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Gesundheit: Chirurgische Eingriffe: Nur Otto von Decke zittert nicht Das Virchow-Universitätsklinikum soll ein normales Krankenhaus werden – die Forscher sind verwirrt

„32,0“ leuchtet es in Rot auf dem Display. Der viereckige Schrank sieht aus wie ein Kühlschrank, nur, dass er nicht kühlt, sondern heizt.

„32,0“ leuchtet es in Rot auf dem Display. Der viereckige Schrank sieht aus wie ein Kühlschrank, nur, dass er nicht kühlt, sondern heizt. Und die Ware, die darin aufgewärmt wird, ist auch heiß begehrt: In dem Schrank lagern Hornhäute in kleinen Fläschchen, in roter Flüssigkeit.

32,0 Grad Celsius, „genau, wie es die Hornhaut gern hat“, sagt der Mann, schwarze Brille, kurzes Haar, weißer Kittel, „das Auge ist ja etwas kühler als der Körper“. Wir befinden uns im Virchow-Klinikum der Charité in Berlin-Wedding. Der Mann im weißen Kittel, Uwe Pleyer, leitet die Forschung an der Klinik für Augenheilkunde hier auf dem UniCampus.

Das Virchow-Klinikum – es ist wunderschön, fast ein Schloss, nur am Eingang ziehen sich Baugestelle an den Wänden entlang. Nichts deutet darauf hin, dass das Uni-Krankenhaus in wenigen Jahren wohl nicht mehr so sein wird, wie es heute ist. Dass von „Uni“ und „Campus“ bald nicht mehr die Rede sein kann.

400 Hornhäute bekommen Pleyer und der Chef der Augenheilklinik, Christian Hartmann, jedes Jahr zusammen. Von verstorbenen Patienten aus dem Virchow-Klinikum. Oder aus der Umgebung: Sobald ein Spender stirbt, zieht ein Assistent der Klinik los, nimmt Kontakt auf mit den Angehörigen. Und wenn er die Erlaubnis bekommt, trennt er die äußerste, 0,5 Millimeter dünne Hautschicht vom Augapfel ab.

Zurück im Labor werden die Hornhäute sterilisiert und landen in der roten Flüssigkeit mit Nährstoffen – und in dem Brutschrank. Vier Wochen können die „Fenster zum Auge“ dort aufbewahrt und geprüft werden. „Eine Niere müssen Sie sofort transplantieren“, sagt Pleyer.

Mit 5000 Eingriffen pro Jahr allein in Deutschland ist die Hornhauttransplantation die häufigste Transplantation überhaupt. Infektionen, Verformungen, Narben greifen bei Tausenden von Patienten die Hornhaut an. Das Ziel von Pleyer und Hartmann: die getrübte Sicht dieser Menschen mit einer Spenderhornhaut wieder klar zu machen. Hartmann übernimmt die OPs.

Jetzt allerdings sind die Aussichten der beiden Augenexperten selbst getrübt. Es ist ein Gutachten, das ihnen die Laune verdirbt. Die Expertenkommission Medizin hat es im Auftrag des Berliner Senats am Montag vorgestellt. Fünf Experten haben nach Sparmöglichkeiten für die Stadt gesucht. Und sind fündig geworden. Die Schulden der Hauptstadt belaufen sich auf 40 Milliarden Euro. 98 Millionen Euro sollen an Berlins Hochschulmedizin eingespart werden, Jahr für Jahr.

Aber wie? Die derzeitige Forschung und Lehre am Virchow-Klinikum soll verschwinden, das Uni-Klinikum in ein normales Krankenhaus verwandelt werden. 2006 soll’s losgehen, bis 2010 will man das Projekt durchgezogen haben.

Damit steht zwar nicht der Untergang der Wissenschaft insgesamt bevor. Teile der Forschung sollen erhalten bleiben – allerdings müssen sie umziehen, in den anderen Standort der Charité: nach Berlin-Mitte. „Der Punkt ist, dass wir erst 1996 die ganze Klinik von Mitte nach Wedding verfrachtet haben“, sagt Hartmann.

Im Jahr 1995 hatten sich die Charité in Mitte und das Virchow-Klinikum verschmolzen. Der damalige Chef der Augenklinik am Virchow wurde pensioniert, Hartmann übernahm. „Jetzt soll die Augenheilklinik wieder zurückverfrachtet werden“, sagt Hartmann. „So geht das hin und her.“ Das alles verunsichert nicht nur die Mitarbeiter, wie der Augenspezialist sagt, sondern auch die Investoren.

So hat Kollege Pleyer in „jahrelanger Arbeit“ versucht, ein klinisches Forscherteam ins Leben zu rufen, Schwerpunkt: Hornhauttransplantation. Miteinbezogen werden sollen Pharmakologen, Molekularbiologen, Immunologen – um Probleme in Angriff zu nehmen, die bei Transplantationen immer wieder auftauchen, zum Beispiel Abstoßungsreaktionen. Ein aufwendiges Vorhaben, Mitarbeiter wurden rekrutiert, Investoren gesucht. Die wichtigste Förderanstalt für die Forschung hierzulande, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), hat bereits finanzielle Unterstützung signalisiert. „Ein richtig knackiges Projekt“, sagt Hartmann.

