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Chirurgie: Schneiden, nähen, knoten

Beispiel Narbenbruch: Das Handwerk der Chirurgie, wissenschaftlich gesehen.

Alle reden von der „Schlüssellochchirurgie“. Doch die ist keinesfalls die Lösung für alle Probleme. 700000 Mal im Jahr müssen Chirurgen in Deutschland nach wie vor für eine große offene Operation die Bauchdecke ihrer Patienten aufschneiden – und danach sorgfältig wieder vernähen. Ganz selten platzt die Naht dabei wieder auf. Ein solcher „Platzbauch“ sei relativ harmlos und könne meist ohne Probleme erneut verschlossen werden, sagte beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in der letzten Woche in Berlin der Kölner Bauchchirurg Ernst Eypasch. Weit schlimmer sei eine andere Komplikation, die in elf bis 20 Prozent der Fälle auftritt, oft in großem zeitlichem Abstand zum Eingriff: ein Narbenbruch.

Beim Narbenbruch platzt zwar nicht die sichtbare Wunde auf, doch es treten die bei der Operation durchtrennten und anschließend vernähten Bauchmuskeln wieder auseinander, so dass sich Eingeweide in die entstehende Lücke hineinschieben und beulenartig vorwölben können – ähnlich wie beim Leistenbruch. Wenn es so weit gekommen ist, führt meist kein Weg an einer erneuten Operation vorbei, denn eingeklemmtes Gewebe könnte sonst Schaden nehmen und sogar ein Darmverschluss drohen. Nicht selten bildet sich nach der zweiten Operation jedoch erneut eine Schwachstelle, die dann einen weiteren Eingriff nötig macht.

Ob ein solcher Bruch, von den Medizinern Narbenhernie genannt, entsteht, hängt von mehreren Faktoren ab. Zum Beispiel davon, wie gut beim einzelnen Patienten überhaupt Wunden heilen. Ganz entscheidend für den Heilungsprozess ist die Beschaffenheit des Bindegewebes. Die Neigung zur Bildung einer Narbenhernie ist insofern auch ein Stück Veranlagung. Dazu kommen Risikofaktoren wie Übergewicht, aber auch die Art des Eingriffs. Große Operationen an der Bauchschlagader bergen ein besonderes Risiko.

„Wir Chirurgen haben nicht immer die Schuld, wenn es zu einem Narbenbruch kommt“, sagte deshalb beim Kongress Volker Schumpelick von der Medizinischen Hochschule Aachen. Allerdings gibt es einige Dinge, die die Operateure selbst in der Hand haben. Sie können heute zwischen verschiedenen Techniken der Schnittführung und des Wundverschlusses wählen.

Nur gibt es noch wenig gesicherte Erkenntnisse darüber, welche Auswirkungen die Wahl des Materials und der Operationsmethode wirklich auf das Ergebnis haben. „Wir sollten uns schämen, dass das noch nicht geklärt ist“, findet Schumpelick. Stattdessen verlasse man sich in der Praxis noch zu sehr auf die eigene Erfahrung und hänge verschiedenen Schulen und Glaubensrichtungen an. In der Forschung gehe es dafür heute oft um wesentlich abgehobenere, praxisfernere Themen.

Das will die Fachgesellschaft nun ändern. Die erste wissenschaftliche Untersuchung eines eigens gegründeten Studienzentrums der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie widmet sich dem heiklen Thema Narbenbrüche nach Bauchoperationen. Der Heidelberger Chirurg Jan Schmidt stellte erste Ergebnisse der noch unveröffentlichten Studie vor, an der insgesamt 625 Patienten aus 25 Kliniken teilnahmen. Sie waren nach dem Zufallsprinzip auf drei Gruppen verteilt worden, bei denen nach dem Eingriff im Bauchraum für das Schließen der Wunde drei verschiedene Techniken und Materialien eingesetzt wurden.

Ein Jahr später zeigten sich zwischen den Patienten, denen eine fortlaufende Naht gelegt worden war, und denen, deren Wunde mit einzelnen Knoten verschlossen worden war, keine nennenswerten Unterschiede in der Zahl der Narbenbrüche.

Mit bis zu 16 Prozent war die Bruchhäufigkeit jedoch in allen Gruppen höher als erwartet, und auch die hohe Rate von Wundinfektionen beunruhigte die Auswerter.

Ob es sinnvoll ist, die Bauchdecke schon beim ersten Eingriff mit einem Netz zu verstärken oder ob dann andere Tücken wie etwa Infektionen lauern, soll in einer europäischen Studie geprüft werden, die von Rotterdam und Berlin aus geleitet wird. Hans Jeekel vom Erasmus Medical Center in Rotterdam erhofft sich vom Einsatz der Netze eine Verringerung der Narbenbrüche bei besonders gefährdeten Patienten von 30 auf zehn Prozent.

An der Uni Heidelberg wollte man herausfinden, ob Patienten wirklich weniger Schmerzen haben und schneller wieder auf die Beine kommen, wenn ihr Bauch bei der Operation in Querrichtung aufgeschnitten wird. Eines der Kriterien war der Schmerzmittelverbrauch in den ersten 48 Stunden nach dem Eingriff.

Ergebnis: keine bedeutsamen Unterschiede zwischen Längs- und Querschnitt. „Die Schnittführung kann sich nach der Erfahrung des Operateurs und der Anatomie des Patienten richten“, folgerte der Chirurg Christoph Seiler.

Um vor dem Stationsteam und den Patienten möglichst geheim zu halten, wie operiert wurde, verwandte man bei den Studienteilnehmern übrigens großflächige Spezialverbände, die zudem von Pflegekräften anderer Stationen gewechselt wurden. Dieses kleine praktische Detail zeigt, dass auch in der Chirurgie durchaus Studien laufen können, die modernem wissenschaftlichem Standard genügen.

Adelheid Müller-Lissner

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