Krankheit zu sterben, die sie schon in sich tragen.

An diesem entscheidenden Kriterium wird man das noch relativ frische deutsche Programm aber erst in zehn Jahren messen können. Noch befindet es sich im Stadium der Hochrechnungen. Würden alle Frauen zwischen 50 und 69 hingehen, dann könnten in den nächsten zehn Jahren 1000 Berlinerinnen vor dem Tod durch Brustkrebs gerettet werden, so schätzen die Organisatorinnen. Ob das klappt, hängt aber auch von der Qualität ab. Deshalb beobachten die Verantwortlichen genau, wie hoch der Anteil kleiner, gut behandelbarer Tumore ist, die bei der Röntgen-Reihenuntersuchung entdeckt werden. Die EU-Leitlinien machen in dieser Hinsicht klare Vorgaben. „Wir erfüllen sie deutlich“, sagt die Radiologin Lisa Regitz-Jedermann, die als Leiterin des Referenzzentrums Mammografie für die Umsetzung des Screening-Programms in Berlin zuständig ist. So waren immerhin 50 Prozent der entdeckten Karzinome noch kleiner als eineinhalb Zentimeter. Die frühe Diagnose ist ein Schock. Sie könnte aber auch ein Segen sein.

Adelheid Müller-Lissner

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