Roboter im OP

Knackig, aber bei so „instabilen Rahmenbedingungen“, wie Hartmann sagt, ist die Gefahr nicht klein, dass die DFG einen Rückzieher macht und ihr Geld lieber irgendwo sieht, wo es diese Unsicherheiten nicht gibt. Wo zum Beispiel sollen am Standort Berlin-Mitte die vielen Räume für die Augenheilklinik und ein solches neues Projekt herkommen? „Millionen stehen auf dem Spiel“, sagt Hartmann. Acht, zehn seiner Mitarbeiter könnten, bliebe die Förderung aus, ihre Koffer packen. „Schon etwas demotivierend“, sagt Kollege Pleyer.

Verwirrend findet das Ganze auch Jürgen Bier, Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Virchow-Klinikum. Der große Mann, grüner Chirurgenoverall, steht in einem OP-Saal und zeigt an die Decke. „Das ist Otto von Decke“, sagt Bier. Otto ist einer der präzisesten Chirurgen der Welt. Einer, der nie zittert. Der keine Fehlgriffe kennt. Otto ist ein Roboter, groß, schlaksig, wie eine Spinne hängt er an der Decke. Entwickelt wurde er in Zusammenarbeit mit dem einzigen Professor für Medizinrobotik, den es in Deutschland gibt, Tim Lüth, der seine Büros direkt neben denen von Bier hat – „Mediziner und Ingenieure auf einem Flur, eine ziemlich einmalige Sache“, sagt Lüth.

Anfang 2000 hat Otto die erste Operation am Kopf eines Menschen durchgeführt, eine Sensation. Damals nähte man mit Hilfe des Roboters einem Berliner Mädchen mit verkrüppeltem Ohr, Mandy Porth aus Neukölln, 14, ein neues Silikonohr an. Forschung vom Feinsten, High-Tech.

Auch dafür, für Otto, für die Ingenieure, für die speziellen OP-Säle, wird man neue Räume einrichten müssen. „Wissen Sie, was so ein Umzug kostet? Haben Sie die Räume und die Roboter gesehen?“, sagt Lüth. „Ich dachte, die wollten Geld sparen.“ Ein Umzug – unmöglich sei das ja nicht, nein, aber vernünftig?

Knochenarbeit auf dem Campus

„Ich halte das Ganze für einen schlechten Scherz“, sagt auch Bier. 1,5 Milliarden Euro hat man in den letzten Jahren in die Bausubstanz auf dem Virchow-Campus gesteckt. Auf dem Gelände steht ein Audimax mit 600 Hörplätzen, daneben, erst vor wenigen Jahren fertiggestellt, ein riesiges Forschungsgebäude. „Was soll ein Krankenhaus damit anfangen?“, fragt sich Bier.

Im Forschungslabor für Unfallchirurgie ist man ähnlich ratlos. Im Büro von Georg Duda, dem Leiter des Labors, Bilder von der Golden Gate Bridge und New York City. Duda und sein Chef Norbert Haas, Direktor für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, machen die Knochenarbeit am Campus: Sie interessieren sich insbesondere dafür, wie man einen Knochenbruch am besten behandelt.

24 Mitarbeiter zählt das Labor, „einen Amerikaner, Australier, Engländer, einen aus Südamerika, einen aus Afrika“, fängt Duda zu zählen an. Der Wissenschaftler, grünes Sakko, dunkle Hose, er ist jung. Wie seine Mitarbeiter. „Spezialisten, alle mühsam angeworben – was soll ich ihnen sagen?“ Der Forscher zeigt auf die Wände im Laborflur, überall hängen Auszeichnungen. „Hier“, sagt der Wissenschaftler, „der S.M. Perren Award, der größte Preis, den es für die Biomechanik gibt.“ Drumherum, hinter den Türen mit Bullaugen, die Laborräume. Wie viel wird davon in Mitte übrig bleiben?

Oft lässt man Knochen wieder mit Hilfe eines implantierten Nagels oder einer Stahlplatte zusammenwachsen. Hier im Institut prüft das Team beispielsweise, wie stabil so ein Nagel sein soll. Ist er allzu kräftig, kann das sogar hinderlich für das Knochenwachstum sein. „Wenn der Knochen merkt, dass er nicht gebraucht wird, wächst er erst gar nicht mehr“, sagt Duda.

In einem der Laborräume, rechts Glasküvetten, Chemikalien, Pipetten, links eine Sägemaschine, an der Wand: Glasplättchen in leuchtendem Rosa, Grün, Blau. Duda zeigt auf ein Glasplättchen, auf dem ein hauchdünner Schnitt eines Knochens zu sehen ist. „Sehen Sie? Hier ist der Bruch.“ In Tierversuchen experimentiert der Wissenschaftler mit Wachstumssubstanzen. Zuerst trennt er den Knochen eines Tieres mit einer Säge. Dann testet er, in welchen Konzentrationen die Stoffe das Knochenwachstum befördern. Damit zusammenwächst, was zusammengehört: Knochen. Und Kliniken?

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