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Gesundheit: Comeback ohne Brennstoff

Die Industrie setzt auf Atomkraft als Klimaschutz. Aber viele Fakten sprechen dagegen

Die Union drängt, die SPD bleibt hart: Beim Ringen um den Ausstieg aus der Atomkraft sind die Fronten zwischen den Parteien so fest gefügt wie eh und je. Doch anders als einst in den achtziger Jahren setzen die Betreiber der verbliebenen 17 deutschen Atomkraftwerke (Akw) und ihre konservativen Förderer heute vorrangig auf ein ökologisches Argument: Weil bei der Spaltung von Uranatomen kein Kohlendioxid frei wird, sei die Kernenergie doch ein wichtiger „Beitrag zum Klimaschutz“, mahnten zuletzt wieder die Chefs der vier Stromkonzerne in einem Brief an Angela Merkel und Franz Müntefering. Zudem, so sekundieren die Industrieverbände, erfahre die Kerntechnik eine weltweite Renaissance. Darum dürfe auch Deutschland nicht auf diese Technologie verzichten.

Ist also angesichts von drohenden Monsterstürmen, Flut- und Dürrekatastrophen die Atomkraft nicht doch das kleinere Übel? Viele Fakten sprechen dagegen. Ein Kernproblem der Atomenergie ist, dass sie nur mit großen, zentralen Anlagen fern von großen Städten produziert werden kann. Dabei gehen zwei Drittel der gewonnenen Energie als Abwärme verloren. Die angeschlossenen Haushalte müssen die Heizwärme noch einmal produzieren. Geschieht das auf Ölbasis, dann wird pro Kilowattstunde Atomstrom plus zwei Kilowattstunden Wärme aus Heizöl fast genauso viel Kohlendioxid frei, als wenn Strom und Wärme gleich mit einem erdgasgetriebenen Blockheizkraftwerk nahe bei den Verbrauchern hergestellt werden, berechnete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Insofern wäre der Ausbau solcher „Kraft- Wärme-Kopplung“ (KWK) nicht minder klimafreundlich, und das ganz ohne radioaktiven Müll und die Risiken eines Super-GAU. Im Gegenteil: Der großflächige Einsatz von Heizkraftwerken würde sogar den Übergang zur Stromerzeugung mit Biogas vorbereiten, das aus Pflanzenresten und Tierdung ohne jede Klimabelastung gewonnen werden kann. Solche dezentralisierte Stromerzeugung würde die bisherigen Produzenten jedoch einen erheblichen Teil ihrer Umsätze kosten. Darum haben sich die großen Stromunternehmen dem Ausbau der KWK bisher sehr erfolgreich widersetzt.

Theoretisch ließe sich natürlich auch die Erzeugung von Heizwärme oder sogar Treibstoff im großen Stil auf Atomstrom umstellen, um Emissionen zu mindern. Dann allerdings müsste eine große Zahl zusätzlicher Akw errichtet werden. Wollte man die von Klimaexperten geforderte Minderung der Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um 80 Prozent erreichen, müssten dafür allein in Deutschland mindestens 60 zusätzliche Atommeiler errichtet werden, ergab ein Gutachten für die Energie-Enquete des Bundestages. Das würde vermutlich nicht nur am Mangel an Standorten scheitern. Es wäre auch wirtschaftlicher Unfug. Denn die nötigen Milliarden-Investitionen würden alsbald unrentabel, weil die zu vertretbaren Kosten förderbaren Uranreserven binnen weniger Jahrzehnte erschöpft wären.

Schon für den heutigen weltweiten Akw-Bestand werden jährlich rund 68000 Tonnen Uran benötigt, die aber nur zur Hälfte neu gefördert werden. Der Rest speist sich aus dem Spaltstoff ausrangierter Atomwaffen und anderen Recyclingquellen — eine Reserve, die spätestens in zehn Jahren versiegt sein wird. Bis dahin müssen die Uranminen von Australien bis Kanada massiv ausgebaut werden. Anschließend werden nach Angaben der Internationalen Atomenergieorganisation nur bei Verbrauch auf dem heutigen Niveau die Uran-Reserven in etwa 65 Jahren verbraucht sein. Wenn nun mehrere Industriestaaten und die Schwellenländer China und Indien gleichzeitig verstärkt auf Atomstrom setzen würden, wäre deren Scheitern allein mangels Ressourcen programmiert. Den einzigen Ausweg würde der Einsatz von Schnellen Brütern bieten, in denen parallel zur Stromerzeugung in einem Mantel um den Reaktorkern Natururan in Plutonium umgewandelt wird.

Damit ließen sich die Brennstoffvorräte um das 60-fache strecken. Doch bisher sind alle Versuche, dieses Technologie zur kommerziellen Einsatzreife zu bringen, kläglich gescheitert. Der deutsche Prototyp in Kalkar am Niederrhein kostete fünf Milliarden Euro und ging nie in Betrieb. Das französische Pendant musste nach 176 Betriebstagen stillgelegt werden. Und auch der japanische Brüter liegt wegen Reparaturarbeiten still.

Die immer wieder mal verkündete Renaissance der Atomenergie wird darum wohl nicht stattfinden. Viel wahrscheinlicher ist ein kontinuierlicher Niedergang der Atomkraftnutzung. Denn absehbar ist, dass für lange Zeit mehr Reaktoren aus Altersgründen stillgelegt werden, als neue in Betrieb gehen können. So müssten nur zur Erhaltung des Status quo von 441 Akw weltweit in den nächsten zehn Jahren je nach Größe 70 bis 80 Kernkraftblöcke neu errichtet werden, wenn man eine durchschnittliche Laufzeit der Alt-Reaktoren von 40 Jahren annimmt. Bis 2025 müssten es sogar noch einmal an die 200 sein, alle 18 Tage einer. Ein solcher Zubau sei „allein mangels industrieller Kapazitäten völlig ausgeschlossen“, meint der Kernkraftexperte Mycle Schneider, Autor einer Studie über die Perspektiven der Nuklearbranche.

Wirklich im Bau sind zur Zeit aber gerade mal 14 neue Blöcke, davon acht in Indien, zwei in China, zwei in Japan und je einer in Südkorea und in Finnland. „Die Vision von der Klimarettung durch Kernkraft dient lediglich der erneuten Öffnung der Staatskassen für die Subventionierung der Nuklearindustrie“, warnt Schneider.

Nicht zufällig sind darum bisher auch nur noch dort Kernkraftwerke geplant, wo die Investitionen im Stromsektor unmittelbar vom Staat dirigiert werden. Selbst die in Europa viel diskutierte Neuanlage auf der finnischen Halbinsel Olkiluoto ist da keine Ausnahme. Das Investorenkartell wurde von der Regierung geschmiedet und dient ausdrücklich nicht der Erzielung von Gewinnen. Zudem organisierte die bayerische Landesbank die Finanzierung zu Vorzugszinsen.

So spricht vieles dafür, dass Energiepolitik und Klimaschutz wohl doch ohne Atomkraft gestaltet werden müssen. Offenkundig hat das auch die chinesische Führung erkannt. Zwar sollen bis 2010 im Reich der Mitte noch einmal drei neue Atommeiler mit zusammen 3000 Megawatt Leistung gebaut werden. Im gleichen Zeitraum plant die Regierung jedoch die Steigerung der Stromerzeugung aus Wind- und Wasserkraft sowie Biogas und Solaranlagen um 60000 Megawatt, zwanzigmal so viel.

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