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Gesundheit: Chemie, die in den Windeln steckt

Mit umweltverträglichen Methoden stellt sich die chemische Industrie auf die Zukunft ein

Wie bitte? Grüne Chemie? Soll das ein Scherz sein? Keineswegs. Immer mehr Chemiker in Industrie und Forschung fühlen sich nachhaltigen Prinzipien verpflichtet. Ihr zentrales Anliegen: Bei chemischen Prozessen möglichst viel Energie zu sparen und möglichst wenig schädliche Substanzen einzusetzen oder zu erzeugen. Dabei helfen neuerdings sogar Babys.

Für Dieter Jahn, Forschungsdirektor bei BASF, sind Windeln geradezu ein Paradebeispiel für umweltfreundliches Produzieren. Genauer gesagt geht es um die saugfähige Füllung, die dafür sorgt, dass Babypopos trocken bleiben. Die Windel besteht aus Polymeren, die mehr als das Fünfzigfache ihres Gewichts an Flüssigkeit aufnehmen können. Hergestellt werden die Superabsorber aus Acrylsäure, einer vielseitig verwendbaren Substanz, von der die chemische Industrie Tausende von Tonnen im Jahr produziert. Aus Acrylsäure lassen sich auch Beschichtungen, Farben und Klebstoffe herstellen.

„Wir haben den Herstellungsprozess verbessert“, sagt Jahn. Dank eines neuen Katalysators benötige man jetzt wesentlich weniger Energie, es fielen weniger klimagefährdendes Kohlendioxid an und weniger schädliche Nebenprodukte. Das nützt der Umwelt und ist zudem wirtschaftlich sinnvoll: Es spart Kosten, wenn weniger Energie aufgewandt und weniger Abfall beseitigt werden muss.

Von „grüner Chemie“ wird gesprochen, wenn man systematisch nach umweltfreundlichen Reaktionsabläufen sucht (siehe Infokasten). „Ab Anfang der 90er Jahre hat sich die nachhaltige Sichtweise in der Chemie durchgesetzt“, sagt Fred Robert Heiker, ehemaliger Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker, heute Geschäftsführer von Bayer Innovation in Düsseldorf.

Natürlich können auch Widersprüche auftreten zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Zum Beispiel, wenn eine Anlage viele Jahre gut gelaufen ist und nun wegen Umweltaspekten ab- oder umgebaut werden soll.

Doch langfristig lohnt sich das. „Dafür sorgen schon die ständig steigenden Preise für Energie und Rohstoffe“, sagt BASF-Chemiker Jahn. So denkt man in Leverkusen schon über den Ersatz fossiler Rohstoffe nach, die ja nicht nur als Energieträger dienen. Die Chemie benutzt zum großen Teil noch Erdöl als Rohstoff für neue Substanzen. Je knapper die Vorräte werden, desto mehr muss man sich nach alternativen Basis-Chemikalien umsehen. „Wir arbeiten daran, nachwachsende Rohstoffe in die Produktion einzuflechten“, sagt Utz Tillmann, der bei der BASF für Umweltfragen zuständig ist.

Wie es prinzipiell gehen könnte, zeigen Forschungsprojekte von Müfit Bahadir. Der Leiter des Instituts für ökologische Chemie und Abfallanalytik an der Technischen Universität Braunschweig arbeitet daran, Kühlschmierstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen. Diese Substanzen, die in der metallverarbeitenden Industrie zum Schmieren, zum Kühlen und zum Abtransport von Spänen dienen, werden bisher überwiegend aus Mineralöl hergestellt. Bahadir ist es gelungen, Pflanzenöle und Tierfette in Schmierstoffe umzuwandeln.

Auch die Frage, wie Kühlschmierstoffe am besten in einem Kreisprozess abfallvermeidend werden können, versucht das Team um Bahadir zu lösen. Dabei geht es zunächst um die Trennung der Metallspäne vom Öl. Dann müssen die ausgelaugten Schmierstoffe analysiert und teilweise aufgearbeitet werden. Schließlich sollen die verbrauchten Bestandteile, spezielle Fettsäureester, wieder zugegeben werden, damit die Kühlschmierstoffe „in alter Frische“ ihren Dienst tun können.

Ebenfalls an den Prinzipien der grünen Chemie orientiert sich Alfons Baiker. Der Zürcher Chemiker hat sich Kohlendioxid ausgesucht, um die Umwelt zu schützen. Baiker und sein Team vom Institut für Chemie- und Bioingenieurwissenschaften der ETH Zürich haben Prozesse entwickelt, in denen Kohlendioxid als „grünes“ Lösungsmittel giftige Substanzen wie Benzol oder Toluol ersetzt. Dazu wird Kohlendioxid in einen Zustand versetzt, in dem sich die Substanz zugleich wie ein Gas und wie eine Flüssigkeit verhält („überkritischer Zustand“). Anders als organischen Lösungsmittel muss man Kohlendioxid nicht als Problemmüll entsorgen, es ist ungiftig.

Mit Kohlendioxid als Lösungsmittel ist dem Team um Baiker beispielsweise die Herstellung von Benzaldehyd gelungen, einer Ausgangssubstanz für Farbstoffe, Parfüme oder Pharmazeutika. Die Reaktion, die Oxydation von Benzylalkohol, lief mit Kohlendioxid zwanzigmal schneller ab als unter Verwendung des üblichen Lösungsmittels Toluol. Das liege daran, dass überkritische Flüssigkeiten gasähnliche Eigenschaften haben und somit die flüssigen Reaktionspartner in dieselbe „Phase“ kommen wie die gasförmigen Substanzen, sagt Baiker.

Die Schweizer Chemiker haben nun auch Katalysatoren gefunden, die es ermöglichen, Kohlendioxid als Lieferanten von Kohlenstoff-Bausteinen in chemischen Synthesen zu verwenden. Dadurch lassen sich ökologisch problematische Bausteine, wie das giftige Phosgen, ersetzen.

Paul Janositz

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