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Cannabis: Volle Dröhnung Therapie

„Einmal klingelte es an der Tür, und ich habe mich vor Angst im Bett versteckt. Es war ein Paketdienst“, sagt Ex-Kiffer Philip S. Die Droge schädigte sein Gehirn und seine Psyche. Hier erzählt er, wie er dank einer Therapie den Absprung schaffte

Kiffen macht kreativ. Jedenfalls wenn es darum geht, Tricks und Ausreden zu erfinden, wie man die Sucht verheimlichen kann. „Ich bin extra jeden Tag fünf Minuten früher zur Arbeit los, mit dem Fahrrad, damit ich noch schnell eine Tüte rauchen konnte“, sagt Philip S.

Aber im Büro gab es Probleme. Der 27-jährige Neuköllner arbeitete beim Telefonservice einer Bank, „und wenn die Kunden Wertpapiere kaufen wollten, habe ich die Nummern schon mal durcheinander geschmissen“. Und das war nicht die einzige Folge seines Cannabis-Konsums. „Ich hatte kaum noch soziale Kontakte, bekam Depressionen und Angstzustände. Ich habe mich zu Hause eingeigelt, in Computerspiele vertieft. Wenn ich nach Stunden vorm Bildschirm für meinen Kämpfer in World of Warcraft ein neues Schwert gewonnen hatte, dachte ich: Hey, ein guter Tag.“ Im echten Leben bekam er kaum noch etwas auf die Reihe.

Philip S. war Extrem-Kiffer. Haschisch, Shit, Cannabis, Pott, Gras – es gibt viele Konsistenzen und Kosenamen für die einst als Softdroge geltende Substanz Tetrahydrocannabinol (THC), die aus Hanfpflanzen mit dem lateinischen Namen Cannabis sativa gewonnen wird.

Zu Anfang macht diese Droge einen kicherig. Man kann sich damit den Kopf zudröhnen, Probleme verdrängen. Gleichzeitig nimmt man vieles intensiver wahr, wie Essen, oder auch Sex. Langfristig aber werden viele Kiffer passiv, kriegen im Alltag nichts mehr hin. Wer der früheren Modedroge der Intellektuellenszene verfällt, merkt schnell, dass sie nicht so harmlos ist, wie man vermuten mag.

Jugendliche fangen heute sehr früh mit dem Kiffen an. „Das durchschnittliche Einstiegsalter ist weiter gesunken und liegt aktuell bei 15 Jahren“, sagt Andreas Gantner, Leiter des auf Cannabis-Konsumenten spezialisierten Therapieladens in Berlin (Adresse siehe Kasten). Gaben 1990 noch 14 Prozent der 18- bis 39-Jährigen an, „jemals im Leben“ Haschisch probiert zu haben, waren es 2006 schon 33,9 Prozent.

Philip S. hat vergleichsweise spät angefangen, mit 17. Ein Freund hatte ihm das Zeug angeboten – als er noch in seiner Heimatstadt im Rheinland wohnte. Vorher hatte er Drogen abgelehnt, nun kam er auf den Geschmack. „Ich habe schnell auch alleine gekifft, in der Schule, in der Pause.“ Manchmal ist er mit seinem ersten Auto „auf einen Weinberg gefahren“, sagt er, „und hab da ’nen Kopf durchgezogen“. Sprich, er hat an einer Bong gezogen – eine zum Cannabis-Rauchen gebaute Wasserpfeife. Die Wirkung ist hierbei noch stärker und tritt schneller ein als bei einem normalen Joint.

„Von den Außenstehenden hat niemand gemerkt, ob ich fett war oder nicht“, sagt Philip S. Aber er selbst kam mit sich immer schlechter klar. „Ich fühlte mich ständig von anderen, auch von anderen Kiffern beobachtet.“ Mit jedem Zug stellte sich auch ein Unwohlsein ein – als wenn die Droge einem das Selbstwertgefühl aushaucht. Trotz des „Flashs“.

Eigentlich ist Philip gar kein fauler, „verpeilter“ Typ. Er ist eher streng mit sich selbst, stellt hohe Ansprüche an sich. Um daran nicht zu scheitern, setzte er sich immer öfter schachmatt. Doch das hat er erst später, in der Therapie, über sich gelernt. Das Abitur 2000, den Zivildienst 2001 schaffte er trotz allem irgendwie. Dann zog er nach Berlin. „Drei Monate habe ich durchgehalten, nicht zu kiffen.“ Neue Freunde, neuer Fun. Doch dann lernte er eine Frau kennen, selbst Kifferin. „Ich habe ständig ihre Nähe gesucht, weil ich wusste, da kriege ich was.“ Die neuen Freunde „hab ich schnell dem Kiffen hintangestellt“. Zu diesem Zeitpunkt rauchte er bereits wieder jeden Tag THC, mehrmals. Heute sagt Philip: „Ich war hochgradig abhängig. Ich habe mich erbärmlich gefühlt angesichts meiner Schwäche. Mich selbst zerfleischt – und dann doch wieder den nächsten Brösel geraucht.“

