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Gesundheit: BSE: Der englische Patient und seine Lektion

"Sie müssen schon entschuldigen", sagt Michael Baier und weist auf die verstreuten Papierstapel in seinem Büro. "Es sieht hier fast so aus, als sei eine BSE-Kuh durch mein Büro gelaufen.

"Sie müssen schon entschuldigen", sagt Michael Baier und weist auf die verstreuten Papierstapel in seinem Büro. "Es sieht hier fast so aus, als sei eine BSE-Kuh durch mein Büro gelaufen." Baier gehört in diesen Tagen zu den gefragtesten deutschen Wissenschaftlern: der 42jährige Biologe vom Robert-Koch-Institut in Berlin erforscht "übertragbare schwammartige Hirnkrankheiten", zu denen die Rinderkrankheit BSE und ihr menschliches Pendant Creutzfeldt-Jakob ebenso gehören wie die Schafkrankheit Scrapie. Wegen der ersten deutschen BSE-Fälle steht bei Baier das Telefon seit Wochen nicht mehr still - die Medien bestürmen ihn.

"Hysterie", sagt Baier kurz und bündig zu der Frage, ob auch Milch BSE auf den Menschen übertragen könne. Die "Bild"-Zeitung hatte Anfang letzter Woche das Gerücht aufgebracht, versehen mit einem Fragezeichen. Die Frage der Übertragbarkeit von Milch sei "formal" zwar nicht letztgültig abgeklärt. Aber es gebe keine Hinweise darauf.

Und was hält Baier von der "Agrarwende" der Bundesregierung? Er befürworte gesunde Ernährung, sagt Baier, und verweist auf den vor ihm auf dem Tisch liegenden Apfel. Aber BSE mache auch vor artgerechter Haltung und "Bio-Kühen" nicht halt. Anders herum: die von dem Medien als finstere Erreger-Brutstätten beschworenen "Agrarfabriken" gibt es auch in den USA - und die seien, nach eigenen Angaben jedenfalls, bislang BSE-frei. Obwohl auch sie Tiermehl an Wiederkäuer verfüttert haben und zudem die Schafskrankheit Scrapie, mögliche Quelle von BSE, im Land haben.

"Man kann viel lernen, wenn man nach Großbritannien schaut", sagt Baier. "Die haben alles falsch gemacht. Und irgendwann später haben sie dann alles richtig gemacht." Mit "richtig gemacht" meint er konsequentes Durchgreifen der Behörden. "Das BSE-Lied in England hat nur eine Zeile: Tiermehl." 1985 wurden die ersten Fälle "verrückter Kühe" beobachtet, 1988 verbot man die widernatürliche Tiermehl-Verfütterung an Wiederkäuer. Aber BSE-Fälle bei Kühen, die nach diesem Verbot zur Welt kamen, gab es auch weiterhin.

Erst das Jahr 1996 brachte die Wende in Großbritannien: die Regierung sprach ein totales Tiermehlverbot aus. "Seitdem ist erst ein Tier geboren worden, das später an BSE erkrankte." Diese enge Verbindung der Krankheit zum Tiermehl spricht in Baiers Augen für ein dauerhaftes Tiermehlverbot. "Wir werden in Europa noch vier bis fünf Jahre mit mehr Fällen rechnen müssen, dann zahlt sich die Maßnahme aus."

Es gibt also Licht am Ende des BSE-Tunnels, in den Deutschland gerade eben eingefahren ist. Aber nur, wenn man konsequent bleibt. Doch wer kommt schon auf die Idee, dass offenbar auch in Kälberfutter Risikomaterial eingemischt wurde, wie es als Ursache der deutschen BSE-Fälle diskutiert wird? Ein Grund für strenge Kontrollen, findet Baier.

"Wir müssen auch in Deutschland mit Fällen der neuen Variante von Creutzfeldt-Jakob, dem Abkömmling von BSE, rechnen", sagt Baier. Vier Quellen für die Infektion kommen in Frage: Einfuhren britischer Rinder in den Jahren 1980 bis 1996, indirekte Einfuhren britischer Rinder über Drittländer, Importe von BSE-Rindern aus Ländern mit eigenem Befall und schließlich deutsche BSE-Fälle. "Trotzdem: Die BSE-Gefährdung der Deutschen beträgt nur einen Bruchteil derer der Briten."

Noch immer ist ungeklärt, woher der Erreger stammt, und woraus er überhaupt besteht. Der eine Teil der Forscher glaubt, er sei eines Tages vom Schaf auf das Rind übergesprungen, aus dem noch noch halbwegs verträglichen Scrapie-Auslöser sei der alles bedrohende BSE-Erreger entstanden. Andere Wissenschaftler meinen, BSE sei eine neue Krankheit des Rindes, gewissermaßen aus dem Nichts aufgetaucht.

Unklar ist auch die Natur des Erregers. Die meisten Forscher glauben heute an das "Prion". Unter "Prionen" versteht man abnorm gefaltete Eiweißmoleküle, die ihre Form intakten Eiweißmolekülen gleichen Typs aufprägen. Eine Art Dr. Jekyll und Mr. Hyde: ein natürlich vorkommendes und nützliches Protein, eingelassen in die Außenhaut von Nervenzellen, verwandelt sich in letztlich tödlichen Eiweißmüll. Angestiftet wird dieser Prozess durch Gleichgesinnte - eine Reaktion, die Baier mit dem Umklappen von Dominosteinen vergleicht.

Heino Diringer, Baiers Vorgänger am Robert-Koch-Institut, lehnte die Prionen-Theorie, für die der Amerikaner Stanley Prusiner den Nobelpreis bekam, ab. Diringer forschte nach einem "herkömmlichen" Erreger, einem Virus etwa oder irgendeiner Form von Erbinformation in den Prionen-Klumpen. Fündig wurde Diringer nicht, und sein Nachfolger Baier hat sich mit der Prionentheorie weitgehend abgefunden - "obwohl sie auch nicht alles erklärt".

Baier interessiert sich für die Frage, auf welche Weise der Eiweißmüll schließlich zum Untergang des Gehirns führt. Die Prionen-Eiweiße stoßen offenbar eine folgenschwere Kaskade an: Bindegewebszellen beginnen zu wuchern und bilden eine Reihe aggressiver Botenstoffe. Schließlich gehen Nervenzellen zu Grunde, zurück bleiben "Poren" - Hirnschwamm. Dieser Prozess findet sich in ähnlicher Form bei anderen "neurodegenerativen" Leiden, zum Beispiel der Alzheimer-Krankheit: auch bei ihr lagert sich eiweißhaltiges Material im Gehirn ab. "Amyloidose" ist der Fachausdruck.

Vielleicht existiert ein gemeinsames Entstehungsprinzip bei allen "Amyloid"-Krankheiten des Gehirns, vielleicht gibt es auch ähnliche Möglichkeiten der Behandlung. Noch ist vieles unbekannt, noch überwiegen die Fragen die Antworten. Was Baier darauf bringt, dass die deutsche BSE-Forschung sehr viel mehr als bisher gefördert werden muss. Auch hier kann und muss Deutschland von Großbritannien lernen, wo der Hirnschwamm inzwischen intensiv untersucht wird. Schon hat der Bund zugesichert, 2001 und 2002 insgesamt 15 Millionen Mark bereitzustellen. Genausoviel, wie in den vergangenen sechs Jahren geflossen war. Immerhin.

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