Schließlich schrieb er sich an der Uni ein. Für Geschichte und Politik. Die Professoren bekamen ihn nie zu Gesicht. Dafür bemerkte er langsam, was die Droge mit seinem Körper gemacht hat. Wortfindungsschwierigkeiten, Gedächtnislücken, Angstzustände. „Irgendwann klingelte es an der Tür, und ich habe mich vor Angst im Bett versteckt.“ Es war ein Paketdienst.

Philip vertraute sich seiner großen Schwester an. Einige Menschen in seinem Umfeld, versuchten ihn, zum Aufhören zu überreden. Doch das bewirkte eher das Gegenteil. „Ins Gewissen reden hilft einem Abhängigen gar nicht“, sagt Philip heute, vielmehr sollten Angehörige „in Ich-Botschaften reden und auf die Eigenverantwortung des Anderen vertrauen. Wenn man in eine Verteidigungshaltung gerät, raucht man sich schon aus Trotz die Birne zu.“

Philip fühlte sich damals wie „in einer Sackgasse, aber mit einer klitzekleinen Öffnung.“ Ich brauche Hilfe! – hörte er seine innere Stimme. Er machte den ersten Schritt: Sagte es seiner Ärztin, eine Frau mit therapeutischer Zusatzausbildung. Dann wagte er sich in eine Drogenberatungsstelle. „Ich hatte total Angst, dass die mir mein Dope wegnehmen und ich sofort aufhören muss“, sagt er. Doch es war gut, mit jemandem von außen zu reden, der „nicht Teil des Problems ist“.

Was dann kam, waren „behutsame Schritte. Philip war stolz, „das erste Mal nicht bekifft zur Beratung zu gehen. Hinterher habe ich dann wieder einen Joint gedreht.“ Der Tag, an dem er die vorläufig letzte Tüte ausgemacht hat, war der 19. September 2005 , das weiß er noch genau.

In eine Klinik zu gehen, kam für ihn anfangs nicht in Frage. „Ich bin doch kein Psycho.“ Doch schließlich entschied er sich doch zu einer stationären Therapie. Für den Entzug ging er weg aus Berlin, raus aus der Wohnung, „denn ein Tag ohne Kiffen darin war überhaupt nicht vorstellbar“. Drei Monate blieb er in der Klinik. Wenn er heute über diese Zeit spricht, leuchten seine Augen. „Es ging nicht um die Sucht, sondern darum, die Themen dahinter aufzuarbeiten. Ich habe dabei tolle Menschen, tolle Freunde kennengelernt.“ Danach folgte eine Zeit im Therapieladen, wo Philip sich noch immer einmal die Woche mit seinem Therapeuten Andreas Gantner trifft, zum Einzelgespräch und zur Gruppentherapie. „Für mich war auch wichtig, das Internettagebuch drugcom.de zu führen.“ Dieses Angebot ist eine erste Anlaufstelle für junge Leute, die Drogen nehmen und überlegen, aufzuhören.

Philip S. gab sich die „volle Dröhnung Therapie“, drei Jahre lang. Schweißausbrüche und Einschlafstörungen hat er überstanden – es gibt bei THC auch einen körperlichen Entzug. Vieles hat er erkannt. Seine „Ausweichmuster“ zum Beispiel, wenn er sich zu hohe Ziele setzt und sich dann gar nicht mehr traut, sie anzupacken. Einmal konnte er seither nicht Nein sagen, letzten Sommer, auf einem Festival. „Drei Züge später habe ich gemerkt, dass ich sofort wieder in dieser alten Schleife hänge.“ Und hörte wieder auf.

Philip arbeitet immer noch beim Telefonservice. Jetzt will er Psychologie studieren. Aber er fragt sich manchmal: „Ob ich wohl ein guter Therapeut wäre?“ Ex-Kiffer lähmt häufig die Erfahrung, ständig versagt zu haben. Wenn es ihm mal wieder so geht, denkt Philip immer an diesen Spruch seines Therapeuten: „Wenn du auf einem Kamel durch die Wüste reitest und es kackt, steigst du ja auch nicht ab und betrachtest den Haufen von allen Seiten. Guck nach vorn!“ Wenn ihm heute Zweifel kommen, lässt Philip sie zu, kann sie so überwinden – und kifft sie nicht nur beiseite.

Annette Kögel

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